Derzeit liegt die Inflation über dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB. Seit der Euroeinführung liegt die Teuerung im Mittel aber genau dort – droht nun aber das Ziel zu überschießen.

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Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in jüngster Zeit immer wieder aufgekommen. Zu spät habe sie demnach auf den stärksten Inflationsschub seit den 1970er-Jahren reagiert und erst im Juli die Nullzinsphase mit einer ersten Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte beendet, als die Teuerung im Euroraum bereits auf 8,9 Prozent geklettert war. Gleichzeitig hat der Euro auch an Außenwert eingebüßt und ist erstmals seit zwei Jahrzehnten unter die Parität zum US-Dollar gefallen, bevor er sich wieder leicht darüber stabilisieren konnte.

Zwar wird die Notenbank weitere Schritte setzen müssen, um die Teuerung auf das Inflationsziel von zwei Prozent pro Jahr zu drücken. Auch wenn sie kurzfristig die Marke klar verfehlt, auf lange Sicht liegt die EZB bei der Teuerung auf Kurs, wie das Investmenthaus Wermuth Asset Management errechnet hat. Demzufolge liegt nämlich die Inflation seit der Euroeinführung genau dort, wo sie bei einer jährlichen Teuerung von zwei Prozent, also dem EZB-Ziel, liegen sollte.

Punktlandung

Die Verbraucherpreise sind seit Ende 1998 in der Eurozone um 58 Prozent nach oben geklettert, was bis auf eine geringfügige Abweichung einer jährlichen Inflation von zwei Prozent entspricht. Zum Vergleich: Die US-Inflation lag im selben Zeitraum bei rund 2,5 Prozent, also merklich darüber. Besonders in den ersten 13 Jahren ist es der EZB gut gelungen, die tatsächliche Inflation nahe an dem zweiprozentigen Zielwert zu halten, nach der Finanzkrise 2008 kam es jedoch zu einem andauernden Unterschießen – also über viele Jahre zu einer geringen Teuerung in der Eurozone. Das wurde mit dem derzeitigen Inflationsschub infolge der Corona-Pandemie nun sprunghaft aufgeholt.

Für Volkswirt Dieter Wermuth handelt es sich dabei um eine "Erfolgsstory", allerdings schränkt er ein: "Für die EZB bleibt nur wenig Zeit, sich auf die Schulter zu klopfen. In der Öffentlichkeit zählt allein, dass die Inflationsrate bei 8,9 Prozent angekommen ist." Er erwartet, dass die Notenbank den Leitzins insgesamt um einen weiteren Prozentpunkt anheben wird, bis die Inflation Ende nächsten Jahres wieder unter drei Prozent sinken wird.

Zinsschritt im September

Als wahrscheinlich gilt, dass die EZB bei ihrer nächsten Sitzung im September eine weitere Leitzinserhöhung um einen halben auf dann einen Prozentpunkt durchführen wird. Wenn wie erwartet auch der Zins für Bankeinlagen bei der Notenbank von null auf 0,5 Prozent erhöht wird, dürfen sich Sparbuchfans Hoffnungen auf höhere Einlagensätze machen. Allein nach Abzug der Inflation wird das Sparbuch weiter ein Verlustgeschäft bleiben.

Und wie sieht es mit anderen Anlageformen aus? Nach dem extrem schwachen ersten Halbjahr an den Börsen, in dem Aktien und Anleihen gleichzeitig Federn lassen mussten, kam es zuletzt zu einer Stabilisierung. Wie schätzen Experten die weitere Entwicklung ein?

Seit dem Tief Ende Juni haben die Aktienmärkte eine kräftige Erholungsrally gestartet. Der deutsche Dax hat mehr als zehn Prozent dazugewonnen, liegt aber seit Jahresbeginn noch immer fast 13 Prozent unter Wasser. Noch kräftiger ist der Aufschwung an der Wall Street ausgefallen, die gemessen am S&P-500-Index auch noch um mehr als zehn Prozent im Minus liegt. Zuletzt hat die etwas nachlassende US-Inflation, die im Juli von 9,1 auf 8,5 Prozent gesunken ist, die Hoffnung der Börsenprofis geschürt, dass die US-Notenbank Fed nun weniger aggressiv die Zinsen erhöhen muss und damit die Rezessionsgefahr sinkt.

Erholungskurs

Die Analysten der Bank of America erwarten aufgrund von Stimmungsumfragen, dass die Aufwärtstendenz zumindest noch kurzfristig anhalten werde. Darüber hinaus bleiben die Experten allerdings skeptisch. Im US-Investmenthaus Federated Hermes sieht man die Teuerung besonders in Europa als große Herausforderung: "Das Vereinigte Königreich und Europa haben ihre eigenen Herausforderungen, welche die Inflation verschärfen und das Wachstum weiter dämpfen werden: Hier bleibt das Bild düster."

Anleger sollten also darauf gefasst sein, dass sich der aktuelle Aufwärtstrend an den Aktienmärkten als nicht dauerhaft und nachhaltig, sondern nur als Erholungsphase in einem Abwärtstrend entpuppen kann. Schließlich sind weder die Inflations- noch die Rezessionsgefahren dauerhaft gebannt. (Alexander Hahn, 21.8.2022)