CSU-Politiker Christian Schmidt ist seit etwas mehr als einem Jahr Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Bei einer Pressekonferenz wurde er ungehalten.

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"Unsinn, vollkommener Unsinn", sagte der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina am Mittwoch lautstark bei seinem Besuch in der ostbosnischen Stadt Goražde. Er echauffierte sich sichtlich aufgrund einer Frage nach der Änderung des Wahlgesetzes und kritisierte Politiker einiger Parteien, ohne diese beim Namen zu nennen. Das Video wurde in sozialen Netzwerken oft geteilt.

Schmidt hatte vor drei Wochen Änderungen des Wahlgesetzes und der Verfassung des Landesteils Bosniakisch-Kroatische Föderation in den Raum gestellt – die möglichen Entscheidungen waren aus dem Amt des Hohen Repräsentanten geleakt worden und hatten einen Sturm der Entrüstung und eine große Demonstration in Sarajevo ausgelöst.

Der HDZ entgegenkommen

Denn Schmidt wollte mit seinen Vorschlägen ganz offensichtlich der kroatisch-nationalistischen HDZ entgegenkommen, die seit vielen Jahren, ja sogar Jahrzehnten eine Änderung des Wahlgesetzes zu ihren Gunsten fordert. Diese Forderungen werden seit Monaten vor allem von Politkern aus dem Nachbarstaat Kroatien unterstützt, was wiederum in Bosnien-Herzegowina den Eindruck verstärkt, dass das Nachbarland sich massiv in die Innenpolitik Bosnien-Herzegowinas einmischt.

Die Änderungen, wie sie ursprünglich vor drei Wochen im Raum standen – Schmidt hatte sie dann in letzter Minute vor allem auch wegen der Kritik aus Deutschland nicht umgesetzt –, sind bei Experten hoch umstritten. Denn Schmidt wollte offenbar damit ein Urteil des Verfassungsgerichts (Ljubić-Urteil) umsetzen, obwohl dieses längst umgesetzt ist. Die HDZ leitet trotz der Umsetzung allerdings weitere politische Forderungen daraus ab.

Diskriminierung gegen Juden

Es ging also darum, dass Schmidt etwas tun wollte, was rechtlich überhaupt nicht mehr notwendig ist. Gleichzeitig wurden wiederum die fünf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht in Angriff genommen: Diese besagen, dass zahlreiche Bürger und Bürgerinnen in Bosnien-Herzegowina diskriminiert werden – etwa Juden und Roma, aber auch alle, die sich gar nicht ethnisch definieren wollen.

Die Umsetzung dieser fünf Urteile würde dazu führen, dass Bosnien-Herzegowina mehr zu einem Bürgerstaat werden würde, was auch eine Voraussetzung für einen EU-Beitritt wäre. Die Nationalisten wollen aber verhindern, dass das Bürgerprinzip, also Gleichberechtigung und die Beendigung der Diskriminierung, im Zentrum der Politik stehen. Auch die internationale Gemeinschaft, die EU und die USA haben sich bisher nicht für die Stärkung der Rechte der Bürger und Bürgerinnen eingesetzt, sondern sie unterstützen seit Jahrzehnten immer wieder die Nationalisten, mit denen sie "Deals" abschließen wollen.

Änderungen mitten im Wahlkampf

Zuletzt haben Vertreter der EU, der USA und von Großbritannien eineinhalb Jahre lang versucht, über Verhandlungen mit den nationalistischen Parteien eine Änderung des Wahlgesetzes herbeizuführen, um die HDZ zu beschwichtigen. Dies ist aber nicht gelungen – die HDZ bekam zuletzt in Bosnien-Herzegowina neun Prozent der Stimmen. Weil die Diplomaten auf demokratischem Wege das Ansinnen der HDZ und von Kroatien nicht umsetzen konnten, wurde offenbar Schmidt beauftragt, Teile der Forderungen der HDZ mit seinen Bonner Vollmachten umzusetzen.

Er wurde dafür scharf kritisiert, aber auch aufs Rüdeste beschimpft, was wohl dazu beitrug, dass er sich nun in Goražde so echauffierte. Die Kritik von Experten bezieht sich vor allem auf den Zeitpunkt der möglichen Änderungen des Wahlgesetzes mitten im Wahlkampf, kurz vor den Wahlen am 2. Oktober. Der Schweizer Politologe Adis Merdžanović nennt dies "höchst unüblich" und bedenklich. "Man kann nicht mitten im Spiel die Regeln ändern", meint Merdžanović zum STANDARD. Zudem sei es befremdlich, dass Schmidt durch die Nutzung seiner Spezialbefugnisse das Land nicht in eine Richtung bewege, in der die aktiven und passiven Wahlrechte aller Bürger gestärkt würden.

Drohungen der HDZ

Aber auch die offensichtliche Parteinahme für die HDZ sorgt für Unruhe. "Wenn der Hohe Repräsentant jetzt hier eine Lösung oktroyiert, die sich klar für die eine Seite in dieser Debatte ausspricht, dann ist das für die lokale Kompromissbereitschaft sicherlich nicht gerade förderlich", meint Merdžanović. Durch den Eingriff würde ein politischer Akteur deutlich gestärkt: "Die von der HDZ kontrollierten Gebiete würden mehr Repräsentanten bekommen. Der Hohe Repräsentant verändert also aktiv die Machtbalance zwischen den Akteuren, was dem 'Power-Sharing' nicht gerade entgegenkommt", meint Merdžanović.

Merdžanović denkt, dass Schmidts mögliche Entscheidungen wohl damit zu tun haben, dass die HDZ mit dem Boykott der Institutionen und der Ausrufung eines dritten Landesteils droht, wenn das Wahlgesetz nicht nach ihren Wünschen geändert wird.

Experte sieht Kompetenzüberschreitung

Der Grazer Verfassungsrechtler und Bosnien-Experte Josef Marko erklärt zudem, dass Schmidt seine Kompetenzen als Hoher Repräsentant überschreiten würde, würde er tatsächlich die Vorschläge umsetzen. Denn bei dem Vorschlag geht es um eine Änderung der Verfassung des Landesteils Föderation, die nicht durch die gesamte Verfassung von Dayton vorgegeben ist.

"Der Hohe Repräsentant ist aber laut Annex 10 des Daytoner Friedensabkommens nur befugt, die Umsetzung des Dayton-Abkommens zu kontrollieren, er ist aber nicht befugt, sich mit den autonomen Rechtssystemen der Entitäten (also den Landesteilen Föderation der Republika Srpska) zu befassen, also mit deren Verfassungen, soweit diese nicht in Ausführung des Dayton-Abkommens erlassen sind", erklärt Marko dem STANDARD. "Insofern würde der Hohe Repräsentant seine Kompetenz überschreiten, wenn er mithilfe der Bonner Vollmachten eine Änderung der Verfassung der Föderation herbeiführen würde", schlussfolgert Marko.

Keine Feindschaft

Nach dem Eklat von Schmidt in Goražde reagierten manche Bosnier mit Humor, andere kommentierten das von Schmidt Gesagte. Der Akademiker Esad Duraković betonte, dass Menschen in Bosnien Schmidt nicht als Feind betrachten würden. Man sei aber enttäuscht. Die Bürger wollten bloß, dass Schmidt – wie es seiner Aufgabe entspricht – die Staatlichkeit von Bosnien-Herzegowina verteidige und das Land in Richtung eines Bürgerstaates nach europäischem Modell führe.

Duraković fügte außerdem hinzu, dass die Streitparteien von dem "eingefrorenen Konflikt" profitieren würden, also nicht an einer Lösung interessiert seien und dass die internationale Gemeinschaft am meisten für die Situation im Land verantwortlich sei.

Verantwortung der Internationalen

Duraković nannte in diesem Zusammenhang das Waffenembargo, sodass sich das angegriffene Land im Krieg (1992–1995) nicht verteidigen konnte, die Ermöglichung des Völkermords in der UN-Schutzzone Srebrenica, aber auch das Daytoner Friedensabkommen, das er als unfair und dysfunktional bezeichnete.

Der CSU-Politiker Christian Schmidt wurde vor etwas mehr als einem Jahr auf Wunsch der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, er war zuvor deutscher Landwirtschaftsminister. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 18.8.2022)