Die CO2-Reduktionsziele von Konzernen im Energiesektor halten laut wissenschaftlicher Analyse nicht, was sie versprechen.
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Laxenburg/Wien – Die Misere der internationalen Klimapolitik liegt zumeist darin, dass sich die Staaten zwar ambitionierte Ziele setzen. Die Abkommen sind aber viel zu unverbindlich, und so hapert es schließlich an der Einhaltung. Noch hoffnungsloser sieht die Situation jedoch bei Großkonzernen aus, die im fossilen Energiesektor tätig sind. Wie eine aktuelle Studie zeigt, würden nicht einmal die Vorhaben der führenden Konzerne ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können: In nur einem von sechs untersuchten Szenarien wären die CO2-Reduktionen von Firmen mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar.

Der enorme Anteil, den Unternehmen an den globalen CO2-Emissionen haben, stand im Vorjahr im Zentrum eines aufsehenerregenden Prozesses in den Niederlanden. Umweltschutzorganisationen hatten den Öl- und Erdgaskonzern Shell in einem großen Klimaprozess per Klage aufgefordert, seinen CO2-Ausstoß zu senken. Im Mai 2021 entschied ein Gericht in Den Haag, dass der britisch-niederländische Konzern seine Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um netto 45 Prozent gegenüber 2019 senken muss.

Ernüchternder Check von Klimaplänen

Wie gut Klimapläne von Shell, dem Mineralölunternehmen BP und dem norwegischen Erdöl- und Erdgaskonzern Equinor zu dem 1,5-Grad-Ziel passen sowie zwei Szenarien, mit denen die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet, hat ein Team um Robert Brecha von der NGO Climate Analytics in Berlin in Zusammenarbeit mit Forschern des Imperial College London und des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg, Niederösterreich, analysiert. Unter Namen wie "Rebalance" (Equinor), "Sky 1.5" (Shell), "Rapid" oder "Net Zero" (BP) haben die Unternehmen Pfade formuliert, die laut den Konzernen teils mit dem 1,5- bzw. dem Zwei-Grad-Ziel kompatibel sein sollen. Shell räumt in seinem bis zum Jahr 2100 reichenden Szenario aber beispielsweise ein, dass vor der Eindämmung des Anstiegs auf rund 1,5 Grad über dem Temperaturlevel vor Beginn der Industrialisierung mit einem zeitweisen Überschießen dieses Zieles zu rechnen ist.

Das Forschungsteam brachte die jeweiligen Szenarien nun in Verbindung mit jenen Modellen, von denen der Weltklimarat (IPCC) aktuell bei seinen längerfristigen Simulationen ausgeht. Unter den insgesamt sechs seitens der Konzerne und der IEA ins Spiel gebrachten Szenarien ist demnach nur eines mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel, heißt es in der Arbeit, die in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature Communications" erschienen ist. Dieses ist das "Net Zero Emissions"-Szenario der IEA, bei dem der weltweite Energiesektor bis zum Jahr 2050 sogenannte Netto-Null-Emissionen erreicht. Dazu muss der gesamte schädliche Ausstoß von Treibhausgasen wieder ausgeglichen werden.

Die Ziele zur Reduktion von Emissionen von Ölkonzernen sollten von unabhängiger Stelle bewertet werden, betonen Forschende.
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Scheitern des Pariser Klimaabkommens wahrscheinlich

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Temperatur den Maximalwert eines 1,5-Grad-Plus im Jahr 2100 trotzdem knapp übersteige, liege aber auch unter dieser Annahme bei rund 60 Prozent. Die weiteren fünf untersuchten Emissionsreduktionspfade führen im Schnitt zu einem wahrscheinlichen Plus zwischen 1,65 und 1,81 Grad Celsius, wie die Analyse zeigt. "Die meisten der von uns bewerteten Szenarien würden als unvereinbar mit dem Pariser Abkommen eingestuft werden, da sie die Erwärmung nicht auf deutlich unter zwei Grad, geschweige denn 1,5 ̊Grad, begrenzen und die 1,5-Grad-Erwärmungsgrenze deutlich überschreiten würden", sagt Brecha.

Für die Forschenden zeigen die Untersuchungen einmal mehr, dass Szenarien, bei denen das Zurückfahren der großflächigen Nutzung von fossilen Treibstoffen weiter hinausgezögert wird, fast immer mit einem zumindest zeitweisen deutlichen Überschießen der 1,5-Grad-Marke einhergehen. Offen ist vielfach auch, wie dann gegen Ende des Jahrhunderts jene Mengen an CO2 wieder aus der Atmosphäre entnommen werden sollen, die notwendig wären, um die globalen Temperaturen auf das angestrebte Maß zu begrenzen – respektive dann effektiv abzusenken. Ein weiteres Fragezeichen sind die Emissionen weiterer Treibhausgase wie Methan und Lachgas.

"Nicht zulassen, dass Ölfirmen ihre eigene Arbeit bewerten"

Unternehmen sollten in Zukunft klarere Aussagen über ihre Pläne und Annahmen zur Reduktion machen, damit diese auch extern analysiert werden können, betonen die Forschenden. "Es ist wichtig, dass wir nicht zulassen, dass Ölfirmen ihre eigene Arbeit bewerten, wenn sie Vorschläge machen, wie die Welt von fossilen Brennstoffen wegkommen kann, um das Pariser Abkommen zu erfüllen", sagt Studienkoautor Robin Lamboll vom Zentrum für Umweltpolitik am Imperial College London.

Bei der mangelnden Nachvollziehbarkeit sind die Firmen und Institutionen aber nicht alleine. Auch die Zusagen und Bekenntnisse vieler Staaten und Staatenbünde, in den kommenden Jahrzehnten Netto-Null-Emissionen zu erreichen, sind nämlich vielfach schwer miteinander vergleichbar und wenig konkret, betonen die Forschenden. (trat, Apa, 16.8.2022)