Moritz Margulies erinnert sich an einen Mann, "der ein führender Genosse war", aber bei der illegalen Arbeit stets vor Angst zitterte. Trotzdem habe er Hervorragendes geleistet und seine Furcht überwunden. "In der Nazizeit hat er weitergearbeitet und ist schließlich von den Nazis zu Tode gefoltert worden."

Jeanette Mayrhofer-Berger, René Berger, Mira Mayrhofer (Hg.), "Moritz Margulies – Eine Kunde meiner Existenz. Briefe eines Widerstandskämpfers". 18,– Euro / 186 Seiten. Mandelbaum-Verlag, Wien 2022
Cover: mandelbaum Verlag

Betrachtungen eines Mannes, der selbst die wichtigsten Jahrzehnte seines Lebens im Untergrund verbrachte, in ständiger größter Gefahr. Als kommunistischer, jüdischer Widerstandskämpfer. Zuerst im austrofaschistischen Regime Österreichs, dann im besetzten Frankreich.

Moritz Margulies gehörte zu jenen jüdischen Bürgerkindern aus Osteuropa, die sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg aus Idealismus und Emanzipationswillen der kommunistischen Partei anschlossen (und ihr gegen alle Ernüchterung treu blieben). 1910 in Czernowitz (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) geboren, flieht er 1927 aus der provinziellen Enge nach Wien.

Er findet zu den Kommunisten, denen die Sozialdemokratie zu schwach war, und gerät bald in die illegale Arbeit. Organisationstalent und eine gewisse Gewitztheit helfen ihm auch später weiter. Es folgt ein unglaubliches, für heutige Verhältnisse kaum nachvollziehbares Leben. Schleusen von Freiwilligen in den Spanischen Bürgerkrieg, illegale Arbeit in Frankreich, Inhaftierung durch die Franzosen, Flucht aus einem Gefängnis schon unter deutscher Besatzung.

Um neue Ordnung gekämpft

All das hat Margulies in zwölf langen Briefen an einen Freund in Kanada in den 50er-Jahren festgehalten. Sie sollten wohl eine Art Lebensbilanz sein und sind nun im Mandelbaum-Verlag unter dem Titel Eine Kunde meiner Existenz. Briefe eines Widerstandskämpfers erschienen. Über die noch dramatischeren Ereignisse, die dann folgten, hat Margulies nicht mehr geschrieben.

Sie sind in dem erwähnten Band von einem Kameraden und von seinem Nachkommen René Berger nacherzählt: Beim "Appell" auf dem Gefängnishof sagt plötzlich eine kleine Frau neben ihm: "Moritz, erkennst du mich nicht?" Es war seine Lebensliebe Judith (genannt Ida). In den Worten von René Berger: "Nach vielen Stunden Folter ist sie kaum wieder zu erkennen."

Judith hatte in Paris im deutschen Marineministerium (!) als Dolmetscherin Arbeit gefunden und, wie Margulies schreibt, Pläne der Wehrmacht an die Résistance geliefert. Margulies wurde mit anderen von dem berüchtigten SS-Mörder Alois Brunner als eine Art Geisel auf dem Rückzug vor den Alliierten mitgeschleppt. Knapp vor der Grenze gelingt, offenbar mit Duldung von bestochenen SSlern, die Flucht. Margulies kehrt nach Paris zurück und findet Judith/Ida wieder. 1945 kommt er nach Wien und wird höherer Polizeioffizier. 1964 stirbt er in Wien.

Zuvor schrieb Margulies resignierend an seinen kanadischen Freund, auch nach dem Krieg habe er keine "zahme bürgerliche Existenz" geführt, sondern um eine "neue Ordnung" gekämpft. Mit der "größten Enttäuschung", nämlich dass statt der sozialistischen Gesellschaft eine "immer mehr erstarkende bürgerliche" entstand. Das "Blut der Arbeiterklasse hat nicht gereicht". (Hans Rauscher, ALBUM, 21.8.2022)