Nachdenken macht müde – aber warum eigentlich? Forschende aus Paris glauben, die Lösung gefunden zu haben.
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Wenn Nachdenken anstrengend wird, ist oft die Rede vom "rauchenden Kopf". Die beliebte Redewendung suggeriert, dass der Kopf wie eine Maschine arbeitet, die irgendwann aufgrund von Überlastung zu rauchen beginnt. Dabei sind gerade Denkmaschinen wie Computer mit schier unendlicher Ausdauer gesegnet und ermüden praktisch überhaupt nicht – wenn sie ausreichend gekühlt werden.

Auch dass Menschen durch Nachdenken müde werden, ist nicht so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Manche Wissenschafterinnen und Wissenschafter halten mentale Müdigkeit für eine Illusion. Ein Team von der Universitätsklinik Pitié-Salpêtrière in Paris hat sich nun der Frage angenommen und glaubt, den Gegenbeweis gefunden zu haben.

Verhaltensänderung als Schutz

Die Forschenden fanden heraus, dass sich bei langem, konzentriertem Nachdenken ein potenziell giftiger Botenstoff ansammelt, der eigentlich aus Lebensmitteln bekannt ist: Glutamat. Konkret wurde eine Häufung der chemischen Verbindung im präfrontalen Cortex nachgewiesen, der sich an der Stirnseite des Hirns befindet. Dieser Bereich ist etwa bei Planungen aktiv.

Die Arbeit der Forschenden legt nahe, dass nicht die Anhäufung des Botenstoffs für den Leistungsverlust verantwortlich ist, sondern dass es sich um eine Verhaltensänderung handelt, die zum Schutz des Hirns dient.

"Einflussreiche Theorien legen nahe, dass Erschöpfung nur eine Art Illusion ist, die das Hirn erzeugt, um uns von dem abzuhalten, was wir gerade tun, damit wir uns einer befriedigenderen Tätigkeit zuwenden", sagt Teammitglied Mathias Pessiglione. Doch nun zeige sich, dass sich das Hirn vor einer realen Gefahr schützt, indem es sich weniger aufwendigen Tätigkeiten zuwendet oder überhaupt auf Abwarten setzt.

Beobachtung während eines Tages

Der Nachweis gelang mithilfe einer Technik namens Magnetresonanzspektroskopie. Damit lassen sich chemische Veränderungen im Körper bei lebenden Menschen untersuchen. Erstautor Antonius Wiehler und sein Team beobachteten Menschen im Laufe eines Tages mit genau geplantem Ablauf. Dabei verglichen sie Personen, die intensiv nachdenken mussten, mit solchen, die kognitiv einfache Aufgaben zu lösen hatten. Die aktive Gruppe bestand aus 24 Personen, die andere aus 16.

Wie zu erwarten, wurde Erschöpfung nur in der Gruppe mit dem intensiveren Arbeitsprogramm nachgewiesen, unter anderem Veränderungen der Pupillen, die als gängiger Indikator für Müdigkeit gelten. Diese Gruppe begann, kurzfristig lösbare Aufgaben zu suchen, die schnell Belohnung versprachen. Genau in dieser Phase konnte das Team auch eine Erhöhung des Glutamats im Hirn nachweisen. Um in dieser Phase noch kontrollierte geistige Arbeit durchführen zu können, sei erhöhter Aufwand nötig.

Diese Schachspielerin bei einem Turnier in Indien plant ihren nächsten Zug. Nach vier bis fünf Stunden geschehen dabei vermehrt ungewöhnliche Fehler, die im ausgeruhten Zustand nicht passieren würden.
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Bedeutung für mentale Probleme

Die neuen Erkenntnisse, die im Fachjournal "Current Biology" veröffentlicht wurden, haben auch eine Bedeutung für schwer fassbare mentale Probleme, indem sie mentale Erschöpfung messbar machen. Das könnte in der Gesundheitsvorsorge von Unternehmen helfen, Burnout zu vermeiden, hoffen die Forschenden. Außerdem wäre es damit möglich, Menschen zu warnen, in müdem Zustand wichtige Entscheidungen zu treffen.

Schnelle Lösung gebe es leider nicht, sagt Pessiglione, nur ein paar alte Rezepte: "Ausruhen und schlafen!" Es gebe überzeugende Hinweise darauf, dass Glutamat im Hirn während des Schlafs abgebaut wird.

Der Nachweis einer als Würzstoff bekannten chemischen Verbindung im Gehirn mag überraschen, doch tatsächlich seien Glutamate als Botenstoffe im Gehirn normal, werden von diesem auch selbst hergestellt und übernehmen lebenswichtige Funktionen. Nur in zu hohen Konzentrationen werden sie zum Problem.

Kritik von Forscherkollegen

An den Schlussfolgerungen der Forschenden von der Pariser Universität gibt es aber auch Kritik. Der Neurophysiker Harald Möller vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig macht darauf aufmerksam, dass Anstiege der Glutamat-Konzentration im Hirn bei gezielter Anregung bereits früher beobachtet wurden. Dabei ging die Konzentration nach dem Ende der Simulation schnell wieder zurück. Messungen im Alltag, wie sie von den Forschenden um Wiehler durchgeführt worden seien, seien schwierig und unzuverlässig.

Die Kritik zeigt, wie umstritten das Thema mentale Müdigkeit und die diesbezügliche Forschung ist. Eine unabhängige Bestätigung der Ergebnisse dürfte also helfen, den Zusammenhang besser zu verstehen. Die Forschungsgruppe um Wiehler ist jedenfalls schon einen Schritt weiter und will die Gründe untersuchen, warum gerade der präfrontale Cortex anfällig für erhöhte Glutamat-Konzentrationen bei Erschöpfung ist. (Reinhard Kleindl, 12.8.2022)