Tote Fische bei Widuchowa.

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Betreten Verboten auf einem Steg in Kostrzyn nad Odrą.

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Militäreinsatz in Widuchowa.

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Der Gestank von verwesendem Fisch löst Brechreiz aus. Im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder treiben seit Tagen zehntausende Fische mit aufgedunsenen Bäuchen im Wasser. Schon am 26. Juli hatten Angler Alarm geschlagen und polnische Behörden informiert. Doch nichts geschah. Weder die 2018 neu geschaffene Behörde "Staatlicher Wasserbetrieb Polnische Gewässer" reagierte auf die Meldungen vom mysteriösen Fischsterben in Polens zweitgrößtem Fluss noch das 2020 völlig umstrukturierte Hauptumweltinspektorat in Warschau.

Erst als am 10. August tausende Fischkadaver am deutschen Oder-Abschnitt ans Ufer gespült wurden und brandenburgische Politiker Polen vorwarfen, die Meldekette nicht eingehalten und das Nachbarland nicht von der Ökokatastrophe informiert zu haben, eilten polnische Behördenchefs und Regierungspolitiker an die Oder.

Doch vor den Kameras des Staatssender TVP Info stellten sie sich oft da auf, wo von den Fischkadavern möglichst wenig zu sehen und zu riechen war. Grzegorz Witkowski, der Vizeminister für Infrastruktur, beruhigte die aufgebrachten Oderanwohner an einer geradezu malerischen Stelle der Oder und versicherte, dass er ohne jede Bedenken ins Oderwasser springen und dort baden würde. Bei der Ankündigung blieb es dann.

Während die Deutschen nach nur einem Tag bereits einen ersten Laborbefund hatten – erhöhte Quecksilberwerte im Oderwasser, zuckten polnische Politiker auch drei Wochen nach dem Auftauchen der ersten Anzeichen für die Ökokatastrophe noch immer mit den Schultern. Im Oderwasser konnten die Labore keine außergewöhnliche Verunreinigung entdecken, Quecksilber sei auf keinen Fall für das massenhafte Fischsterben verantwortlich, jetzt würden verstärkt die verendeten Fische untersucht.

"Erhöhte Salzfrachten" in der Oder könnten eine Spur sein, die zu dem und den Tätern führen könnten. Denn anders als bisher, wo vor allem nach umweltschädlichen Industrieabfällen gesucht wurde, gerät nun auch die nitrathaltige Gülle aus der Massentierhaltung ins Visier der Ermittler. Polens Polizei hat eine Million Zloty, umgerechnet rund 210.000 Euro, für die Ermittlung des Täters ausgesetzt.

Regierung informierte spät

Während die ersten Helfer – Angler, Umweltaktivisten und engagierte Bürger, die mit bloßen Händen die verendeten Fische aus der Oder gezogen hatten, sich mit Hautverätzungen in Krankenhäusern meldeten, schickte der Krisenstab von Premier Mateusz Morawiecki (PiS) Freizeitsoldaten der sogenannten Territorialverteidigung an die Oder, um den Fluss zu reinigen. Ob Spezialeinheiten zur Bekämpfung von Chemieunfällen diese sogenannten "terytorialsi" anleiten sollten, gab der Krisenstab nicht bekannt.

Die Bürgermeister der Oder-Anrainerstädte und -dörfer werfen der PiS-Regierung inzwischen offen vor, die Bürger viel zu spät über die Gefahr informiert zu haben. Die Staatsbehörden hätten fast drei Wochen nichts getan, während die Zivilgesellschaft versucht habe, die Oder zu retten. Den Vorwurf der mangelnden Information erheben auch die deutsche Bundesumweltministerin Steffi Lemke sowie etliche Politiker von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Als Antwort entließ Premier Mateusz Morawiecki (PiS) die beiden Chefs des Staatlichen Wasserbetriebs Polnische Gewässer und des Hauptumweltinpektorats.

Als sich Morawiecki endlich selbst ein Bild von der Situation an der Oder machten will, besucht er am Samstag das Dorf Widochuwa, das 25 Kilometer entfernt von Szczecin/Stettin in der Wojewodschaft Westpommern liegt. Hier ist die Todeswelle mit den Fischkadern gerade erst angekommen. Vom Gestank der ersten von der Ökokatastrophe erfassten Orte kann Morawiecki hier also noch nicht allzu viel spüren. Gegenüber am westlichen Oderufer liegt die deutsche Stadt Schwedt an der Oder.

"Wir tun alles, um die Umweltkatastrophe so schnell wie möglich zu beseitigen", versicherte Polens Premier in blütenweißen Hemd. "Alle Dienste sind in Alarmbereitschaft." Kritisch merkte er an, dass auf polnischer Seite zwar viel zur Säuberung der Oder getan werde, er sich aber mit den Deutschen kontaktieren müsse, da "es auf deutscher Seite keine entsprechenden Maßnahmen", gebe. Kein Wort darüber, dass Polens staatliche Institutionen mit fast drei Wochen Verspätung auf die Ökokatastrophe reagierten und die Deutschen – am Tag der Kritik durch Morawiecki – rund zwanzig Tonnen Fischkadaver aus der Oder holten. (Gabriele Lesser aus Warschau, 14.8.2022)