Der Working Men’s Club aus Manchester um Sydney Minsky-Sargeant (Zweiter von links) macht Musik, die auch die Mutter und der Vater gernhaben können. Endlich jemand, der sich an den Generationenvertrag hält.

Foto: Lilly Eiger

Eine wichtige Lebenserfahrung lautet: Leute, die die Alben von The Human League lieben, können keine ganz schlechten Menschen sein. Zumindest haben sie noch viel Gutes in sich. Dazu kommen noch die frühen Orchestral Manoeuvres in the Dark und Depeche Mode, New Order in Originalbesetzung oder grundsätzlich fast alles von Cabaret Voltaire, Clock DVA und auch ein wenig von Nitzer Ebb und Electronic Body Music.

Viel besser allerdings, wenn sich junge Menschen wie die zwei Frauen und zwei Männer des britischen Working Men’s Club heutzutage dieser alten Bands annehmen und Alben wie das selbstbetitelte und pandemiebedingt etwas untergegangene Debüt von 2021 oder aktuell den Nachfolger Fear Fear (Heavenly Records) veröffentlichen.

Damit erfüllt der Working Men’s Club ganz im Sinne des einst im 19. Jahrhundert in Großbritannien gegründeten Arbeiterbildungsvereins mit einer für Stammpublikum sorgenden Ausschankgenehmigung eines. Er hält sich an den etwas in Vergessenheit geratenen Generationenvertrag. Wir wollen jetzt nicht näher auf die soziale Rentenversicherung eingehen, weil eh jeder weiß, dass das alles bald einmal tschari gehen wird. Die Rede ist vom geistig ausgeglichenen Austausch zwischen Jung und Alt.

Jammertal ...

Die neuen Leute von heute können also zu dieser rohen und rauen, energetischen Musik des Working Men’s Club wunderbar eckig wie die etwas abgelebten Alten damals in der New-Wave-Disco tanzen – und die Clubbing-Rentner daheim haben auch eine Freude, wenn man auf dem Sofa im Takt wackeln kann. Dazu hört man depressive Texte, die man nur als Teenager oder Früh-Twen so schreiben, aber als Alter natürlich milde erdulden kann. Schließlich ist auch Düstermann Nick Cave im siebten Lebensjahrzehnt gut in der Fühl-dich-gut- und Yoga-Phase gelandet.

Working Men's Club

"Being sad makes me happy", raunzt der heute 20-jährige Sydney Minsky-Sargeant im Stück Ploys (für Trick oder Täuschungsmanöver) ins Mikrofon. Der Mann aus Manchester reißt sich zwar so wie noch jeder gute Brite in Feierlaune bei Live-Auftritten schnell einmal das Hemd vom Leib. Schluss mit lustig, hier kommt der Ballermann! Wer zu alten Liedern wie Valleys oder besagtem Ploys nicht sofort seine Oberbekleidung abwerfen und crazy tanzen will, der ist im Wesentlichen eh tot. Eigentlich geht es in den Liedern des Clubs aber nicht darum, das Leben zu feiern. Beziehungsweise tut sich auf den beiden Alben des Quartetts eine gewisse Hirn-Hüftschwung-Schere auf.

Sydney Minsky-Sargeant hält es mit dem morbiden Humor. In Valleys werden beispielsweise in der Hookline auch klassischer House, etwa von Farley "Jackmaster" Funk mit seinem Jahrhunderthit Love Can’t Turn Around, und in Folge Eurodance wie das göttlich niederschwellige Pump Up the Jam von Technotronic mitgedacht. Textlich kontrastiert das Minsky-Sargeant mit einer Lyrik, bei der man am liebsten sein Handy holen möchte, um dem Bub am Telefon zu sagen, dass alles nicht so schlimm ist. Später wird es natürlich auch nicht besser, aber das bleibt bitte unter uns:

"Trapped inside a town / Inside my mind/ Stuck with no ideas / I’m running out of time / There’s no quick escape / So many mistakes / I’ll play the long game …"

Working Men's Club

John Cale sang einst "Fear is a man’s best friend". Auf Fear Fear fürchtet sich Sydney Minsky-Sargeant in dem im Alter von 19 Jahren verfassten Song 19 nicht nur vor Covid-19. Globalen Terror, das nahende Ende von Bruder Baum oder des Generationenvertrags kann man sich gleich dazudenken. Ganz zu schweigen davon, dass dem schön wie einst in den 1980er-Jahren Richtung Hip-Hop und Electro tuckernden Drumcomputer einmal der Strom ausgeht. Das alles kann einem schon während des fantastisch auf die Folter spannenden dreiminütigen Instrumental-Intros durch den Kopf gehen.

... und Himmelfahrt

Von einer sonoren Stimme, die an Bernard Sumner von New Order erinnert, hört man schließlich mitten in der schönsten Niedergeschlagenheit befremdliche Zeilen wie "Your breath distracts me / But your corpse is pretty". Der Working Men’s Club will laut Aussendung des Plattenlabels übrigens "das Schreckliche magisch klingen lassen". So gesehen besser als umgekehrt.

Working Men's Club

Ein weiterer Höhepunkt auf Fear Fear, das siebenminütige Stück Cut. Die eindeutig nach seligem Krautrock von Neu! oder La Düsseldorf klingende Nummer schraubt sich mit repetitivem Bass, treibendem Schlagzeug und hymnisch quengelnder Gitarre in die himmlische Höhe eines Felix Baumgartner. Sprich, das Lied befindet sich knapp vor der Erlösung. "I’m Coming home": Allerdings ist es dann auch bald Zeit runterzukommen. Hier im irdischen Jammertal haben wenigstens die Clubs wieder geöffnet. (Christian Schachinger, 12.8.2022)