Sein Kanzlerbonus ist seit Dezember um acht Prozentpunkte geschrumpft: Karl Nehammer (ÖVP).

Hat in der Kanzlerfrage zum Amtsinhaber aufgeschlossen: SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner.

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Linz – Vor Beginn der Herbstarbeit liegt die SPÖ klar in Führung, und erstmals kann auch deren Parteichefin Pamela Rendi-Wagner mit Amtsinhaber Karl Nehammer in der Kanzlerfrage gleichziehen. Das geht aus der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts unter 817 Wahlberechtigten für den STANDARD hervor.

"Dass ein amtierender Bundeskanzler ohne Kanzlerbonus dasteht, das kommt relativ selten vor", kommentiert Market-Meinungsforscherin Martina Sturmair. "Zuletzt war das 2017 der Fall, als Sebastian Kurz die ÖVP übernommen hat und plötzlich deutlich bessere Werte hatte als der durchaus populäre sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern."

Nur jeder Elfte will Kurz zurück

Vor fünf Jahren spielte sich das alles allerdings auf einem deutlich höheren Niveau ab als heute: Nehammer und Rendi-Wagner kommen in der (theoretischen) Frage, wen man bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers wählen würde, derzeit auf jeweils 19 Prozent – Kern dagegen konnte seinerzeit zwischen 28 und 34 Prozent verbuchen, Kurz zwischen 32 und 42 Prozent. Aber das ist Schnee von gestern: Nur neun Prozent der Wahlberechtigten wünschen sich heute, dass Sebastian Kurz künftig noch "eine starke Rolle in der österreichischen Politik einnehmen" soll, von Christian Kern wünschen sich das 19 Prozent. Die Werte für Nehammer und Rendi-Wagner entsprechen etwa jenen der Kanzlerfrage, nämlich 18 und 19 Prozent.

Damit stellt sich die Ausgangslage für den innenpolitischen Herbst so dar:

  • Die Kanzlerpartei ÖVP kommt auf hochgerechnete 22 Prozent in der Sonntagsfrage, in der (nicht hochrechenbaren) Kanzlerfrage liegt Nehammer bei den erwähnten 19 Prozent – im Dezember waren es noch 27 Prozent, deutlich über dem hochgerechneten Wert der Volkspartei in der Sonntagsfrage.
  • Die SPÖ liegt hochgerechnet bei 30 Prozent. Die Partei von Pamela Rendi-Wagner hat in den vergangenen Monaten kontinuierlich zugelegt. Die Parteichefin hinkt in der Kanzlerfrage mit 19 Prozent allerdings weiterhin hinter dem hochgerechneten Wert ihrer Partei hinterher.
  • Die FPÖ ist mit 21 Prozent etwa gleichauf mit der ÖVP, zusammen hätten diese Parteien keine Mehrheit. Und: Parteichef Herbert Kickl wollen nur zehn Prozent als Kanzler.
  • Mit jeweils elf Prozent in der Hochrechnung liegen Grüne und Neos gleichauf auf dem vierten Platz – mit dem markanten Unterschied, dass Neos-Obfrau Meinl-Reisinger in der Kanzlerfrage auf zehn, Vizekanzler Werner Kogler dagegen nur auf sechs Prozent kommt. Eine künftig starke politische Rolle wünschen sich 21 Prozent für Meinl-Reisinger, 16 Prozent für Kogler. Die Neos-Chefin punktet nicht nur bei eigenen Parteigängern, sondern teilweise auch bei Sozialdemokraten und Grünen. Kogler beeindruckt neben seinen Grün-Wählern sehr viele ÖVP-Wähler, nur sind das eben nicht mehr viele.
  • Seit das Corona-Thema in den Hintergrund getreten ist, erscheint die Partei MFG mit drei Prozent wieder unterhalb der Mandatsränge. Deren Chef Michael Brunner würde von drei Prozent auch als Kanzler gewünscht.

Brunner bemüht sich allerdings derzeit auch darum, die Unterstützungserklärungen für die Bundespräsidentschaftswahl zusammenzubringen. Hier zeigt sich die Bedeutung der Frage, wer künftig eine starke Rolle spielen soll: Das wünschen ihm sieben Prozent, er punktet hier auch bei FPÖ-Wählern. Wenn es um die konkrete Frage geht, wen man als Bundespräsidenten wählen würde, kommt er aber nur auf zwei Prozent.

Geringe Wahlbeteiligung bei Hofburg-Wahl

"Jetzt schon ein konkretes Ergebnis der Bundespräsidentenwahl vorhersagen zu wollen wäre unseriös, man weiß ja noch nicht einmal, wer am Ende auf dem Wahlzettel stehen wird", sagt Sturmair. Sehr viel werde auch davon abhängen, wie stark die einzelnen Kandidaten ihre Anhänger motivieren können, tatsächlich wählen zu gehen: "Da gibt es ein als sozial wünschenswert erachtetes Bekenntnis zur Demokratie. Als sich Heinz Fischer 2010 um seine Wiederwahl bemüht hat, haben uns vor Beginn des Wahlkampfs 61 Prozent der Wahlberechtigten gesagt, dass sie sicher wählen gehen würden, 22 Prozent wollten eher schon – tatsächlich sind dann aber nur 54 Prozent hingegangen."

Es lohnt sich also, das beabsichtigte Wahlverhalten jener anzusehen, die vorhaben, sicher (67 Prozent) oder eher schon (18 Prozent) überhaupt wählen zu gehen. Von diesen Personen erklären sich 52 Prozent als Wähler des Amtsinhabers Alexander Van der Belllen, elf Prozent beabsichtigen, Walter Rosenkranz zu wählen. Sechs Prozent nennen Gerald Grosz, fünf Prozent Dominik Wlazny (alias Marco Pogo) und zwei Prozent den MFG-Chef Brunner. Allerdings bleibt da noch ein knappes Viertel übrig, das zwar angibt, wählen gehen zu wollen – aber nicht, wer die Stimme bekommen würde.

Nur ein Drittel erwartet Neuwahlen

Apropos Wahlabsicht: In den kommenden acht Monaten stehen sieben Wahlgänge an – von der Kremser Gemeinderatswahl über die Bundespräsidentschaftswahl bis zu den Landtagswahlen in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg. Will man da auch noch den Nationalrat (er steht regulär im September 2024 zur Wahl) vorzeitig wählen? Ein knappes Viertel – unter FPÖ-Wählern jeder Zweite, unter SPÖ-Wählern jeder Dritte – wünscht sich auf jeden Fall eine vorgezogene Neuwahl des Nationalrats. Weitere 20 Prozent tendieren eher zu Neuwahlen. Etwa gleich groß sind die Gruppen, die eher nicht (22 Prozent) oder sicher nicht (21 Prozent) vorzeitig wählen wollen. Ein näherer Blick in die Daten zeigt, dass es vor allem die ÖVP- und Grünen-Präferenten sind, die gegen Neuwahlen sind. Und während im Dezember letzten Jahres noch zwei Drittel glaubten, dass es tatsächlich Neuwahlen geben wird, glaubt das jetzt nur noch ein Drittel der Wahlberechtigten. (Conrad Seidl, 16.8.2022)