Manches ist schwerer loszuwerden als womöglich gedacht: Bei Deutschlands Kanzler Olaf Scholz handelt es sich um die Cum-Ex-Affäre.

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Hamburg – Angesichts von Rücktrittsforderungen und dem Ruf nach Antworten auf offene Fragen wird der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag ein zweites Mal vor dem Cum-Ex-Ausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft erwartet. Als Zeuge soll er bei der Klärung der Frage helfen, ob er oder andere führende SPD-Politiker Einfluss auf die steuerliche Behandlung der in den Cum-Ex-Skandal verwickelten Warburg Bank genommen haben. Scholz bestreitet das.

Rücktrittsforderungen

Ursprünglich war der zweite Auftritt des Kanzlers als Abschluss des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses geplant. Durch das Bekanntwerden von Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Köln, die wegen der Cum-Ex-Geschäfte der Warburg Bank ermittelt, und Presseberichten über bisher geheim gehaltene Protokolle einer Aussage von Scholz 2020 vor dem Finanzausschuss des Bundestags haben sich aber viele neue Fragen ergeben. CDU und Linke in der Bürgerschaft wollen inzwischen eine Ausweitung des Untersuchungsauftrags erreichen und Scholz noch ein drittes Mal laden.

Angesichts der neuen Erkenntnisse forderte der Obmann der CDU im Ausschuss, Richard Seelmaecker, den Rücktritt von Scholz und seinem Nachfolger als Bürgermeister, Peter Tschentscher. Beide hätten 2016 politischen Einfluss auf die Behandlung der in die Cum-Ex-Affäre verwickelten Warburg Bank genommen, um das Geldhaus vor hohen Steuerrückforderungen zu bewahren, sagte er dem "Spiegel". "Beide müssen zurücktreten", sagte er auch der dpa.

Hintergrund sind Treffen Scholz' mit den Gesellschaftern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, 2016 und 2017. Nach den ersten Treffen im Rathaus hatte Scholz den Bankern laut Aussage von Olearius empfohlen, ein Schreiben an Tschentscher zu schicken, in dem die Bank die Rückforderung von 47 Millionen Euro zu Unrecht erstatteter Kapitalertragssteuer als ungerechtfertigt dargestellt hatte.

Erinnerungslücken

Tschentscher hatte das Schreiben mit der "Bitte um Informationen zum Sachstand" an die Finanzverwaltung weitergereicht, wo man sich kurze Zeit später entgegen ursprünglichen Plänen entschloss, die Forderung in die Verjährung laufen zu lassen. Auch eine Forderung über 43 Millionen Euro wurde ein Jahr später erst kurz vor Eintritt der Verjährung und auf Anweisung des deutschen Finanzministeriums erhoben.

Tschentscher hatte die Weiterleitung des Schreibens vor dem Ausschuss bestätigt. Den Vorwurf einer Einflussnahme bezeichnete er aber als "haltlos". Scholz, der die Treffen mit den Bankern eingeräumt hat, sich an den Inhalt der Gespräche aber nach eigenen Angaben nicht mehr erinnern kann, bestreitet ebenfalls jede Einflussnahme.

Dass diese Erinnerungslücken vorgeschoben seien, werde auch aus dem vom "Stern" veröffentlichten Protokoll einer als geheim eingestuften Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages deutlich, demzufolge Scholz noch im Juli 2020 ein Treffen mit den Warburg-Gesellschaftern eingeräumt, dessen Bedeutung aber heruntergespielt habe, sagte Seelmaecker. "Und bei uns im Ausschuss konnte er sich plötzlich nicht mehr daran erinnern."

CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte das. "Ich glaube dem Kanzler kein Wort. In Deutschland gibt es doch kaum jemanden, der Olaf Scholz die vielen Gedächtnislücken abnimmt", sagte Merz dem "Handelsblatt" vom Freitag. "Wenn es um Steuernachforderungen in dreistelliger Millionenhöhe einer so großen Bank in der eigenen Stadt geht, dann vergisst man doch den Inhalt der dazu geführten Gespräche nicht. Scholz musste ja bereits drei Gespräche mit dem Chef der Warburg-Bank zugeben, nachdem er zunächst nur eines eingeräumt hatte." Das Vorgehen scheine eher eine typische Arbeitsweise von Scholz zu sein: "Er rät den Bankern – so der Eindruck -, die Steuernachzahlungen doch einfach verjähren zu lassen. Dann sind die Stadt und die Bank das Problem los. Genau so etwas traut man Scholz eben zu."

"Wolke des Misstrauens" über Scholz

Linken-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch sprach im selben Blatt von einer "Wolke des Misstrauens über dem Bundeskanzler, die der Öffentlichkeit nicht länger zumutbar ist und dem Amt schadet". Scholz müsse seine Rolle am Freitag vor dem Ausschuss transparent machen. "Olaf Scholz sollte die Gelegenheit nutzen, um endlich Klarheit zu schaffen", sagte Bartsch. Nutze er die Gelegenheit wieder nicht, "würde das weitere Untersuchungen nach sich ziehen müssen".

Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi bezweifelt, dass Scholz die volle Legislaturperiode überstehen wird. "Ich glaube das nicht", sagte er in der RTL/ntv-Sendung "Frühstart" am Freitag. Denn Cum-Ex-Beteiligten drohten bis zu zehn Jahre Haft. Es "werden die sicherlich vor Gericht dann etwas singen und sich nicht weiter schützend vor Herrn Scholz stellen, wenn die dafür Hafterleichterungen bekommen".

Als "einfach unplausibel" bezeichnete der Finanzexperte der Antikorruptionsorganisation Transparency International, Stephan Ohme, Scholz' Darstellung. "Der Kanzler ist ein ausgewiesener Fachmann in diesen Themen, er wusste um die Bedeutung der Frage, der Warburg-Bank eine Steuerschuld aus Cum-Ex-Geschäften in Millionenhöhe zu erlassen", sagte Ohme den Funke-Zeitungen.

Unterstützung erhielt Scholz von seinem Finanzminister Christian Lindner, der ihm in der "Rheinischen Post" sein "volles Vertrauen" aussprach. "Ich habe Olaf Scholz zu jedem Zeitpunkt – ob in der Opposition oder jetzt in der Regierung – als integre Person wahrgenommen und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln", sagte der FDP-Chef.

Scholz hatte allzu großen Erwartungen an seine Aussage allerdings bereits vergangene Woche in seiner Sommerpressekonferenz einen Dämpfer verpasst. "Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat", sagte er und verwies auf umfangreiche Untersuchungen in den vergangenen zweieinhalb Jahren. "Ich bin sicher, dass diese Erkenntnis nicht mehr geändert werden wird." (APA, 19.8.2022)