Vor drei Wochen verkündete Russland seinen Ausstieg aus der Internationalen Raumstation, die Details zu diesem Schritt sind aber weiterhin offen. Fest steht, dass die vertragliche Kooperation zum Betrieb der ISS 2024 endet und Russland keine Verlängerung des internationalen Prestigeprojekts anstrebt. Nun hat die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos ein Modell einer geplanten eigenen Raumstation vorgestellt, die künftig zumindest zeitweise Menschen beherbergen soll.

Ein Modell der russischen Raumstation "Ross" wurde am Montag vorgestellt.
Foto: EPA/MAXIM SHIPENKOV

Bei der am Montag bei einer Rüstungs- und Industriemesse nahe Moskau abgehaltenen Präsentation hieß es, dass die "Ross" genannte Station nach aktueller Planung nicht ständig, sondern zweimal im Jahr für einen längeren Zeitraum von Kosmonautinnen und Kosmonauten bewohnt werden soll. Der Aufbau der Station soll nach Angaben von Roskosmos in zwei Phasen durchgeführt werden.

In der ersten Phase soll die Basisstation mit vier Modulen in Betrieb genommen werden. Später würden zwei weitere Module und eine Serviceplattform folgen, hieß es in einer Mitteilung der Behörde. Nach der Fertigstellung könnten bis zu vier Kosmonauten sowie wissenschaftliche Geräte im Erdorbit untergebracht werden.

Fraglicher Zeitplan

Russischen Staatsmedien zufolge könnte der Start der ersten Stufe bereits 2025, spätestens aber 2030 erfolgen. Die zweite Aufbauphase soll demnach zwischen 2030 und 2035 abgeschlossen werden. Nach Angaben von Roskosmos würde die neue Station den russischen Kosmonauten zu Überwachungszwecken einen wesentlich umfangreicheren Blick auf die Erde bieten als ihr derzeitiges Segment. Dmitri Rogosin, der im Juli abgesetzte Roskosmos-Chef, hatte in der Vergangenheit angedeutet, die Raumstation könne bei Bedarf auch militärische Zwecke erfüllen.

Wie schnell aus dem Plastikmodell eine echte Station im Orbit werden könnte, ist unklar – Experten bezweifeln den ambitionierten Zeitplan, den russische Medien zitieren.
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Der kolportierte Zeitplan sorgt indes für große Zweifel. Nach Ansicht von Experten wird der Ausstieg Russlands aus der ISS einen weiteren Rückschlag für den Raumfahrtsektor des Landes bedeuten, der seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit harten Sanktionen belegt ist. Dem ISS-Ende dürfte eine "mehrjährige Pause" für bemannte russische Flüge folgen, sagte der Weltraumexperte Witali Jegorow im Juli. Russland sei weit davon entfernt, eine eigene Infrastruktur im Orbit zu haben. Der Aufbau eines solchen Außenpostens im All würde "selbst mit der großzügigsten Finanzierung mindestens zehn Jahre dauern" – und von einem solchen Budget sei aktuell nicht auszugehen.

Ende einer Mega-Kooperation

Der neue Roskosmos-Chef Juri Borissow räumte damals ein, dass sich die russische Raumfahrtindustrie in einer "schwierigen Situation" befinde. Er werde sich darum bemühen, "die Messlatte höher zu legen" und die russische Wirtschaft mit raumfahrtbezogenen Dienstleistungen wie Navigation, Kommunikation und Datenübertragung zu versorgen. Eine aktuelle Stellungnahme zu den Plänen der "Ross"-Station gab es von ihm vorerst nicht.

Juri Borissow war seit 2018 russischer Vizeministerpräsident, im Juli löste er Dmitri Rogosin an der Spitze von Roskosmos ab.
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Die im Oktober seit 22 Jahren durchgängig bewohnte Internationale Raumstation war nach dem Ende des Kalten Krieges zum Leuchtturmprojekt der Zusammenarbeit zwischen Ost und West geworden, als die USA und Russland die Kooperation vertieften und ihre jeweiligen Pläne zum Bau eigener Großstationen zugunsten eines Gemeinschaftsprojekts aufgaben. Auch die Europäische Weltraumorganisation (Esa) sowie die Raumfahrtagenturen Kanadas (CSA) und Japans (Jaxa) waren von Anfang an dabei. Aus technischer Sicht könnte die Station wohl problemlos bis zum Ende des Jahrzehnts weiterbetrieben werden – nach dem russischen Ausstieg 2024 ist das wohl vom Tisch. (dare, APA, Reuters, 16.8.2022)