Fleischlos glücklich mit Burger und Würsteln aus pflanzlichen Proteinen? Nicht alle Rezepte internationaler Lebensmittelriesen gehen auf.

Foto: Beyond Meat

Wien – Sie bremsen die Gier nach Fleisch, erleichtern das Gewissen der Konsumenten und nähren die Fantasie von Investoren. Zu veganen Burgern, Würsteln, Faschiertem und Geschnetzeltem verarbeitetes Protein aus Erbsen, Soja und Getreide brachte Farbe in Speisepläne der Lebensmittelindustrie.

Mit reichlich Risikokapital gefütterte Start-ups übten sich in neuen Rezepturen. Internationale Markenkonzerne drängten ins Geschäft. Die Werbebranche labte sich an der Vermarktung, während Marktforscher einander mit euphorischen Wachstumsprognosen überboten.

Doch so schön sich die neue Welt der Fleischimitate ausmacht – hinter ihrer Fassade brodelt es. Sei es, weil der Geschmack pflanzlicher Eiweißquellen jenen der Konsumenten nicht trifft. Sei es, weil diese angesichts der massiven Teuerung bei den Ausgaben fürs Essen sparen.

Saftige Verluste

Platzhirsche verloren an den Börsen heuer schmerzhaft an Gewicht, der Sprung in die Gewinnzone bleibt vielen verwehrt. Beyond Meat etwa baute die Verluste im zweiten Quartal auf 97 Millionen Dollar aus.

240 Dollar war die Aktie des US-Fleischersatzproduzenten, der auf Fastfoodketten wie McDonald’s vertraut, zu seinen besten Zeiten wert. Mittlerweile ist sie um 34 Euro zu haben. Veganz büßte in Deutschland am Kapitalmarkt ebenso deutlich an Boden ein wie Oatly in Schweden. Ist der Hype um vegane Ernährung eine Blase, die nun zu platzen droht?

Einer dem STANDARD vorliegende Studie von Roland Berger zufolge erlebt der Markt für pflanzlichen Fleischersatz mittelfristig ein jährliches Wachstum von zwölf Prozent. Derzeit trete die Branche jedoch auf der Stelle, ist Wilhelm Uffelmann, Senior Partner des Beratungsunternehmens, überzeugt: Der erhoffte Absatz bleibe vielerorts aus.

Erbse gegen Soja

Uffelmann führt dafür nicht nur hohe Inflation ins Treffen. Seiner Erfahrung nach gehen hoch verarbeitete, mit unzähligen Zusatzstoffen versehene Patties oder Nuggets am Bedarf typischer Vegetarier vorbei: Wer sich gesund und bewusst ernähren wolle, kaufe lieber frisch ein und koche selbst. Viele griffen aus Überzeugung oder Neugier zur Fleischalternative. "Doch die Textur und der Geschmack müssen überzeugen." Der Anteil der Konsumenten, die diese Produkte regelmäßig kauften, sei nach wie vor gering.

Im Wettlauf der Proteine um die Vorherrschaft am Markt für Fisch-, Käse- und Fleischimitate sieht Uffelmann Erbsen Soja den Rang ablaufen. Große Lebensmittelkonzerne lehnten Soja aus Imagegründen ab, glaubt er. Zu sehr werde die Bohne mit Gentechnik und der Abholzung von Regenwäldern in Verbindung gebracht. Dass die Leguminose zusehends regional, in Bioqualität und mit ans Klima angepassten Sorten in Österreich angebaut wird, lässt er nicht gelten. "Auch wenn viele gern daran glauben wollen – Soja ist kein Business-Case für Europas Landwirte." Zu niedrig seien ihre Erträge im Vergleich zu jenen in den USA.

Roland Berger erwartet, dass sich das Produktionsvolumen für Körnererbsen, deren Fasern, Stärke und Eiweiß zu Lebensmitteln verarbeitet werden, bis 2025 auf gut 550 Tonnen verdoppelt. Anders als Soja führt die Erbse aber in weiten Teilen Europas ein Schattendasein. Anbau und Ernte sind heikel. Der Bedarf an Insektiziden ist hoch, der Prozess der Extraktion des Eiweißes energieintensiv. In Österreich wuchs sie im Vorjahr auf nur 5000 Hektar heran. Lebensmittelerzeuger beziehen daher ihr Protein primär aus Frankreich.

Nicht alles Gold, was glänzt

Rund 34 Millionen Euro geben die Österreicher, die beim Fleischkonsum in Europa im Spitzenfeld liegen, heuer für Ersatzprodukte aus, schätzt die Datenbank Statista. Es sind um gut acht Millionen mehr als 2019 und dennoch nur ein Bruchteil der Ausgaben für Schweinsbraten und Backhendl.

Selbstläufer ist das Geschäft mit Fleischverzicht hierzulande keiner. "Konsumenten haben erkannt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt", sagt Lukas Weiss mit Blick auf Ökotests, die hochindustriell hergestellten veganen Nahrungsmitteln kein gutes Zeugnis ausstellten.

Der Chef von Sojarei zählt zu Europas größten Tofuherstellern. 75 Beschäftigte setzen in Traiskirchen elf Millionen Euro um. Der Familienbetrieb habe sich im Handel gut etabliert, betont Weiss. Dass der Absatz für vegane Lebensmittel temporär einbrechen könne, daran seien ihre Produzenten gewöhnt, "und sie gingen daraus stets gestärkt hervor".

Entscheidend für die Branche sei, ob echtes Fleisch, das sich ebenso verteuert, über Eingriffe ins Futtermittelgeschäft subventioniert wird. Dann nämlich kämen Alternativen dazu tatsächlich in die Bredouille.

Dass die Erbse geschmacksneutralere Sojabohnen von ihrem Thron stößt, bezweifelt Weiss: Mit ihrem weit geringeren Proteinanteil lasse sich die Welt sicher nicht ernähren.

Technologische Fortschritte

Norbert Marcher zieht Körnererbsen der Bohne für seine fleischlosen, unter der Marke "die Ohne" vertriebenen Lebensmittel vor. Dass er kein Vorreiter für Soja sein könne, liege freilich auf der Hand, meint der Industrielle, der die größten österreichischen Fleischwerke führt.

Warum er sich an Veganem versucht? "Der Geschmack der Konsumenten wandelt sich. Warum sollen wir dafür nicht auf unsere Technologie und Infrastruktur zugreifen?"

Marcher erinnert an große technologische Fortschritte rund um Fleischersatz. "Es hat sich hier viel getan, um den Geschmack des Originals zu treffen." Revolutionen verspricht er keine. Klar seien zweistellige Wachstumsraten im Jahr beeindruckend. Aber liege der Marktanteil bei ein, zwei Prozent, brauche es Jahre, um ihn zu verdoppeln.

Neue Rezepte

Mit halb Fleisch, halb Gemüse probiert es Cornelia Habacher, die in Wien vor drei Jahren Rebel Meat mitgründete. Ihr Rezept ging auf. Nach einer Listung bei Billa gelang heuer der Schritt in den deutschen Lebensmittelhandel. "Unsere Kunden halten uns die Stange", sagt sie, auch wenn sie wie alle anderen dazu gezwungen sei, die Preise aufgrund gestiegener Kosten zu erhöhen.

"Krise? Ich kenne es nicht anders", sagt Nadine Ruedl und lacht. Seit Oktober versorgt ihr Wiener Start-up Pflanzerei die Österreicher mit veganem Leberkäse aus Erbseneiweiß und anderem Gemüse. Normale Tage gebe es keine: Rohstoffe wie Rapsöle versiegten plötzlich, Lieferungen verzögerten sich, Rezepturen gehörten geändert. Anlass zu verzagen sieht sie dennoch keinen: Mitte September zieht ihr Leberkäse "Gustl" in 131 Billa-Filialen ein. Mit der Produktion von 300 Kilo im Monat hat Ruedl begonnen. Künftig werden es fünf Tonnen sein. (Verena Kainrath, 20.8.2022)