Linz – Was AC/DC für Rock 'n' Roll sind, stellen Wizo für deutschen Punkrock dar. Seit mehr als 30 Jahren zählt die Dreierkombo aus Sindelfingen in der Nähe von Stuttgart zu den fixen Szenegrößen. Im Rahmen des Sbäm-Festivals in Linz hat sich der STANDARD mit Frontman Axel Kurth über Lügen in sozialen Medien, Anarchie, staatsnahe Punks und Kinderlieder unterhalten.

STANDARD: Wenn Sie einen riesigen Banner auf dem Linzer Hauptplatz aufhängen könnten, was würde darauf stehen?

Kurth: Das ist nicht einfach, ich überlege sogar lang, welche T-Shirts ich trage, weil man auch damit etwas aussagt. Einen genauen Wortlaut kann ich jetzt nicht sagen, aber das Thema würde Gleichberechtigung von Frauen, queeren Menschen und anderen marginalisierten Gruppen sein. Als weißer Mann um die 50 gehörte ich immer zu den Privilegierten. Viele Männer in meinem Alter weigern sich, von irgendetwas abzurücken. Kaum jemand ist bereit, nur ein bisschen zu verzichten, auch wenn es uns dann allen besser ginge.

Seit mehr als 30 Jahren steht Axel Kurth mit Wizo auf der Bühne. Er wünscht sich weniger Sebastian-Kurz-Mentalität in der Gesellschaft.
Foto: RaphaelSperl

STANDARD: Sie besingen die "Chaostage 94" in Hannover. Waren Sie bei den heurigen Chaostagen auf Sylt auch dabei? Lohnt sich der Vergleich überhaupt?

Kurth: Nein, das kann man nicht vergleichen. In unserer Gesellschaft sind alle immer online, so etwas ist dann gleich einmal organisiert. Damals hätte das niemand organisieren können, selbst wenn jemand gewollt hätte. Heuer saßen im Endeffekt ein paar lustige Punks im Brunnen. Aber wenn das Wort Chaostage noch ein bisschen provoziert und Grusel in der bürgerlichen Gesellschaft erzeugt, dann bitte, immer her damit.

STANDARD: In Wizo-Songs werden Social Media regelmäßig scharf kritisiert. Was geht Ihnen am meisten auf die Nerven?

Kurth: Leute können immer noch nicht zwischen der Realität unterscheiden und dem, was der von ihnen selbst dressierte Algorithmus vorgibt. In sozialen Medien entstehen so viele Missverständnisse, die es in einem Gespräch nie geben könnte. Außerdem verstehen viele Menschen nicht, dass sie als Social-Media-User nicht Kunde sind, sondern das Produkt für Werbung. Als Band ist das doppelt blöd, weil wir mit unserem Content auch Content für die Konzerne erzeugen. Auf Facebook lügen wir deswegen viel und gerne.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Kurth: Ich habe unser 75-jähriges Bandjubiläum angekündigt. Das ist aber auch nur der verzweifelte Umgang mit dem Fakt, dass du Social Media als Band kaum positiv nutzen kannst. Will ich in einem Feed auftauchen, muss ich sehr viel Geld investieren. Selbst wenn es schwer zu glauben klingt, es geht auch ohne Social Media – auch für kleine Bands. Es muss halt der Rest passen.

WIZO

STANDARD: Wie wirkt sich der Vormarsch von Streamingplattformen auf Bands aus?

Kurth: Dramatisch. Wir veröffentlichen erst wieder Musik, wenn wir einen Link zu Tickets für eine Tour daruntersetzen können. Geld kommt wegen des Streamings fast nur noch bei Konzerten rein, deswegen müssen wir die Leute auf Shows bekommen. An einem neuen Album verdient hauptsächlich Spotify. Das ist eine perverse Situation, man will als Musiker ja Musik für die Leute machen, aber die Streamingdienste halten mich zurück.

STANDARD: Die Pandemie stellte vieles auf den Kopf. Punks gaben sich plötzlich staatsnahe, und vor allem die Rechten wurden laut und führten Demos an. Was ist da passiert?

Kurth: Politisch eine sehr komplizierte und verwirrende Situation. Am schlimmsten war, als ich mich dabei ertappte, dass ich derselben Meinung bin wie Markus Söder (bayerischer Ministerpräsident, CSU, Anm.). Er war immer ein klarer Kompass für alles, was ich furchtbar finde. Doch in dem Fall ging es um Vernunft. Mein Umfeld und ich waren von Anfang an im Team Wissenschaft, da ist man dann halt auch mal mit seinen "Gegnern" einer Meinung. Ich nenne es Vernunftproblem.

STANDARD: Werden Sie diesen Zwist in Liedern verarbeiten?

Kurth: Ich schreibe seit Jahrzehnten Songs gegen Politiker, die nur Lobbyinteressen nachhecheln. Songs gegen machtgierige Despoten und konservatives Denken. Und plötzlich laufen Wizo-Lieder auf Querdenker-Demos, da hätte ich fast mein Inneres nach außen gewürgt. Mir wurde dadurch aber auch klar, wie anschlussfähig unsere Texte für Verschwörungstheoretiker sein können. Seit mehr als zwei Jahren habe ich keinen einzigen Song geschrieben. Hätten wir während der Pandemie etwas veröffentlicht, hätte das durchaus falsch verstanden werden können. Mit dieser Unsicherheit müssen wir erst umgehen lernen.

Neue Lieder veröffentlichen Wizo erst wieder, wenn eine Tour ansteht.
Foto: Michael Fasching

STANDARD: Träumen Sie wirklich von Anarchie, die Sie in Ihren Texten oft besingen? Wenn ja, wie soll diese Anarchie aussehen?

Kurth: Mit unserer jetzigen Gesellschaft würde die berühmte Anarchie natürlich nicht funktionieren. Jeder könnte dem, was die Gesellschaft für einen vorsieht, aber einmal den anarchistischen Grundgedanken entgegensetzen. Dass es egal ist, was du hast, wer du bist, was du giltst oder wie du aussiehst. Dass es um eigene Zufriedenheit geht, jenseits von Statussymbolen, oder weil man Macht über andere ausübt. Der anarchistische Grundgedanke kann helfen, sich ein bisschen lockerer zu machen. Wenn dir jemand sagt, so hast du Dinge zu machen, kannst du die Gegenfrage stellen: Muss ich das wirklich?

STANDARD: Sie sprechen also mehr vom Aufbrechen von gesellschaftlichen Normen, verpackt in ein provokantes Wort?

Kurth: Ja, genau. Es kann jeder etwas für ein bisschen mehr Empathie tun, man muss nicht immer alles nur für sich festkrallen. Weniger Gier, weniger Egoismus, weniger Sebastian-Kurz-Mentalität würde ich mir wünschen.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit auch schon Kinderlieder geschrieben. Wie passt das zusammen?

Kurth: Würde ich wirklich laufend Kinderlieder schreiben, wäre ich reich. (lacht) Als in den 2000ern Klingeltöne modern waren, gab es einen Hasen namens Schnuffel, für den wurde ein Album produziert. Über einen Freund hat es sich ergeben, dass ich bei dem Album vier Stücke beigetragen habe. Kitschige Songs für Schnuffel zu schreiben fand ich extrem witzig, darum hab ich es auch publik gemacht. Es gibt für mich keine Grenzen beim Musikmachen, ich habe auch schon Filmmusik und Werbung komponiert. Ich kann und will gar nichts anderes machen. Allerdings macht es einen großen Unterschied, was ich verkaufe und womit ich auf die Bühne gehe.

WIZO

STANDARD: Gibt es Parallelen zwischen Punk und Kinderliedern?

Kurth: Einen der Schnuffel-Songs habe ich einmal auf eine Wizo-Nummer umgeschrieben, das haben wir zwar noch nicht aufgenommen, es passiert aber vielleicht noch. Melodisch gibt es auch Parallelen. Ich habe mich immer bemüht, eine einfache Sprache zu sprechen, ohne gestelzte Kunstbegriffe. Dann ist man nicht weit weg von Kindermusik. Kinder lassen sich von pseudoesoterischem Gebrabbel nicht einlullen, das finde ich cool. Für unser Lied Adagio bekommen wir massig Feedback, dass viele Kinder nicht genug bekommen davon und es auswendig rauf und runter singen können. (Andreas Danzer, 19.8.2022)