Nord- und Südpol unterscheiden sich in manchen Aspekten. In der Antarktis ist es kälter als in der Arktis, doch sind auch die Schwankungen größer.
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Am nördlichsten Punkt der Welt wie auch am Südpol haben Menschen ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt: Einige schafften es, der eisigen Witterung zu trotzen und die extremen Endpunkte der Erde zu erreichen. Doch so abenteuerlustig der Mensch auch ist, so weit reicht sein Einfluss, der zerstörerische Ausmaße annehmen kann.

In diesem Jahr zeigte sich etwa, dass sich Mikroplastik auch im Schnee der Antarktis nachweisen lässt. Und dass sich die Arktis schneller erwärmt als angenommen, nämlich viermal so schnell wie die Erde im Durchschnitt. Im Norden wie auch im Süden purzelten zudem in der jüngeren Vergangenheit die Temperaturrekorde: Im Sommer 2020 hatte es im arktischen Sibirien 38 Grad Celsius; in der Antarktis, wo es generell viel kälter ist, überraschte im März 2022 der Blick auf das Thermometer am kältesten Ort der Welt mit rund –18 Grad. Das sind 40 Grad mehr als die durchschnittliche Höchsttemperatur der vergangenen 65 Jahre.

Kalte Kontraste

Zwar ist es an den entgegengesetzten Polen eisig, karg und kalt, doch es gibt auch einige Unterschiede, die dafür sorgen, dass sich das Klima nicht genau gleich verändert. Das fängt damit an, dass der Südpol auf dem Festland liegt, während sich der Nordpol im Meer befindet. Die sich saisonal aufbauenden und abschmelzenden Eismassen des Nordpolarmeers reichen aber auch bis Grönland. Auf der Südhalbkugel schwankt die Ausdehnung des Meereises stärker als im hohen Norden – und wie schon erwähnt: Es wird viel kälter.

Randnotiz zu den Unterschieden zwischen Norden und Süden: Pinguine leben auf der Südhalbkugel, Eisbären hingegen auf der Nordhalbkugel.
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Was den Klimawandel betrifft, so sieht man, dass sich vor allem die Arktis grundlegend verändert. Immer deutlicher zeigt sich aber, dass nicht nur das Nordeis massiv von der globalen Erwärmung, die durch menschlichen Einfluss rapide voranschreitet und sich zu einer Klimakrise ausgewachsen hat, betroffen ist. Die ferne Antarktis verändert sich ebenfalls in beachtlichem Ausmaß, wie zwei aktuelle Studien untermauern.

Blick in die Zukunft

Eine davon befasst sich vor allem mit der Ostantarktis, wo im Frühjahr auch die ungewohnte Wärme auftrat. Die Region gilt als jene, die im Vergleich zur Westantarktis weniger stark von der globalen Erwärmung betroffen ist. Im Osten ist der Eisschild mitunter vier Kilometer dick – so viel Gletschereis wird sonst an keinem Ort der Welt gespeichert. Wie das Team um Chris Stokes von der britischen Universität Durham im Fachjournal "Nature" schreibt, hätte das Abschmelzen immense Folgen für den Meeresspiegel.

Das Zurückweichen des Gletschereises wird freilich nicht in einem Zeitraum von wenigen Jahrzehnten vonstattengehen, sondern eher Jahrhunderte dauern. Doch der Blick in die ferne Zukunft ist wichtig, denn das Tempo, mit dem Menschen derzeit konsistent Treibhausgase in die Atmosphäre bringen, übersteigt natürliche Vorgänge. Nach allem, was wissenschaftlich bekannt ist, hat das nicht nur, aber auch in hundert Jahren und danach enormen Einfluss auf die Lebensumstände und Lebensqualität von Menschen.

Anstieg des Meeresspiegels

Stokes und sein Team fanden durch Projektionen heraus: Wenn es der Menschheit gelingt, die Erderwärmung unter zwei Grad – im Vergleich zum vorindustriellen Niveau – zu halten, dann würde der Meeresspiegel bis zum Jahr 2500 durch den geschmolzenen Eisschild um weniger als einen halben Meter steigen. Hinzu käme allerdings Schmelzwasser aus anderen Quellen – etwa dem grönländischen Eisschild. Daher ist an vielen Orten schon bis 2100 mit einem Anstieg um etwa 70 Zentimeter zu rechnen.

Doch je stärker wir in den kommenden Jahren die Erwärmung vorantreiben, umso massiver sind bestimmte unwiderruflich in Gang gesetzte Veränderungen und Rückkopplungen. Das kann den Analysen zufolge dazu führen, dass der Meeresspiegel nur aufgrund des Eisschilds in der Ostantarktis bis 2300 um einen bis drei Meter steigt, bis zum Jahr 2500 um zwei bis fünf Meter. Die Küstenlinien würden weltweit ganz anders aussehen als wenige Hundert Jahre zuvor.

Unterschätzte Strömung

Damit wäre noch immer viel Eis übrig: Der ostantarktische Eisschild enthalte das Äquivalent von 52 Meter Meeresspiegel – ein "schlafender Riese, den wir nicht wecken sollten", sagt Stokes. "Früher dachten wir, dass die Ostantarktis im Vergleich zu den Eisschilden in der Westantarktis oder in Grönland viel weniger anfällig für den Klimawandel sei" – doch der Verlust von Eis im Osten hat sich in der Zwischenzeit gezeigt.

DER STANDARD

Eine weitere Studie, die nun im Fachblatt "Science Advances" erschien, demonstriert, dass bisherige Modelle das Abschmelzen jedoch unterschätzen könnten. Bei vielen Simulationen werde nämlich häufig auf bestimmte Küstenströmungen vergessen. Durch diese ist es möglich, dass geschmolzenes Gletscherwasser warmes Ozeanwasser direkt beim Eis einschließt und für schnelleres Auftauen sorgt.

Schnellere Schmelze

Wenn der Mechanismus genauso abläuft, dann "könnte das bedeuten, dass die Schmelzraten des Schelfeises um 20 bis 40 Prozent höher sind als die Vorhersagen in globalen Klimamodellen, die diese starken Strömungen nahe der Antarktisküste normalerweise nicht simulieren können", sagt Studienautor Andy Thompson vom California Institute of Technology.

Wärmeres Wasser könnte – je nach Strömung – Eis in der Antarktis schneller zum Schmelzen bringen, wie eine Studie zeigt.
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Solche Teilaspekte werden erst Stück für Stück entdeckt und können künftig dazu beitragen, die Klimamodelle präziser und besser zu machen. Einerseits ist die Erforschung dieser Vorgänge wichtig, um Risiken besser einschätzen zu können. Andererseits können auch die zahlreichen Modellrechnungen und düsteren Aussichten auf zunehmende Extremereignisse allein wenig ändern, wenn sie bei gegenwärtigen Entscheidungen nicht berücksichtigt werden. (Julia Sica, 13.8.2022)