Der Jurist Martin Trenker erklärt im Gastblog, warum es dringend eine Reform beim erst jüngst geänderten Exekutionsrecht braucht.

Im Juli 2021 wurde eine Verpflichtung der Exekutionsgerichte geschaffen, die Zahlungsunfähigkeit einer Person festzustellen und öffentlich bekanntzumachen, sofern diese offenkundig ist. Diese öffentliche "Brandmarkung" ist jedoch mangels adäquater gesetzlicher Rahmenbedingungen rechtsstaatlich bedenklich und bereitet der Praxis immense Probleme in der Rechtsanwendung. Gut ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Reform besteht daher Anlass zu einer kritischen Bestandaufnahme.

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Braucht es eine Reform der Gesamtreform des Exekutionsrechts?
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Vor circa einem Jahr wurde im Zuge der sogenannten Gesamtreform des Exekutionsrechts mit § 49a Exekutionsordnung (EO) eine Bestimmung erlassen, welche Exekutionsgerichte dazu verhält, die Zahlungsunfähigkeit einer Person festzustellen und öffentlich bekanntzumachen, sofern diese offenkundig ist. Hintergrund dessen ist, dass die Zahlungsunfähigkeit einer Person Kernvoraussetzung und Rechtfertigung für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen ist. Der Sinn dieser Regelung besteht dementsprechend darin, aus Anlass eines Exekutionsverfahrens offenkundig zahlungsunfähige Schuldner zu identifizieren, damit über sie statt des Exekutions- ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann.

Exekutionsverfahren vs. Insolvenzverfahren

Zum besseren Verständnis dieses Anliegens muss man sich vor Augen führen, dass ein Exekutionsverfahren immer nur dazu dient, die Schuld gegenüber einem (dem sogenannten betreibenden) Gläubiger zu tilgen. Das bringt es mit sich, dass das zeitlich Zuvorkommen der Gläubiger über den Erfolg der "Eintreibung" entscheidet: Während der erste Gläubiger sich aussuchen kann, welche Vermögensbestandteile des Schuldners er verwerten will, um zu seinem Geld zu kommen, bleibt für nachfolgende Gläubiger mitunter nichts mehr übrig; nämlich dann, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist. Da dieses System nach dem Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" als ungerecht empfunden wird, wenn nicht mehr genug Vermögen für alle vorhanden ist, sieht die Rechtsordnung für zahlungsunfähige Schuldner ein Insolvenzverfahren vor, das vom Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger geprägt ist. Alle Gläubiger sollen darin letztlich (relativ) gleich viel erhalten, die sogenannte Insolvenzquote ihrer Forderung.

Wenn der Gesetzgeber daher mit der Möglichkeit zur Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit das Ziel verfolgt, Personen, die sogar offenkundig, also für das geschulte Auge auf den ersten Blick ersichtlich zahlungsunfähig sind, in das für sie "geeignete" Verfahren zu führen, so ist das grundsätzlich nachvollziehbar und begrüßenswert. Der Teufel steckt jedoch wie so oft im Detail: Bei näherer Betrachtung weist das neue Gesetz nämlich gravierende Mängel auf, die es – schon so kurz nach seinem Inkrafttreten – dringend reformbedürftig erscheinen lassen.

Unzureichende gesetzliche "Rahmenbedingungen"

Zunächst ist das Mittel zur Zielerreichung halbherzig gewählt: Denn nachdem die offenkundige Zahlungsunfähigkeit einer Person festgestellt wurde, eröffnet das zuständige Gericht keineswegs von sich aus ein Insolvenzverfahren. Die Zahlungsunfähigkeit ist zwar öffentlich bekanntzumachen und verhindert weitere Exekutionen (und auch das wohl nur teilweise, wie noch näher darzulegen sein wird). Um ein Insolvenzverfahren eröffnen zu können, muss aber – wie bisher – der Schuldner selbst oder einer seiner Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen. Zuzugestehen ist, dass Gläubigeranträge auf Insolvenzeröffnung durch die öffentliche Bekanntmachung der Zahlungsunfähigkeit erleichtert werden und vom Gesetzgeber auch für Schuldner (zumindest für natürliche Personen) ein Anreiz zur umgehenden Insolvenzantragstellung geschaffen wurde. Dennoch ist es schwer nachvollziehbar, warum nicht von Amts wegen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, wenn bereits ein Gericht die offenkundige Zahlungsunfähigkeit einer Person festgestellt hat.

Diese "Zurückhaltung" ist umso unverständlicher, als die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ohnehin in der sogenannten Ediktsdatei, die für jede (!) in- und ausländische Person schrankenlos und einfach einsehbar ist, öffentlich bekanntgemacht wird, also sozusagen vor aller Welt das "wirtschaftliche Todesurteil" über eine Person gefällt wird. Die negativen Folgen für den Schuldner sind evident, gerade im Hinblick auf seine Möglichkeiten, Verträge mit "professionellen Gläubigern" (zum Beispiel Banken, Vermietern, Mobilfunkunternehmen) abzuschließen. Letzteres ist natürlich nicht von vornherein zu verurteilen, weil es ja auch einen Wert hat, wenn potenzielle Vertragspartner vor einem derart eklatanten Bonitätsrisiko ihrer Kunden gewarnt werden. Dafür müsste das Gesetz jedoch bestmöglich Gewähr für die Richtigkeit der Feststellung offenkundiger Zahlungsunfähigkeit bieten. Gerade daran mangelt es jedoch.

Weder wird im Gesetz auch nur mit einem Wort erläutert, was "offenkundige" Zahlungsunfähigkeit eigentlich bedeutet (tatsächlich wird sogar von namhaften Stimmen vertreten, dass selbst der Begriff der Zahlungsunfähigkeit teilweise ein anderer als im Insolvenzverfahren sei), noch, wie das Exekutionsgericht diese überhaupt ermitteln soll. Erschwerend kommt hinzu, dass die Aufgabe zur Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit keiner Richterin und keinem Richter, sondern Diplomrechtspflegerinnen und -rechtspflegern obliegt. Trotz der ausgezeichneten Rechtspflegerausbildung in Österreich erscheint es rechtsstaatlich nämlich besonders bedenklich, wenn Gerichtsbedienstete ohne richterliche Garantien und Richteramtsprüfung über die wirtschaftliche Bankrotterklärung einer Person entscheiden, ohne dass ihnen das Gesetz auch nur den leisesten Hinweis zur Handhabung dieser Aufgabe gibt.

Uneinheitliche Rechtsanwendung

Das Ergebnis dieser prekären Ausgangslage spiegelt sich in einer völlig uneinheitlichen Handhabung des Gesetzes wider: Seit Inkrafttreten sind österreichweit insgesamt 2.061 Fälle offenkundiger Zahlungsunfähigkeit veröffentlicht (Stichtag: 8. 8. 2022). Auf das Bezirksgericht (BG) Innere Stadt Wien entfallen davon – bei immerhin circa 300.000 Einwohnern – allerdings nur zwei Fälle, während im Sprengel des BG Salzburg schon 150 Personen für zahlungsunfähig erklärt wurden. In 42 Sprengeln, zum Beispiel am BG Schwechat oder BG Eisenstadt, wurde von § 49a EO dagegen überhaupt noch kein Gebrauch gemacht. Große Zurückhaltung ist etwa auch den elf BG Kärntens zu attestieren, wo insgesamt nur 29 Fälle offenkundiger Zahlungsunfähigkeit veröffentlicht wurden. Großer "Ausreißer nach oben" ist demgegenüber das BG Hall in Tirol, in dessen Sprengel bei nur circa 65.000 Einwohnern bereits 239 Personen als offenkundig zahlungsunfähig gebrandmarkt wurden.

Die Divergenz dieser Zahlen ist nun mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Ausdruck unter- oder überverhältnismäßiger Armut in bestimmten Bezirken Österreichs, sondern viel eher auf eine völlig unterschiedliche Handhabung des neuen Gesetzes durch die betreffenden Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger zurückzuführen. Besonders ausschlaggebend für die Menge der Feststellungen offenkundig zahlungsunfähiger Personen dürfte sein, ob hierauf § 56 Abs 2 EO angewendet wird: Nach dieser Bestimmung würde bei Schuldnern, die trotz entsprechender Aufforderung keine Stellung zu ihrer Vermögenslage beziehen, kurzerhand auf deren Zustimmung zur Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit geschlossen. Da das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit aber nicht von der Zustimmung des Schuldners abhängt, sondern es sich um eine objektive Tatsache handelt, ist diese unterstellte Zustimmung richtigerweise irrelevant (auch wenn eine prominente Stimme im Schrifttum wiederum das Gegenteil vertritt). Angesichts der völlig konturlosen Gesetzeslage ist dieses Missverständnis aber weniger den ausführenden Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern anzulasten, sondern vielmehr als ein Symptom der Reformbedürftigkeit des neuen Gesetzes zu sehen.

Immense Rechtsunsicherheit

Ein anderes Problem, das symptomatisch für die ungenügende gesetzliche Ausgestaltung der Reform ist, stellen Unklarheiten über die Folgen der festgestellten Zahlungsunfähigkeit im Exekutionsverfahren dar: Das Gesetz knüpft daran – selbst das ist dem Gesetzestext übrigens nur schwerlich zu entnehmen – eine Art "Sperre" neuer Exekutionsanträge. Bereits anhängige Exekutionsverfahren anderer Gläubiger als desjenigen, in dessen Verfahren die offenkundige Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde, sind jedoch nach der erkennbaren Systematik des Gesetzes fortzuführen, wenn nicht in deren Verfahren erneut die offenkundige Zahlungsunfähigkeit (über denselben Schuldner!) festgestellt wird. Dem Vernehmen nach soll das Bundesministerium für Justiz (BMJ) in einer internen Stellungnahme zwar klargestellt haben, dass seines Erachtens gute Gründe für die Gegenansicht sprechen, was sicherlich sinnvoll wäre, weil eine Unterscheidung zwischen älteren und jüngeren Exekutionsverfahren sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Vom Gesetz ist diese Ansicht des BMJ aber meines Erachtens nicht gedeckt. Wie dem auch sei: Es herrscht immense Rechtsunsicherheit.

Fazit: Reformbedarf der Reform

Zusammengefasst wurde mit § 49a EO ein Gesetz geschaffen, das nicht zuletzt aufgrund fehlender gesetzlicher Rahmenbedingungen ein erhebliches Risiko birgt, dass Personen zu Unrecht öffentlich als zahlungsunfähig "an den Pranger gestellt" werden. Umgekehrt wird das verfolgte Ziel, zahlungsunfähige Personen vom Exekutions- ins Insolvenzverfahren zu "überführen", nur halbherzig verfolgt. Bislang nicht erwähnt wurde zudem, dass dieses Anliegen gerade bei der "Zielgruppe" jener Personen, die ohnehin über keinerlei nennenswertes Vermögen verfügen, rechtspolitisch zweifelhaft erscheint. In solchen – durchaus nicht untypischen – Fällen bleibt ja nach Abzug der Kosten eines Insolvenzverfahrens gar nichts mehr übrig für die Gläubiger; dass diesfalls alle Insolvenzgläubiger gleich viel, nämlich nichts erhalten, rechtfertigt die Einleitung eines Insolvenzverfahrens klarerweise nicht.

Als einziger Vorteil in dieser Konstellation ist daher zu nennen, dass sich derart mittellose Schuldner in einem Insolvenzverfahren durch "Pfändung ihres Einkommens auf das Existenzminimum" über drei beziehungsweise fünf (früher: sieben) Jahre entschulden und damit wieder lastenfrei ins (Wirtschafts-)Leben zurückkehren können. Warum Schuldner durch die öffentliche Bekanntmachung ihrer Mittellosigkeit aber gewissermaßen zu ihrem Glück gezwungen werden sollen, ist nicht ohne weiteres einsichtig. Jedenfalls rechtfertigt diese Wirkung die aufgezeigten, damit verbundenen Probleme und Risiken meines Erachtens nicht. § 49a EO sollte daher ehestmöglich entweder erheblich modifiziert oder ersatzlos gestrichen werden. (Martin Trenker, 16.8.2022)