Tiefseelebewesen nehmen oft bizarre Formen an, wie etwa dieser Anglerfisch, der mit einem Lichtpunkt am Ende einer körpereigenen "Angel" auf Beutefang geht. Wie alle Meerestiere ist er auf Sauerstoff zum Atmen angewiesen.
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Tausche Nährstoffe gegen Sauerstoff – so ließe sich das "Geschäftsmodell" der Tiefsee beschreiben, mit dem aus einem lichtlosen Abgrund bei mehreren Hundert Bar Druck ein Lebensraum für unzählige, zum Teil noch unbekannte Arten wird. Es sind globale Meeresströmungen, die für diesen Austausch sorgen. Sie bringen Sauerstoff in die Tiefe und Nährstoffe an die Oberfläche. Damit ermöglichen sie nicht nur das Leben in der Tiefsee, sondern wirbeln auch abgesunkenes biologisches Material an die Oberfläche, das dort als dringend benötigte Nahrungsquelle dient.

Doch diese lebenswichtigen Strömungen funktionierten nicht immer: In der Geschichte unseres Planeten gab es regelmäßig wiederkehrende Phasen, in denen der Wasseraustausch zwischen Oberfläche und Meeresgrund zum Erliegen kam.

Todeszone Tiefsee

Die Folgen waren dramatisch: Zig Millionen Jahre dauerten die Perioden, in denen der Meeresboden, abgesehen von einigen flachen Küstengewässern, von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten war. Wenig überraschend waren diese Zeiten mit großen Massensterben von Meereslebewesen verbunden. Erst vor etwa 440 Millionen Jahren, mit dem Erdzeitalter des Silur, wurden die Meeresströmungen stabil genug, um eine dauernde Durchmischung zu gewährleisten.

Forschende an der Universität Kalifornien, Riverside, haben nun in einer im "Fachjournal Nature" veröffentlichten Arbeit gezeigt, dass der Effekt mit Veränderungen der Kontinente zusammenhängt.

Langsame Kontinentalverschiebung

"Auf den ersten Blick mag die Kontinentalverschiebung zu langsam erscheinen, um etwas so Drastisches auszulösen", sagt Andy Ridgwell, einer der Autoren der Studie. Aber unter bestimmten Umständen könne auch ein scheinbar kleines Ereignis große Umwälzungen der globalen Meeresströmungen verursachen. Diese Veränderungen könnten durchaus auch spontan geschehen, wie die Forschenden berichten.

Eine Qualle aus dem Atlantik, gefunden in etwa 2.700 Meter Tiefe.
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Simulation in der Tiefe

Ridgwell und das Forschungsteam verwendeten dafür ein erweitertes Modell des frühen Ozeans. Frühere Modelle der Sauerstoffsättigung in den Meeren während der letzten 540 Millionen Jahre hatten die Meeresströmungen in der Tiefe nicht berücksichtigt, sondern nur die Oberfläche der Ozeane betrachtet – ein zu einfaches Bild, wie das Forschungsteam herausfand. "Bisher ging man davon aus, dass Veränderungen in den Sauerstoffkonzentrationen in den Meeren ähnliche Veränderungen in der Atmosphäre widerspiegelten." Nun gebe es eine bessere Erklärung.

Todesurteil für Leben in der Tiefe

Der deutliche Einfluss der Kontinente auf das Funktionieren oder den Zusammenbruch der lebenswichtigen Strömungen sei überraschend gekommen, berichten die Forschenden. "Das Zusammenbrechen der Wasserkonzentration kommt für alles Leben, das nicht nahe an der Oberfläche schwimmen kann, einem Todesurteil gleich", sagt Ridgwell. Ein dramatisches Ereignis angesichts des vielfältigen Lebens in der Tiefsee, wo nach Schätzungen bisher nur ein Drittel der aktuell lebenden Arten bekannt ist. Immer wieder kommt es zur Entdeckung neuer, bizarrer Arten. Sie haben entscheidenden Einfluss auf das globale Ökosystem, etwa durch das Speichern von CO2 aus der Atmosphäre.

Lokale Todeszonen

Sauerstoffarme Todeszonen am Meeresgrund sind heutzutage ein lokales Phänomen. Sie können in Küstennähe durch Überdüngung aufgrund landwirtschaftlicher Rückstände entstehen, wenn nach exzessiven Algenblüten abgestorbene Biomasse zu Boden sinkt und ihre Zersetzung allen Sauerstoff verbraucht. Der Effekt nimmt derzeit an Intensität zu und nährt Sorgen hinsichtlich der Wiederkehr eines durch Sauerstoffarmut bedingten Massensterbens.

Tatsächlich zeigten Simulationen, dass dieses Szenario bei einer starken Erwärmung der Meere möglich wäre, sich der Sauerstoffgehalt des Meeres nach einiger Zeit wieder stabilisieren würde.

Simulationen wie diese scheiterten aber daran, die erdgeschichtlichen Phasen von Sauerstoffarmut in der Tiefsee zu erklären. Das ist den Forschenden aus Kalifornien nun offenbar gelungen.

Möglicher Kipppunkt im Nordatlantik

Ob oder wann uns ein Zusammenbruch der sauerstofftransportierenden Strömungen bevorsteht, sei schwierig vorherzusagen, gibt das Team zu. Doch eine Abschwächung der Strömungen durch den Klimawandel werde allgemein erwartet. Manche Modelle prognostizieren ein Abreißen der in die Tiefe führenden Meeresströmung im Nordatlantik. Ungewöhnlich warme Sommer oder das Abbrechen unterseeischer Klippen könnten den Effekt verstärken und eine Kettenreaktion auslösen. Um das genau sagen zu können, seien genauere Klimamodelle nötig, sagt Ridgwell. (Reinhard Kleindl, 17.8.2022)