"Ich arbeite seit 40 Jahren in meiner Trafik gleich um die Ecke des Stephansdoms. Als ich hier anfing, war ich 20. Ich kam aus Persien nach Österreich. Damals herrschte in meiner alten Heimat Krieg mit dem Irak. Zu Beginn war es lediglich ein Job neben dem Studium, aber wie man sieht, bin ich meiner Trafik treu geblieben. Und sie mir. Tag für Tag. Ursprünglich war mein Plan, in die USA auszuwandern und ein Medizinstudium zu absolvieren, aber das ist eine andere, kompliziertere Geschichte.

Ich liebe meine Arbeit. Leute kommen und gehen. Geschichten kommen und gehen. Mittlerweile erstreckt sich meine Klientel über drei Generationen. Es handelt sich hauptsächlich um Stammkunden, die für mich wie eine Familie sind. Dabei weiß ich von vielen weder den Namen, noch was sie eigentlich tun.

Die Stadt hat sich in diesen vier Jahrzehnten sehr verändert. Man könnte fast von Tag und Nacht sprechen. Die Wiener waren seinerzeit nicht so reich wie heute. Heute wird gekauft und gekauft und verreist und verreist. Früher hat man das ganze Jahr auf einen Urlaub gespart. Denken Sie nur daran, wie viel damals die Flugtickets gekostet haben.

Trafikantin Mojan Gonzi vor ihrem Geschäftslokal.
Foto: Michael Hausenblas

"Eine Stadt lebt"

Wien war Anfang der 80er so gut wie leer, jetzt kommt man kaum mehr zu Fuß durchs Zentrum. Damals kam eine andere Kategorie von Touristen nach Wien. Vor allem seit der Öffnung nach Osten hat sich vieles verändert. Es geht mir aber nicht darum zu sagen, was besser oder schlechter ist, auch wenn es früher allerdings etwas eleganter zuging. Aber was soll’s? Eine Stadt lebt. Auch diese Medaille hat zwei Seiten. Für mich als Geschäftsinhaberin stellt sich die Entwicklung positiv dar. Die Stadt bringt Menschen, und die geben Geld aus. Klar, für die Menschen, die hier im Zentrum leben, ist es natürlich schwieriger geworden. Ich spreche vom Lärm und den Massen.

Ich könnte nicht sagen, dass ich die alten Zeiten vermisse. Man geht mit der Zeit. Was bleibt einem auch anderes übrig! Ich halte nichts von Menschen, die permanent jammern und raunzen. Wenn es jemandem hier nicht gefällt, soll er halt woanders hingehen. Viele wissen gar nicht, wie gut es uns hier in Österreich geht. Wertschätzung ist für mich das Allerwichtigste. Ich habe griechische Freunde, die bei weitem nicht in den Genuss der Dinge kommen wie wir hier in Österreich. Wir leben hier in einem Paradies. Ich kann nicht verstehen, dass viele sich dessen nicht bewusst sind. Da werde ich zur Patriotin! Ich liebe diese Stadt und bin sehr glücklich, dass ich hier gelandet bin.

Was sich ebenfalls verändert hat, ist die Hilfsbereitschaft der Wiener, die war früher nicht so groß. Zumindest nach meinem Empfinden. Andere würden mir wahrscheinlich widersprechen.

"Rauchergesetze kaum gespürt"

Was die Pandemie betrifft, konnte ich anfangs beobachten, dass die Menschen sehr gut zueinander waren und zusammengehalten haben. Aber immer, wenn ein Lockdown zu Ende war, haben einzelne begonnen, über andere zu schimpfen, zum Beispiel, weil sie keine Maske trugen. Da gab es plötzlich immer wieder Streit vor meinem Geschäft. Die meisten sind jetzt sehr froh, dass es zumindest so aussieht, als wäre alles beim Alten. Sie wollen einfach wieder ihr Leben genießen. Gut 20 Prozent sind noch immer sehr vorsichtig. Das muss man auch respektieren. Immerhin kommen pro Tag bis zu 500 Menschen in mein Geschäft. Die meisten von ihnen sind sehr freundlich, und ich habe mit den Jahren gelernt, mit Ungeduld und Geduld umzugehen. Mich stört so gut wie gar nichts.

Die Veränderung in Sachen Rauchergesetze und Gesundheitsbewusstsein bekam ich geschäftlich kaum zu spüren. Es kommen neue Raucher und Raucherinnen nach, viele sind auf andere Produkte umgestiegen. Das ist wie ein Zyklus. Mein Umsatz war und ist stabil. Die Touristen tragen natürlich auch ihren Anteil dazu bei.

Ich habe keine Ahnung, wie es irgendwann einmal mit meiner Trafik weitergehen wird. Wie gesagt, ich komme jeden Tag sehr gerne her. Ich sehe das Geschäft nicht einmal als Arbeit. Ich freue mich auf die Menschen. Solange ich Spaß habe, mache ich es. Außerdem weiß man nie, was das Morgen bringt. Ich denke immer an das Heute. Warum soll ich mir Sorgen darüber machen, was passieren könnte. Es kommt, wie es kommt. " (Michael Hausenblas, 22.8.2022)