Auf dem Rhein (im Bild) ist aufgrund der Dürre der Kohletransport für Kraftwerke derzeit eingeschränkt.

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Wien – Die Dürre in Europa gefährdet zunehmend die Stromversorgung, weil infolge des Austrocknens der Flüsse Atomkraftwerke und Wasserkraftwerke ausfallen und das Risiko besteht, dass Kohlekraftwerke nicht mehr versorgt werden können. "Es ist möglich, dass wir in Deutschland vor einer Gasknappheit noch eine Stromknappheit bekommen", sagte Alexander Weiss, Leiter der globalen Energieberatung von McKinsey, dem "Handelsblatt".

"Es kommen alle denkbaren Faktoren zusammen, die für das Stromerzeugungssystem in Summe eine immense Belastung darstellen", sagte Weiss. Lastabwürfe seien nicht unwahrscheinlich. Gemeint ist damit eine Situation, in der zum Beispiel größere Stromabnehmer aus der Industrie vom Netz getrennt werden müssen, um Stromausfälle zu verhindern.

Vorerst keine Entspannung

Die Knappheit führt schon jetzt dazu, dass mehr Strom aus Gas produziert wird. Im Juli haben deutsche Gaskraftwerke 13 Prozent mehr Strom erzeugt als im Juli des Vorjahrs. Für August sind es bisher 24 Prozent mehr.

Klimawissenschafter sehen vorerst keine Entspannung. Zwar sei in den nächsten zehn Tagen in vielen Regionen Europas Regen zu erwarten, sagte Andrea Toreti vom European Drought Observatory der EU-Kommission. "Die langfristige Vorhersage für die nächsten drei Monate deutet jedoch immer noch auf trockenere Bedingungen als üblich hin." Der Hydrologe Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung weist darauf hin, dass die trockenste Zeit des Jahres in der Regel erst im September beginnt.

Eine Folge der Klimakrise

Die Trockenheit ist eine Folge der Klimakrise. In Südeuropa nimmt die jährliche Niederschlagsmenge ab, was zu häufigeren und intensiveren Dürren als noch vor hundert Jahren führt und letztlich die Wüstenbildung begünstigt. Aber auch ohne Änderungen im Niederschlagsmittel kommen trockene Böden häufiger vor, da die höheren Lufttemperaturen dem Boden durch Verdunstung Wasser entziehen. Mit zunehmender Dauer der Trockenphasen steigt auch das Waldbrandrisiko, wie es in weiten Teilen Europas zu beobachten ist.

Zum Teil werden die niedrigen Pegelstände der Flüsse noch durch Wasser von den Gletschern kompensiert. Dass ist etwa bei der Donau der Fall. Dass hier die Stromproduktion auf niedrigerem Niveau weiterläuft, liegt am Inn als Zubringerfluss, der noch mit viel Gletscherwasser gespeist wird.

14 Prozentpunkte weniger Strom beim Verbund

Auch der Verbund merkt in seinen Flusskraftwerken die derzeit geringeren Wassermengen. Aktuell werde um 14 Prozentpunkte weniger Strom erzeugt als im langjährigen Durchschnitt, hieß es auf APA-Anfrage. Auch deshalb sei eine Diversifizierung der österreichischen Stromerzeugung hin zu mehr Photovoltaik und Windkraft sinnvoll, so Pressesprecherin Ingun Metelko.

Weniger Wasser wirkt sich übrigens nicht eins zu eins auf die Stromerzeugung aus. Die Energieausbeute ist nicht nur von der Wassermenge, sondern auch von der Fallhöhe beim jeweiligen Kraftwerk abhängig. Sinkt der Wasserstand, steige der Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser und somit die Fallhöhe, erklärte die Verbund-Sprecherin. Der energetische Erzeugungsverlust werde so gemildert.

Dass die Lauf- und Schwellwasserkraftwerke in Österreich aktuell weniger zur Stromdeckung beitragen, zeigt sich auch in den Daten des Übertragungsnetzbetreibers APG. So lieferten sie am Montag im Schnitt rund 2.400 Megawatt an Leistung. Zum Vergleich: Am 15. August 2021 waren es im Tagesschnitt über 3.400 MW.

Industrieprobleme in Deutschland nur "Frage der Zeit"

Auch die deutsche Industrie schlägt wegen der niedrigen Pegelstände auf den Wasserstraßen Alarm. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können", sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, am Dienstag.

Die Folge wären Lieferengpässe, Produktionsdrosselungen oder -stillstände und Kurzarbeit. Die Trockenperiode und das Niedrigwasser würden die Versorgungssicherheit der Industrie bedrohen. "Die Unternehmen stellen sich auf das Schlimmste ein. Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in den Unternehmen verschärft sich", so Lösch.

Drohende Engpässe auf Wasserstraßen

"Binnenschiffe fahren, wenn überhaupt, zurzeit mit minimaler Auslastung. Ein Umstieg von der Binnenschifffahrt auf Schiene und Straße gestaltet sich in diesem Sommer wegen der Engpässe auf der Schiene, der Corona-Pandemie und des Fahrermangels schwierig", sagte Lösch. Das enorme Niedrigwasser könnte außerdem den Notstand der Energieversorgung verschärfen. "Die politischen Pläne, angesichts der Gaskrise vorübergehend stärker auf Kohle zu setzen, werden von massiven Transportengpässen durchkreuzt. Neben dem Kohletransport hängt auch die Kraftstoffversorgung vom Transport über Wasserstraßen ab."

Lösch forderte, die deutsche Regierung müsse gemeinsam mit den Ländern, der Logistikwirtschaft und der Industrie eine engmaschige Überwachung einführen, um auf Engpässe auf den Wasserstraßen frühzeitig reagieren zu können.

Pegelstand im Rhein auf null

Vor allem Fracht- und Personenschiffe kämpfen seit Wochen mit Niedrigwasser. Binnenschiffer müssen bei ihrer Ladung den Tiefgang des Schiffes beachten. Bei niedrigen Wasserständen können sie weniger Fracht befördern – irgendwann wird der Transport unwirtschaftlich.

An einem Teilabschnitt des Rheins war der Pegelstand wegen ausbleibender Regenfälle am Dienstag bereits auf null gefallen. Dieser Wert wurde am Niederrhein in Emmerich nahe der Grenze zu den Niederlanden gemessen, sagte der Sprecher des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Rhein, Christian Hellbach, der Nachrichtenagentur Reuters. Erst am Montag war hier mit drei Zentimetern das bisherige Rekordtief vom Oktober 2018 unterboten worden. Der Pegelstand ist nicht gleichbedeutend mit der für die Schifffahrt entscheidenden Fahrrinnentiefe. Diese lag in Emmerich zuletzt bei knapp unter zwei Metern. "Schiffe können weiter verkehren", sagte Hellbach. "Sie müssen aber ihre Ladung entsprechend anpassen." (APA, 16.8.2022)