Christian Schmidt ist Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina.

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Nun hat sich sogar Israel in die aktuelle Debatte über die Änderung der Verfassung des Landesteils Föderation und die Änderung des bosnischen Wahlgesetzes eingebracht. Interessanterweise unterstützt Israel dabei die Position der kroatisch-nationalistischen HDZ, die unter dem Schlagwort "legitime Repräsentation" seit Jahren Umarbeitungen fordert. In einer Aussendung von dieser Woche von der Botschaft Israels in Tirana, die auch für Bosnien-Herzegowina zuständig ist, werden die Vorschläge der HDZ "willkommen" geheißen.

Der Vorgang erinnert ein wenig an ein Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo, das noch unter der US-Regierung von Donald Trump im September 2020 abgeschlossen wurde. Auch in diesem Fall war Israel Teil eines "Deals" zwischen den USA und Akteuren in Südosteuropa. Sicher ist: Vertreter der USA lobbyieren schon seit Jahren dafür, dass das Wahlgesetz nach den Wünschen der HDZ geändert wird.

Erfahrungen aus den 1990ern

Sie wollen einen "Deal" zwischen den bosniakischen Nationalisten (SDA) und den kroatischen Nationalisten (HDZ) zustande bringen, weil sie glauben, dass eine solche Übereinkunft – analog zum Washingtoner Abkommen aus dem Jahr 1994 – die Gesamtsituation entspannen würde. Die politische Linie dazu gibt vor allem ein Berater im US-Außenministerium, Dereck Chalet, vor, der nach dem Krieg ein Buch über den Friedensvertrag geschrieben hat.

Allerdings hat sich das Land seit den 1990ern modernisiert und in europäische Strukturen integriert. Viele Vertreter der derzeitigen US-Regierung sind allerdings auf ihre Erfahrungen mit Bosnien-Herzegowina in den 1990er Jahren fokussiert, weil sie damals zuletzt viel mit dem Staat zu tun hatten.

Offensichtlich ist, dass im Moment sehr viel Druck gemacht wird, um dem Nato-Land Kroatien und den kroatischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina "etwas zu geben". Offiziell wird das immer wieder damit argumentiert, dass dadurch mehr Pluralismus im kroatischen Wählerspektrum entstehen soll – was allerdings nicht besonders einleuchtend erscheint.

Inoffiziell geht es darum, dass man die Sorge hat, dass die HDZ nach den Wahlen den Landesteil Föderation noch stärker blockieren könnte, als sie das ohnehin schon seit Jahren tut, oder dass es sogar zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte. Deshalb wird die HDZ von anderen politischen Akteuren oft als erpresserisch beschrieben.

Druck wird erhöht

Nachdem eine Änderung des Wahlgesetzes nach den Wünschen der HDZ – es handelt sich um eine Neun-Prozent-Partei – auch nach vielen Monaten Verhandlungen unter der Mediation der EU und der USA auf demokratischem Wege nicht erreicht wurde, hat kürzlich der Hohe Repräsentant Christian Schmidt Vorschläge gemacht, die der HDZ gefielen. Allerdings setzte er diese dann doch nicht mit seinen Bonner Vollmachten um. Schmidt kündigte jedoch an, die Vorschläge vielleicht doch noch kurz vor den Wahlen am 2. Oktober umzusetzen, sollten sich die Parteien vorher nicht auf demokratischem Wege einigen.

Kürzlich sagte er zur Deutschen Welle: "Der Druck wird von meiner Seite jetzt erhöht. Und dann schauen wir mal. Aber die Parteien sollten nicht vergessen, dass meine exekutiven Möglichkeiten ja bestehen." Schmidt argumentiert, dass er mit seinen Vorschlägen künftige Blockaden in der Politik und Justiz der Föderation vermeiden möchte.

Hinterzimmerdeal mit Folgen

Das erhöht vor allem den Druck auf die SDA, denn ohne die SDA kann es zu keinen Mehrheiten kommen. Die SDA weiß aber, dass sie viele Wähler verlieren würde, wenn sie den Wünschen der HDZ nachgeben würde. Das jahrelange Gezerre um das Wahlgesetz nahm seinen Anfang mit einem Abkommen zwischen der SDA und der HDZ im Jahr 2020 über ein Stadtstatut für Mostar, wo nun wieder gewählt werden kann. Die SDA profitierte damals von dem Abkommen, musste aber einen Preis bezahlen. Denn neben dem offiziellen Abkommen gab es noch einen Hinterzimmerdeal, mit dem es die HDZ schaffte, dass die SDA den Begriff der "legitimen Repräsentation" unterschrieb. Die HDZ drängt seitdem noch mehr darauf, ihre Vorstellungen durch die Änderungen des Wahlgesetzes umzusetzen.

Der Schweizer Politologe Adis Merdžanović bezeichnet nun aber vor allem den Zeitpunkt der möglichen Entscheidung Schmidts, nämlich im Wahljahr selbst ein Wahlgesetz zu ändern, als "höchst unüblich" und bedenklich. "Man kann nicht mitten im Spiel die Regeln ändern. In diesem Fall ist es sogar noch schlimmer. Die zentrale Wahlbehörde ist derzeit daran, die eingereichten Kandidatenlisten zu prüfen, das heißt, wir sind eigentlich schon mitten im Wahlkampf", meint Merdžanović zum STANDARD.

Diskriminierung vorantreiben

Zudem sei es befremdlich, dass Schmidt durch die Nutzung seiner Spezialbefugnisse das Land nicht in eine Richtung bewege, in der die aktiven und passiven Wahlrechte aller Bürger gestärkt würden. Die von Schmidt anvisierte Dreiprozenthürde für die Entsendung von Volksgruppenvertretern würde auch dazu führen, dass einige Bürger aus bestimmten Kantonen in einer Parlamentskammer nicht mehr vertreten wären, was die Diskriminierung vorantreibe, so der Politologe. Leitgedanke sollten viel mehr die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sein, die in eine gänzlich andere Richtung weisen, fordert Merdžanović.

Das von der HDZ propagierte Schlagwort der "legitimen Repräsentation" sei insgesamt unklar. "Für die HDZ bedeutet es, dass die bosnischen Kroaten ihre Vertreter wählen und diese auch 'echte' Kroaten sind, wobei es unklar ist, wie man das rechtlich definieren soll. Für andere bedeutet es, dass die Vertreter, die gewählt werden, selbst deklarierte Kroaten sind, aber sie durchaus auch von Nichtkroaten gewählt werden können", erläutert Merdžanović. Das sei eine offene Diskussion in Bosnien-Herzegowina, die nur im Land selbst gelöst werden könne. "Wenn der Hohe Repräsentant jetzt hier eine Lösung oktroyiert, die sich klar für die eine Seite in dieser Debatte ausspricht, dann ist das für die lokale Kompromissbereitschaft sicherlich nicht gerade förderlich", schlussfolgert er.

Angst vor Blockaden

Merdžanović, der selbst über das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) geforscht und geschrieben hat, zeigt sich insgesamt überrascht, dass Schmidt nun so aktiv ist. "Der OHR als Institution war in den letzten zehn Jahren praktisch inexistent. Die Institution hat sich nicht mehr in die politischen Auseinandersetzungen eingemischt, außer dass der Hohe Repräsentant regelmäßig seine Besorgnis über gewisse Vorgänge geäußert hat. Die Bonner Befugnisse wurden kaum gebraucht. Schmidt ist nun wieder gewillt, sie zu nutzen. Weshalb, das hat er eigentlich nie richtig erläutert."

Es könne damit zu tun haben, dass sich Russland aus dem Friedensimplementierungsrat zurückgezogen hat und dort dadurch leichter ein Konsens möglich sei. Oder Schmidt schätzt die Ausgangslage so ein, dass die Nutzung der Bonner Befugnisse die einzige Möglichkeit sei, nachhaltig positive Veränderungen zu bewirken, analysiert Merdžanović. "Im aktuellen Fall vermute ich, dass die HDZ und Kroatien dem OHR und allen Staaten im Friedensimplementierungsrat glaubhaft machen konnten, dass die bosnischen Kroaten die Staatsstrukturen blockieren werden, wenn die nächsten Wahlen mit diesem aus ihrer Sicht diskriminierenden Wahlsystem stattfinden", denkt Merdžanović. "Dies wollte Schmidt nun wohl verhindern und hat eine Lösung vorgelegt, die den Interessen der Führung der bosnischen Kroaten zwar nicht gänzlich, aber doch weitgehend entgegenkommt."

Üble Züge der Kritik

Man könne sich in einer Demokratie aber nicht der Diskussion und der Kompromisssuche verweigern und dafür dann auch noch belohnt werden, moniert Merdžanović. "Dieser Umstand löst zu Recht Kritik aus – auch wenn die Kritik an der Person Schmidt teilweise wirklich üble Züge annahm, die keineswegs tolerierbar waren", meint der Politologe. Er selbst denkt, dass Eingriffe des OHR die grundsätzliche Kompromissbereitschaft unter den lokalen Akteuren hemmen würden. "Sie verlagern die Rolle des Entscheiders auf den OHR und entbinden die lokalen Akteure so von einer Verantwortung."

Die Eingriffe seien früher grundsätzlich gerechtfertigt gewesen, zumal sie im Kontext der Nachkriegszeit stattfanden und das Funktionieren des Gesamtstaats ermöglichten. In der aktuellen Debatte sei es aber fraglich, ob man das Eingreifen an sich legitimieren könne, zumal die Nutzung der Bonner Befugnisse ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg wohl demokratisch zumindest durch eine offene und transparente politische Debatte gerechtfertigt werden sollte.

HDZ würde gestärkt

"Ein Eingreifen nach Hinterzimmergesprächen ist nicht mehr legitim. Zum anderen ist es so, dass durch den Eingriff ein politischer Akteur deutlich gestärkt wird: Die von der HDZ kontrollierten Gebiete würden mehr Repräsentanten bekommen. Der OHR verändert also aktiv die Machtbalance zwischen den Akteuren, was dem 'Power-Sharing' nicht gerade entgegenkommt", meint Merdžanović.

Legitime Veränderungen bekomme man nur durch lokale Kompromisse hin. "Diesen Prozess kann der Hohe Repräsentant unterstützen, wenn nötig auch mit Bonner Befugnissen Kompromisse ermöglichen. Gänzlich auferlegen kann er die Veränderungen aber nicht, weil er dadurch das delikate System schwer ins Wanken bringt", schlussfolgert er. (Adelheid Wölfl, 12.8.2022)