Rauch steigt auf der Krim über einem Munitionslager auf.

Foto: Imago / Sergei Malgavko

Einmal mehr rückt die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim in den Mittelpunkt des Ukraine-Kriegs. So wie vergangene Woche wurde sie am Dienstag von Explosionen erschüttert, diesmal in einem Munitionslager im Norden der Krim. Neben dem Militärlager seien auch zivile Objekte wie Stromleitungen, Bahngleise, ein Kraftwerk und Wohngebäude getroffen worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium der Nachrichtenagentur Interfax.

Sergej Aksjonow, Verwaltungschef der Krim, berichtete Dienstagvormittag von zwei Verletzten durch eine Explosion in einem Dorf des Gebiets Dschankoj. 20 Kilometer entfernt geriet ein Umspannwerk in Brand. Zudem gab es Detonationen im Dorf Maiskoje auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofs, das von den russischen Truppen als Munitionslager genutzt wird. Der Zugverkehr wurde unterbrochen, 3.000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden.

Sabotage?

Moskau sprach von einem "Sabotageakt", während es aus Kiew noch keine offizielle Stellungnahme gab. Auch die Explosionen vergangene Woche auf einem Militärstützpunkt auf der Krim hat die Ukraine nicht als Angriff bestätigt. Experten gehen aber davon aus, dass ukrainische Truppen mittlerweile über Raketen mit größerer Reichweite verfügen, mit denen sie eben auch Ziele auf der Krim treffen können.

"Das ist nur der Anfang", twitterte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach der Explosion letzte Woche. Zu den jüngsten Detonationen schrieb er: "Der Morgen nahe Dschankoj begann mit Explosionen. Zur Erinnerung: Die Krim eines normalen Landes heißt Schwarzes Meer, Berge, Erholung und Tourismus; die von Russen besetzte Krim bedeutet Explosionen von Depots und ein hohes Todesrisiko für die Invasoren und Diebe. Die Entmilitarisierung ist im Gang."

In einem "Guardian"-Interview deutete Podolajk zudem an, dass "in den kommenden zwei, drei Monaten" ähnliche Attacken folgen könnten, da schließe er sich der Meinung des russischen Verteidigungsministeriums an. Die Krimbrücke sei jedenfalls ein legitimes militärisches Ziel, denn es sei eine "illegale Konstruktion, um die russischen Truppen auf der Krim zu versorgen", die "zerstört werden sollte", so der Berater. Zu möglichen Friedensverhandlungen sagte er nur: "Russische Ohren öffnen sich nur wenn ein riesiger militärischer Knüppel auf den russischen Kopf schlägt."

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte immer wieder betont, die Sicherheit der militärisch hochgerüsteten Krim zu verstärken. Allerdings stellt sich angesichts der jüngsten Entwicklungen die Frage, inwiefern die aktuellen Maßnahmen noch ausreichen. Am 15. August überfuhren mit 38.297 so viele Autos wie noch nie die Krimbrücke. Vieles deutet daraufhin, dass Russinnen und Russen, die sich seit der Annexion auf der Halbinsel niederließen, wieder auf russisches Gebiet zurückkehrten.

Selenskyj warnt Landsleute in besetzten Gebieten

Nach einer Reihe von schweren Explosionen in russischen Militäranlagen auf der Krim hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj indes die Ukrainer in besetzten Gebieten zu Vorsicht aufgerufen. "Bitte gehen Sie nicht in die Nähe der militärischen Einrichtungen der russischen Armee und all jener Orte, an denen sie Munition und Ausrüstung lagern, wo sie ihre Hauptquartiere unterhalten!", sagte Selenskyj am Dienstagabend in seiner Videoansprache. Er richtete diesen Appell an "alle unsere Leute auf der Krim, in anderen Regionen im Süden der Ukraine, in den besetzten Gebieten des Donbass und in der Region Charkiw".

Kein Atomwaffeneinsatz

Russischen FSB-Beamten zufolge soll es in der russischen Oblast Kursk in den vergangenen Tagen zur Sprengung von sechs Strommasten gekommen sein, die unter anderem für den Stromtransport vom nahegelegenen Atomkraftwerk weg verantwortlich sind. Die Russen machten – wie des Öfteren in den vergangenen Wochen – ukrainische Saboteure für die Aktionen verantwortlich und behandelt diese Sprengungen als "Akt des Terrors".

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu sieht unterdessen keinen Grund für einen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine. Dies erklärte er in seiner Rede bei einer internationalen Sicherheitskonferenz in Moskau. Dabei warf er dem Westen eine weitreichende Beteiligung an ukrainischen Gegenoffensiven vor, vor allem Washington und London. Und vielen Berichten widersprechend erklärte er, Russland halte sich in der Ukraine gegenüber Zivilisten und Gefangenen an das Völkerrecht.

Russland und die Türkei sind sich aber offenbar über einen neuen Deal zur Lieferung weiterer S-400 Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-Systeme einig. Bereits der erste Vertrag der beiden Staaten über den Kauf der russischen S-400-Systeme hat unter den Nato-Partnern für schwere Verstimmung gesorgt. Washington forderte Ankara auf, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen und verhängte Sanktionen. Nun folgt offenbar der zweite Vertrag. "Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass irgendein Land in den kommenden Jahren ein Raketensystem entwickeln könnte, das dem S-400-Raketensystem in Bezug auf seine Leistung nahe kommt", sagte der Leiter des Föderalen Dienstes für militärtechnische Zusammenarbeit, Dmitri Schugajew am Rande der 10. internationalen Sicherheitskonferenz in Moskau.

Guterres trifft Selenskyj und Erdoğan in Lwiw

Nicht nach Moskau, aber nach Lwiw will der Vorsitzende der Vereinten Nationen Antonio Guterres. In der westukrainischen Stadt will er Selenskyj und dessen türkischen Amtskollegen Tayyip Erdoğan treffen. Ein Thema werde auch die Schwarzmeer-Getreideinitiative sein, hieß es. Bei dieser spiele die Türkei eine entscheidende Rolle. Nach türkischer Darstellung soll es bei dem Treffen Selenskyjs mit Guterres und Erdoğan auch um diplomatische Wege aus dem Krieg gehen.

Selenskyj wollte Panik vor Kriegsbeginn vermeiden

In der "Washington Post" erklärte Selenskyj indes den Verzicht auf offene Kriegsvorbereitungen vor dem 24. Februar. Er begründete dies damit, dass er sein Land nicht in Panik versetzt haben wollte. Die USA hätten ihn ab Herbst 2021 immer eindringlicher vor einer russischen Invasion gewarnt, sagte Selenskyj. Seine Führung habe einen wirtschaftlichen Zusammenbruch vermeiden und die Bevölkerung im Land halten wollen.

Wenn er damals gesagt hätte, dass seine Landsleute Geld und Lebensmittel horten sollen, "dann hätte ich seit vergangenem Oktober jeden Monat sieben Milliarden US-Dollar verloren", sagte der Präsident. "Und wenn Russland dann angreift, hätten sie uns in drei Tagen erobert gehabt." Die Menschen in der Ukraine zu halten, sei der Schlüssel dazu gewesen, das Land zu verteidigen. "Denn im Chaos fliehen die Leute aus dem Land." Kritiker halten Selenskyj vor, dass er die Ukraine trotz Warnungen nicht besser auf die Invasion vorbereitet habe. (Kim Son Hoang, Fabian Sommavilla, red, APA, 16.8.2022)