Christoph Cech: "Beethoven würde ich fragen, welchen Wein er in Gneixendorf getrunken hat."

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Beethoven wäre die erste Wahl. Wenn Christoph Cech eine Figur der Musikgeschichte treffen könnte, wäre das der alte Meister, der in Wien so oft umgezogen ist. Dabei gehe es nicht um einen Trick, um an gute Ideen zu kommen. "Den Beethoven würde ich fragen, was er in Gneixendorf für einen Wein getrunken hat", sagt Cech. Ideentricks wären wohl interessant, anderseits hat Cech davon reichlich. Sie kämen als Heimsuchungen, Überfälle. Er sei dankbar dafür, dass er nicht zehn Bleistifte zerkauen müsse, "um einen Einfall zu Papier zu bringen. Es sprudelt. Ich muss immer etwas zum Schreiben haben. Sonst kann es passieren, dass ich der Person vor mir im Bus aufs weiße Hemd schreibe …"

Es ist insofern logisch, dass dieser Wiener Pianist zum Komponieren sein Instrument nicht unbedingt benötigt. "Meinen Studenten sage ich: Aktiviere dein inneres Klavier!" Obwohl: Manchmal kontrolliert und verbessert Cech komplexe Harmonieverläufe pianistisch. Und wer, wie er, auch vom Improvisieren kommt, den überfallen natürlich auch beim Fantasieren bisweilen "Strukturen, Melodien, Riffs, die zu Kompositionen werden".

Kein Sessionpianist

Seine Art zu improvisieren ist insofern einem Komponieren in Echtzeit vergleichbar: "Eingelernte musikalische Versatzstücke, den Gebrauch von Phrasen lehne ich kategorisch ab, habe ich schon immer abgelehnt und wurde deshalb eher nicht der im Mainstream-Jazz beheimatete Sessionpianist." Dafür hat er die Big Band Nouvelle Cuisinne mitgegründet, hat u. a. Aus allen Blüten Bitternis, eine Oper über Stefan Zweig, geschrieben oder sein Musiktheater Orfeo. Zudem war Cech prägender Direktor des Instituts für Jazz und improvisierte Musik an der Bruckner-Universität.

Bei so viel stilistischer Diversität ist klar, dass neben Strawinsky, Arrangeur Gil Evans und Bandleader Hermeto Pascoal jemand wie Frank Zappa Bedeutung hat. Auch als Role-Model. Cech bewundert auch, wie der Ironiker "das Establishment auf die Schaufel nahm! Mit seinen Texten habe ich Englisch gelernt ..."

Streicher, Synthesizer, Gesang

Wie Zappa ist aber auch er ein Musiker der Zwischenzonen, einer, der sich als "Beispiel für einen kulturellen Aneigner im besten Sinne des Wortes" hält. Auch in seinen Besetzungen kommt der Stilmix zum Vorschein. In Saalfelden gibt es am Samstag denn auch keine obligate Big Band zu hören. "Meine Musik entfaltet sich besser, wenn nicht dreizehn Bläser einer drei- bis vierköpfigen Rhythm-Section gegenüberstehen." Es sei passender, wenn "ich speziell zur Gestaltung meiner rhythmischen Teppiche auch Streicher, Synthesizer, Gesang, Harfe und in diesem Fall sogar diatonische Harmonika verwende". Dadurch würde das Klangbild breiter, orchestraler, und: "Ich habe unendlich viele Farben zur Verfügung!"

Titel sind wichtig

Man wird in Saalfelden Stücke hören, die Cech in den letzten Jahren zufielen. Mit dabei ist aber auch A Foxy Day, bei dem "Kollege George Gershwin beteiligt" gewesen sei. Kompositionstitel sind Cech übrigens wichtig, sie würden auf ein Stück einstimmen. Wonderer etwa "vereint ,wondering‘ mit ,Wanderer‘, da sei ein bestimmter Teil eine Hommage an Franz Schubert.

Konfrontiert man Cech mit den vielen politischen, ökonomischen und ökologischen Problemen unserer Gegenwart und der Frage, wie musikalisch darauf zu reagieren wäre, sieht er die Kunst "angesichts der unerfreulichen Entwicklung unseres Planeten und vieler alarmierender Zustände aufgerufen, Stellung zu beziehen. Das Abliefern musikalischer Tapeten zur Erbauung verwöhnter Erste-Welt-Bürger wirkt immer obsoleter, dekadenter. Kunst soll nicht gleichgültig lassen, soll divers und durchaus auch unangenehm sein".

Klingende Kritik

Das schreibt er gerne so im Allgemeinen auch "der Musikstadt Wien ins Stammbuch", deren Jazzfestival schon dreimal nicht stattfand. Wie Cech das findet? "Es ist eine Schande. Das kann die Stadt eigentlich nicht auf sich sitzen lassen. Hoffentlich kommt das Festival wieder, aber mit viel aufrüttelnder Musik."

Er selbst grübelt viel darüber nach, wie er seine Forderung nach engagierter konkret politischer Kunst "in musikalische Form" gießen könnte. Hier begegnet man einem Hauch von Ratlosigkeit. "Derzeit fehlen mir schlüssige Antworten. Aber diese haben vielleicht Pussy Riot", so Cech. Die Punkdamen werden am Samstag, wenn Cech auf der Main-Stage gastiert, im kleinen Nexus bei freiem Eintritt zu hören sein. (Ljubiša Tošic, 18.8.2022)