Polens Ministerpräsident Morawiecki teilt aus.

Foto: EPA/MATEUSZ MAREK

In einem öffentlichen Brief, der mehreren Redaktionen, darunter dem STANDARD, vorliegt, holt Polens nationalkonservativer Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zu einem Rundumschlag gegen die – von ihm so verorteten – unfairen Machtverhältnisse in der EU aus. Den größeren EU-Staaten, allen voran Deutschland, wirft der Pole "Imperialismus" vor, was deren Umgang mit weniger mächtigen Mitgliedsstaaten betrifft.

Gerade angesichts der russischen Bedrohung von außen schwäche diese interne Ungerechtigkeit die Union als Ganzes, glaubt Morawiecki. Das zuletzt vielerorts kritisierte Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen der EU ist für den PiS-Politiker daher in Stein gemeißelt. Nur so könne die "Freiheit und Gleichheit aller Mitgliedsstaaten" bewahrt werden, schreibt er. Zuletzt war dieses Prinzip infrage gestellt worden, wonach etwa in Fragen der Außen- und Finanzpolitik, aber auch beim heiklen Thema Erweiterung und Kandidatenstatus bei Beschlüssen jedes Land zustimmen muss.

Parlament stellte Antrag

Erst im Juni hatten die EU-Parlamentarier eine Vertragsänderung gefordert, die diesem De-facto-Vetorecht einzelner Staaten einen Riegel vorschiebt. Dass sie umgesetzt wird, ist vorerst unwahrscheinlich – auch wegen Ländern wie Polen, dessen Regierungschef Morawiecki im Einstimmigkeitsprinzip die einzige Möglichkeit sieht, eine deutsch-französische Dominanz einzuhegen. Denn die beiden Big Player in der EU zwängen kleine und mittlere Länder zu oft dazu, sich ihren Interessen unterzuordnen.

Überhaupt sei es mit der Demokratie innerhalb der EU nicht allzu weit her, findet Morawiecki: "Wir haben es mit einer formalen Demokratie und einer faktischen Oligarchie zu tun, in der der Stärkste die Macht innehat."

Was es brauche, sei ein Perspektivenwechsel an der Spitze, eine stärkere Konsensorientierung und mehr Gehör für Staaten wie Polen. Denn dort, so der Regierungschef, habe man ganz einfach mehr Erfahrung im Umgang mit Russland als anderswo. Seit Jahren warne sein Land wie eine "Kassandra" vor dem Wiederaufflammen des russischen Imperialismus durch Präsident Wladimir Putin – vergebens, findet Morawiecki: "Die Tatsache, dass die polnische Stimme ignoriert wird, ist nur ein Beispiel für das größere Problem, mit dem die EU heute kämpft."

Scholz als Gegner

Dass sich der polnische Ministerpräsident in seinem Brief so auf Berlin einschießt, dürfte auch mit der Haltung von Kanzler Olaf Scholz zu tun haben: Bei einem EU-Gipfel im Juni hatte der sich für die Aufweichung des Einstimmigkeitsprinzips ausgesprochen. Die Möglichkeit einzelner Länder, Beschlüsse der gesamten Union per Veto zu verzögern oder platzen zu lassen, bremse die EU aus, befand Scholz damals.

Mangelndes Tempo ortet Morawiecki hingegen bei Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine – und stellt einmal mehr Deutschland an den Pranger. Wenn ganz Europa im selben Ausmaß und im selben Tempo Waffen dorthin geschickt hätte, wie es Deutschland tue, "der Krieg wäre schon lange vorbei" – mit "Russlands absolutem Sieg". (flon, 12.8.2022)