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Müdigkeit, Fatigue, Kurzatmigkeit, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Muskelschmerzen, psychische Probleme, Riech- und Schmeckstörungen – all diese Symptome werden unter Post Covid zusammengefasst. Die Uneinheitlichkeit erschwert aber die Behandlung.

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Eine Studie zu Long-Covid-Kennwerten, die vor wenigen Tagen erschienen ist, schlägt hohe Wellen. Obwohl das Paper erst im Vorabdruck auf dem Server "medRxiv" erschienen ist und noch nicht von Fachleuten begutachtet wurde, twitterten anerkannte Covid-Experten wie der US-Kardiologe Eric Topol zu den Erkenntnissen. Und auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) teilte die Studie.

Worum es geht: Nach wie vor gibt es keine klare Erkenntnis, was bestimmte Long-Covid-Symptome wie "Brain Fog", Schwindel, chronische Fatigue oder neurologische Probleme auslöst. Eine Gruppe rund um die renommierte Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University in den USA fand nun auffällige Werte im Blut und bei Immunzellen von Long-Covid-Betroffenen, die womöglich als Biomarker für eine Diagnose dienen könnten. Die Betroffenen hatten eine erhöhte Zahl erschöpfter T-Zellen, die eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen. Weiters stellte man eine Erhöhung der Antikörper, die das Epstein-Barr-Virus (EBV) bekämpfen, bei den Betroffenen fest. Und die Betroffenen hatten einen verringerten Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut (DER STANDARD berichtete).

"Die Studie ist mit 99 Long-Covid-Betroffenen und 116 Personen in der Vergleichsgruppe sehr klein, aber man hat einige Werte sehr genau untersucht. Und sie liefert Grundlagen dafür, wo die Wissenschaft weiter forschen muss", urteilt der Neurologe Michael Stingl. Er ist seit vielen Jahren auf die Behandlung des Chronischen Fatigue-Syndroms (ME/CFS) spezialisiert und einer der wenigen Spezialisten für die Behandlung bestimmter Long-Covid-Probleme.

Ähnliche Werte wie bei Chronischem Fatigue-Syndrom

Bestimmter Long-Covid-Probleme deshalb, weil es nach wie vor keine klare Definition von Long Covid gibt – oder "Post Covid", wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet, der Begriff Long Covid ist in sozialen Netzwerken entstanden und ein medizinisch ungenauer Ausdruck. Die WHO fasst unter dem Begriff seit Oktober 2021 folgende Probleme zusammen: Gesundheitliche Beschwerden, die in längerem Abstand, in der Regel drei Monate nach einer Sars-CoV-2-Infektion über mindestens zwei Monate fortbestehen oder wiederkehrend auftreten und anderweitig nicht erklärbar sind.

Als häufigste Symptome werden Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit, sogenannte Fatigue, Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen, Muskelschwäche und -schmerzen, psychische Probleme wie depressive Stimmung und Angstsymptome sowie Riech- und Schmeckstörungen genannt. Allein diese unklare Definition macht eine abgegrenzte wissenschaftliche Untersuchung und auch die Etablierung von Behandlungsrichtlinien aber schwierig.

In der nun vorgelegten Studie werden eventuelle Biomarker identifiziert, die man auch schon von Patientinnen und Patienten kennt, die an ME/CFS leiden – denn ein gewisser Teil der an Long Covid Leidenden hat ganz ähnliche Symptome wie ME/CFS-Betroffene. Stingl betont: "Die Erkenntnisse über die potenziellen Biomarker sind nicht ganz neu, man kennt diese Werte auch schon von ME/CFS-Betroffenen. Doch es ist eine gute Entwicklung, wenn jetzt in diese Richtung weiter geforscht wird."

Keine Erklärung für niedrige Cortisolwerte

Als auffallend haben die Studienautoren die niedrigen Cortisolwerte der Betroffenen bezeichnet, für die sie keine Erklärung hatten. Stingl kennt dieses Phänomen schon aus der klinischen Praxis von ME/CFS-Betroffenen: "Prinzipiell ist erwartbar, dass niedrige Werte dieses Stresshormons mit Erschöpfung einhergehen. Ich habe schon oft Betroffene deshalb zur endokrinologischen Abklärung geschickt, was meistens ergebnislos war. Die Behandlung mit Ersatzhormonen hat meist auch keine besonderen Erfolge gebracht. Meine Annahme ist, dass es sich bei den niedrigen Cortisolwerten eher um ein Bystander-Phänomen handelt und nicht um eine Ursache für die Erschöpfung."

Die Cortisolwerte sieht auch Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Med-Uni Wien kritisch: "Alle Hormone unterliegen einem zirkadianen Rhythmus, das bedeutet, ihre Ausschüttung ist nicht zu jeder Tageszeit gleich hoch. Bei Cortisol weiß man, dass die Ausschüttung in der Früh am höchsten ist. Deshalb wäre es für die Einordnung wichtig zu wissen, wann die Blutwerte abgenommen wurden." Insgesamt sei die Studie gut gemacht und methodisch auf einem sehr hohen Niveau – im Unterschied zu vielen anderen Publikationen. Aber, so Berger: "Jede Studie hat auch Limitationen. In diesem Fall ist die Anzahl der Untersuchten mit 99 Personen sehr niedrig, sie repräsentieren nur einen Minimalausschnitt der hunderttausenden Betroffenen."

Nichtsdestotrotz sei es ein guter Ansatz, die Ergebnisse müssten aber noch validiert werden – und das sei der wahre Knochenjob. Ob sich daraus tatsächlich für die Diagnose relevante Biomarker ableiten lassen, sei noch unklar. Für die Behandlung von Post Covid in absehbarer Zukunft sei diese Studie deshalb wohl nicht ausschlaggebend, winkt Berger ab.

Individuell abgestimmtes Reha-Programm

Was tut sich derweil in der Rehabilitation von Post-Covid-Betroffenen? Auch hier besteht das Problem, dass es keine einheitliche Definition des Krankheitsbilds gibt. "Am Anfang hatten Betroffene vor allem Lungenprobleme, jetzt kristallisieren sich eher neurologische Symptome heraus", weiß Gabriele Reiger, ärztliche Leiterin des oberösterreichischen Rehabilitationszentrums Weyer der Pensionsversicherungsanstalt, eines von zwei wesentlichen Zentren für die Post-Covid-Rehabilitation.

Sie betont: "Wir haben hier Betroffene mit unterschiedlichsten Symptomen, von Schmerzen, Kurzatmigkeit über Fatigue bis zu psychischen Belastungen. Deshalb gibt es nicht die eine Post-Covid-Reha, wir arbeiten mit allen Patientinnen und Patienten individuell." Zum Reha-Start werden deshalb umfassende Tests gemacht und das Programm entsprechend erstellt. "Ausdauer- und Krafttraining werden etwa auf 60 Prozent der ermittelten Leistungsfähigkeit gestartet und auch entsprechend dem Ausdauervermögen der Menschen angepasst. Und wenn nötig, macht man einfach Pausen." Vor allem Fatigue-Betroffene sind dazu angehalten, ein Leistungstagebuch zu führen, um Fortschritte oder Problemsituationen aufzuzeigen.

Reiger weist außerdem auf eine starke psychische Belastung hin: "Es gibt einen hohen Bedarf für psychologische Betreuung, bedingt durch die Pandemie-Auswirkungen, aber auch aufgrund der generellen Weltlage. Und viele Patientinnen und Patienten nehmen dieses Angebot auch gerne an."

Der symptomorientierte individuelle Ansatz zur Rehabilitation zeige dabei sehr große Erfolge, betont Reiger: "Wir können natürlich keine Besserung garantieren, aber wir sehen in drei Wochen Reha im Normalfall sehr gute Fortschritte. Man kann dann auch noch zu Hause weitermachen oder eine berufsorientierte Reha anschließen, wenn nötig."

Weiter Lobbyismus nötig

Trotz all dieser Fortschritte und Erkenntnisse bleibt in der praktischen Versorgung noch viel zu tun, vor allem aus Sicht der Betroffenen. Maarte Preller, Post-Covid-Betroffene beinahe der ersten Stunde und Gründerin der Selbsthilfegruppe Long Covid Austria, erzählt: "Wir haben im Frühjahr an mehreren Workshops mit dem Gesundheitsministerium und der Österreichischen Gesundheitskasse zu Long Covid teilgenommen und aus Sicht der Betroffenen berichtet. Unsere dringende Bitte war, mehrere Long-Covid-Spezialambulanzen einzurichten, wo in der Thematik geschulte Ärztinnen und Ärzte sich an einem Ort um die spezialisierte Abklärung der Betroffenen kümmern. Wenn man am Chronischen Fatigue-Syndrom leidet, ist es nämlich extrem anstrengend und schwierig, in den langen Prozess der Abklärung einzusteigen."

Umgesetzt wurde dieser Vorschlag bis jetzt nicht. Es gebe zwar in Wien und Graz zwei Projekte der Österreichischen Gesundheitskasse, die eine Abklärung der Symptome beschleunigen sollen. "Aber auch dort gibt es zu wenig Kapazitäten, werden die Betroffenen oft falsch beraten und zur weiteren Abklärung extern zu ärztlichen Terminen mit weiteren Wartezeiten geschickt. Und genau das ist ja das Problem." Insgesamt sei der Kampf für eine Anerkennung von Post Covid auch deshalb so schwer, sagt Preller, "weil wir Betroffene ja ohnehin schon stark eingeschränkt sind in unserer Leistungsfähigkeit. Es fällt einfach sehr schwer, die nötige Energie für mehr Druck aufzubringen."

Das Problem mit der Leistungsfähigkeit kennt Neurologe Stingl von seinen Patientinnen und Patienten nur zu gut – und genau das ist die Besonderheit des Chronischen Fatigue-Syndroms, die aber viele nicht verstehen: "Bei ME/CFS kommt es zu einer Belastungsintoleranz. Das bedeutet, auch bei leichter Belastung können die Symptome schlechter werden. Deshalb ist es so wichtig, die Belastung an die eigene Leistungskapazität anzupassen. Je früher man das macht, desto besser sind die Heilungschancen. Und je mehr man versucht, sich durchzukämpfen, desto eher wird das Problem chronisch."

Zumindest einen Vorteil sieht der Neurologe in der jetzigen Situation: "ME/CFS wurde in der Vergangenheit häufig als psychosomatisch eingeordnet, das stimmt so aber einfach nicht. Mit den jetzigen Erkenntnissen wird diese Zuschreibung zunehmend schwieriger. Und es eröffnet endlich den Weg zu dringend nötiger Forschung in diesem Bereich." (Pia Kruckenhauser, 20.8.2022)