Ob im Besitz von Atomwaffen oder nicht: Die meisten Staaten sprechen gerne über die Gefährlichkeit von Atomwaffen, darüber, dass nie mehr ein Krieg mit ihnen geführt werden sollte, oder auch, dass sich keinesfalls noch weitere Staaten Atomwaffen zulegen sollten. Die russische Delegation ließ bei der aktuellen Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (Non-Proliferation Treaty, NPT) in New York etwa wissen, dass man zusammenarbeiten müsse, um ein "globales Klima für die Reduktion und Eliminierung aller Atomwaffen zu schaffen" – während Moskau andernorts dem Nichtatomwaffenstaat Ukraine seit Kriegsbeginn wiederholt mehr oder weniger unverhohlen mit den Konsequenzen eines Nuklearwaffeneinsatzes droht.

Tatsächlich blieb es bei den fünf offiziellen Atommächten, die gleichzeitig die permanenten Sicherheitsratsmitglieder in der Uno bilden, zuletzt fast immer bei schönen Worten. Ihre Taten deuten in die entgegengesetzte Richtung. Denn auch China, die USA, Frankreich und Großbritannien rüsten ihre Arsenale auf oder modernisieren sie. Auch die De-facto-Atommächte Nordkorea, Israel, Indien und Pakistan machen keinerlei Anstalten, ihre Waffen abzugeben. Alle Welt rechnet gar mit Nordkoreas nächstem Atomwaffentest.

Artikel sechs und die Abrüstung

Dabei wären es nicht nur die schönen Worte. Auch internationale Verträge verpflichten die offiziellen Atomwaffenstaaten eigentlich zur Abrüstung. Laut dem NPT – der von 191 Staaten ratifiziert wurde – werden sie seit 1968 dazu verpflichtet, "in naher Zukunft" über "einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle" zumindest zu verhandeln. Nichts dergleichen ist aktuell zu vernehmen, weshalb zahlreiche Staaten den Atommächten Vertragsbrüchigkeit vorwerfen.

Der Grund wird oft in der etwas schwammigen zeitlichen Zielsetzung gesehen. Abrüstungs-NGOs wie die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) kritisieren, dass es den aktuellen Entwürfen zum Abschlussdokument der einmonatigen Überprüfungskonferenz auch wieder genau an diesen Deadlines fehlt. Noch 2015 kam überhaupt kein Abschlussdokument zustande. Ohne Zeithorizont und konkrete Richtwerte seien die Aufforderungen an Russland, "alle notwendigen Schritte zu ergreifen, dass Nuklearwaffen nicht infolge einer Fehlkalkulation, Fehleinschätzung oder aus Versehen" eingesetzt werden, einfach nur leere Worte, kritisiert Ican.

Dennoch ist der NPT nach wie vor das einzige Instrument zur Eindämmung von Nuklearwaffen. Die leidige Abrüstungsfrage und die regelmäßigen Drohgebärden Moskaus gegenüber Kiew sind aber bei weitem nicht die einzigen Streitpunkte bei der bereits zehnten NPT-Konferenz (noch bis 26. August). Es geht mitunter auch um den Einsatz, das Management und die Produktion von hochangereichertem Uran:

  • Auch in New York blickt derzeit alles in erster Linie auf die Entwicklungen beim Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), wie der "Iran-Deal" offiziell heißt. Der Grundgedanke des NPT ermöglicht den Vertragsstaaten nämlich die friedliche Nutzung der Atomenergie im Gegenzug für ihr Versprechen, keine Atomwaffen zu entwickeln. Genau darauf fußen auch Bemühungen, den JCPOA wieder mit Leben zu erfüllen – nachdem die US-Regierung 2018 aus dem Abkommen ausgetreten war, neue Sanktionen gegen den Iran verhängt und Teheran die Kooperation mit der IAEA graduell ausgesetzt und sich über Teile des Abkommens eigenmächtig hinweggesetzt hatte. Ein Vorhaben, das so gut wie alle NPT-Staaten unterstützen, weil ein kompletter Zusammenbruch des JCPOA und nicht zuletzt eine iranische Atomwaffe den NPT abermals untergraben würden. Ein Scheitern ebenso wie ein Erfolg der Verhandlungen ist jederzeit möglich. Einem EU-Vertragsentwurf folgend sind aktuell Teheran und Washington am Zug.
Ein iranisches AKW.
Foto: APA/AFP/ATTA KENARE
  • China, Malaysia und Indonesien haben abermals ihre Bedenken über die mit Atomenergie betriebenen U-Boote geäußert, die Australien von Großbritannien und den USA kaufen möchte, nachdem es einen Deal für dieselbetriebene U-Boote mit Frankreich platzen lassen hatte. Die asiatischen Staaten stoßen sich vor allem daran, dass hochangereichertes Uran, das auch für den Bau von Atombomben verwendet werden kann, genutzt wird, um die Boote anzutreiben. Auch in den USA selbst wurde Kritik laut, dass durch den Deal mit langjährigen US-Praktiken gebrochen werde. Das Prinzip der nuklearen Non-Proliferation, also der Nichtweitergabe von Informationen und Technik zum Bau einer Atomwaffe, dürfe auch bei lupenreinen und vertrauensvollen Alliierten, wie es etwa Australien für Washington und London ist, nicht über Bord geworfen werden.
Ein nuklearbetriebenes US-U-Boot.
Foto: Colombian National Navy / AFP
  • Wie schon bei vergangenen Überprüfungskonferenzen wurde in New York die Frage einer nuklearwaffenfreie Zone im Nahen Osten von arabischen Staaten wiederbelebt. Es bleibt jedoch eher ein Randthema, das einem etwaigen Konsens am Ende nicht entgegenstehen sollte. 1995 war eine solche Zone jedenfalls noch Teil eines Deals, damit die arabischen Staaten der unbegrenzten Verlängerung des NPT zustimmen. Eine entsprechende Resolution wartet seither auf ihre Erfüllung. Mit Israel besitzt jedoch bereits ein Staat aus der Region die atomare Massenvernichtungswaffe. Weil ein solcher Besitz im Rahmen des NPT unmöglich wäre, trat Israel dem Vertrag gar nicht erst bei. Die arabischen Staaten wollen mit der offiziellen Ausrufung einer solchen Zone auch den Druck auf Israel erhöhen. Mit dem Sorgenkind Iran, das immer wieder mit der Anreicherung von waffenfähigem Uran kokettierte, aber auch Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo in der Vergangenheit zumindest über die Stationierung von US-Atomwaffen diskutiert wurde, bleibt die Frage brisant.

  • Unter den drei größten Sorgenkindern der NPT-Gemeinschaft ist neben Russland und dem Iran Nordkorea Dauergast. Seit das Regime 2003 seinen Rückzug aus dem NPT ankündigte und diesen nach der verpflichtenden zehnjährigen "Abkühlungsphase" auch vollzog, hält Pjöngjang die Welt mit seinen unregelmäßigen Atomtests und beinahe regelmäßigen Raketentests in Atem. 2006 wurde die erste nukleare Explosion erzeugt, mittlerweile geht man von rund 50 Sprengköpfen aus, die mitunter auch US-Festland erreichen können. Immer noch ringt die Welt mit einer Antwort auf Drohungen Kim Jong-uns, wonach er die Waffen in einem Krieg mit Südkorea oder den USA definitiv einsetzen würde.


Kim Jong-un in einem Propaganda-Clip über Nordkoreas Schlagkraft.
Foto: APA/AFP/KCNA VIA KNS/STR
  • Abrüstungs-NGOs und jene Staaten, die sich seit Jahrzehnten für eine atomwaffenfreie Welt einsetzten, befürworten es sehr, dass die nukleare Teilhabe erstmals expliziter im Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz aufscheinen soll. Im konkreten Fall würden jene Staaten vermehrt in die Verantwortung genommen werden, die keine eigenen Atomwaffen besitzen, aber US-Atomwaffen beherbergen, beaufsichtigen und in Kriegsszenarien im Zweifel auch einsetzen könnten. Das gilt etwa für die Nato-Staaten Deutschland, Belgien, Niederlande und Italien. Einige Staaten äußerten bei der Konferenz aber auch ihre Sorge darüber, dass Russland seine Atomwaffen mit Belarus "teilen" könnte.

  • Während der Vertragsentwurf von einer "gesteigerten und positiven Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft" beim Zustandekommen des Textes spricht, weisen NGOs diese Darstellung zurück. Zunächst sei ihre Teilnahme bei der Konferenz gar nicht geplant gewesen, immer wieder werde ihnen der Zugang zur Delegiertenhalle verwehrt, und bei ihren seltenen Redezeiten sei die Halle meist halbleer gewesen. Die Textentwürfe gab es demnach stets nur über den Umweg freundlich gesinnter Delegierter oder Journalistinnen. Einige Vorhaben, für die sich verschiedenste NGOs in den vergangenen Jahren eingesetzt haben, von der Einbeziehung ökologischer Auswirkungen über die besondere Betroffenheit von Frauen und Kindern bei Atomwaffentests bis hin zur drohenden Hungerkatastrophe nach einem Nuklearwaffeneinsatz, wurden jedoch respektiert und in den Entwurf aufgenommen. Dennoch kritisieren NGOs, dass etwa die erste Vertragsstaatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in Wien deutlich inklusiver gewesen sei.

  • 2026, noch vor der nächsten geplanten Überprüfungskonferenz, läuft mit New Start der letzte große Abrüstungsvertrag zwischen den atomaren Supermächten Russland und USA aus. US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin unterzeichneten die letzte Verlängerung noch vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine. Dieser aber verschlechterte das äußerst angespannte Verhältnis weiter. Russland setzte etwa die im Vertrag enthaltenen Inspektionen der Atomwaffenbestände aus und begründete das damit, dass russische Inspektoren aufgrund der Sanktionen nicht in die USA reisen könnten. Um den US-Amerikanern keinen "unfairen Vorteil" zu gewähren, lässt man diese aktuell auch nicht ins Land. Biden versicherte zuletzt aber, sich um weitere Verträge zur nuklearen Abrüstung kümmern zu wollen. (Fabian Sommavilla, 18.8.2022)