William Ruto zeigt am Montag ein Dokument mit den Ergebnissen der Wahl.

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Zehn Jahre ist es her, dass die politische Erzählung jenes Mannes, der Montagabend zum neuen Präsidenten Kenias ausgerufen wurde, beinahe ein jähes Ende gefunden hätte. Nachdem 2007 1200 Menschen bei Unruhen nach der Präsidentschaftswahl ums Leben gekommen waren, geriet William Ruto wegen Aufstachelung zur Gewalt 2012 in das Visier des Internationalen Strafgerichtshofs. Erst 2016 – der einst so lautstarke Unterstützer des Oppositionellen Raila Odinga hatte längst bei dessen Gegner Uhuru Kenyatta als Vizepräsident angeheuert – stellte das Tribunal die Ermittlungen ein, weil zu viele Zeugen bedrängt und bedroht wurden.

Rutos Karriere, die ihn, von Fälschungs- und Manipulationsvorwürfen flankiert, nun vermutlich selbst in den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Nairobi führt, birgt eine Geschichte voller Widersprüche und Verwerfungen. Hervorstechendstes Talent des 55-Jährigen: zum richtigen Zeitpunkt die Seiten zu wechseln. Erst überwarf er sich mit Odinga, um bei dessen Gegenspieler Kenyatta Karriere zu machen, später sagte er sich auch von diesem los, um selber Präsident zu werden.

Den Wahlkampf, in dem sich der studierte Pflanzenökologe seinem einstigen Idol Odinga gegenübersah, inszenierte Ruto als Kampfzone zwischen den "hustlers", also den jungen, schlecht ausgebildeten Tagelöhnern auf der einen Seite, und den "dynasties" auf der anderen.

Langjähriger Diener der Kenyattas

Obwohl er selbst zuletzt neun Jahre lang als Vizepräsident einer der einflussreichsten Politdynastien Kenias diente, den Kenyattas nämlich, und vorher als Minister der ebenfalls mächtigen Odinga-Familie treu ergeben war, gelang es dem gewieften Redner, sich unter dem Banner der Scheibtruhe als Stimme der Armen zu stilisieren.

Tatsächlich hat sich der gläubige Protestant von ganz unten nach oben gearbeitet. Auf seiner Wahlkampftour berichtete er von seiner Jugend im westkenianischen Rift Valley, wo er sich und seine Familie durch den Verkauf von Hühnern über Wasser hielt und erst mit 15 ein Paar Schuhe sein Eigen nannte. Dass der sechsfache Familienvater selbst mittlerweile schwerreich und in zahlreiche Skandale verwickelt ist, darunter Korruption und Landraub, tat der Heldensaga keinen Abbruch. Doch ob Ruto nun tatsächlich am Ziel ist oder ob seine Geschichte noch eine andere, womöglich gewaltsame Wendung nimmt, steht in den Sternen. Kenia stehen unruhige Zeiten bevor. (Florian Niederndorfer, 16.8.2022)