Bei Projekten wie dem Café Vollpension können Senioren etwas dazuverdienen: Teilzeit ist ein Grund, warum das manchmal notwendig ist.

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Das Phänomen alarmiert Frauenpolitikerinnen quer durch die Lager. Längst warnen nicht mehr nur Sozialdemokratinnen davor, der Verlockung einer stundenmäßig abgespeckten Arbeitswoche zu erliegen. Unlängst gab auch ÖVP-Seniorenchefin Ingrid Korosec in einem Gastkommentar in der Presse die Parole aus: "Raus aus der Teilzeit!"

Das Paradoxe daran: Wovor da gewarnt wird, erlebt einen ungebrochenen Boom. Seit 1994 hat sich der Anteil der weiblichen Teilzeitbeschäftigten nahezu verdoppelt. Jede zweite erwerbstätige Frau arbeitet weniger als das volle Maß an Wochenstunden – bei den Männern sind es nur rund elf Prozent. Die gestiegene Frauenbeschäftigung ist praktisch zur Gänze auf Teilzeit zurückzuführen.

Das hat einen Preis – in erster Linie für die Frauen selbst. Der Verzicht auf den Vollzeitjob kann mehr an Lebenseinkommen kosten, als sich viele wohl ausmalen. Das zeigen Berechnungen von Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und Arbeitsmarktservice (AMS) aus einer Studie von 2017 (siehe Infobox unten): Selbst wer die Arbeitszeit über 15 Jahre auf kein geringeres Maß als 30 Wochenstunden senkt, muss bereits mit Einbußen von über 100.000 Euro rechnen.

Keine unabhängige Existenz

Das beginnt beim laufenden Gehalt, das für weniger Arbeitsstunden naturgemäß geringer ausfällt. Dazu kommt ein indirekter Effekt. Teilzeit hemme oftmals das berufliche Fortkommen, sagt Gerlinde Titelbach vom Institut für Höhere Studien (IHS). Schlechtere Chancen auf Weiterbildung und Führungspositionen schlagen sich in der Folge erst recht im Einkommen nieder.

Zu spüren bekommen dies besonders jene, die auf sich allein gestellt sind, etwa nach einer Trennung vom (besserverdienenden) Partner. Vielen Frauen bietet Teilzeit keine ökonomisch unabhängige Existenz. Laut einer von Titelbach mitverfassten Studie zur Situation in Wien sind 43 Prozent der Alleinverdiener und Alleinverdienerinnen in Teilzeit armutsgefährdet, bei Vollzeit sind es "nur" 24 Prozent.

Die Kluft erstreckt sich bis in die Pension. Am 3. August fand heuer der sogenannte Equal Pension Day statt. Dies ist jener Tag, an dem Männer rein rechnerisch so viel Pension erhalten haben, wie Frauen bis Jahresende auf ihrem Konto verbuchen können. Das Datum hat sich seit dem Vorjahr um klägliche zwei Tage nach hinten verschoben. Geht es in diesem Tempo weiter, werden Frauen erst im Jahr 2118 Pensionen in gleicher Höhe wie jene der Männer beziehen.

Mehrere Gründe für das Gefälle

Der Status quo ist ernüchternd. Immer noch bekommen Frauen um durchschnittlich 41,1 Prozent weniger an Pension als Männer. Was die dürre Statistik im Verhältnis ausdrückt, macht im echten Leben einen Riesenunterschied aus. Während Männer 14-mal pro Jahr eine monatliche Durchschnittspension von 2103 Euro beziehen, bekommen Frauen nur 1239 Euro.

Für dieses Gefälle gibt es nicht nur den einen Grund. Typische "Frauenjobs" sind in der Regel schlechter bezahlt; alle Versuche, in den sogenannten Mint-Berufen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik – die Männerdominanz zu brechen, fruchten nur langsam. Unterm Strich leisten Frauen 40 Prozent der gesamten Erwerbsarbeit, beziehen aber lediglich rund ein Drittel der gesamtwirtschaftlichen Lohnsumme.

Außerdem schlagen sich die familiären Pflichten nieder. In Österreich sind es nach der Geburt eines Kindes noch immer vor allem die Mütter, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, in Karenz gehen und Kinderbetreuungsgeld beziehen. Da schließt sich der Kreis zur Teilzeitfrage.

Denn während Väter im Schnitt sogar mehr arbeiten als Männer ohne Kinder, kehren Frauen zu reduzierter Stundenzahl oder gar nur geringfügig beschäftigt auf den Arbeitsmarkt zurück. Bei Müttern liegt die Teilzeitquote noch einmal höher als allgemein, sie stieg zwischen 1994 und 2020 von 39,1 Prozent auf 72,3 Prozent.

Eine bittere Rechnung für Frauen

Je niedriger das Aktivgehalt ist, desto schmäler fällt auch die Alterspension aus: Diese simple Rechnung hat sich in der jüngeren Vergangenheit arithmetisch noch verschärft. Als Folge von Pensionsreformen bemisst sich der Altersbezug nicht mehr nur am Schnitt der 15 "besten" Arbeitsjahre.

Der bis 2028 stufenweise auf 40 Jahre steigende Durchrechnungszeitraum führt dazu, dass nunmehr Zeiten mit schlechterem Verdienst dazuzählen. Was das Pensionssystem entlastet und insgesamt gesehen seine Logik hat, stellt besonders viele Frauen vor ein Problem: Teilzeitphasen schlagen sich damit umso mehr in niedrigeren Pensionen nieder.

Soll der Staat auf dem Weg in die Teilzeit also Hürden aufstellen? Muss die Politik alles daran setzen, Frauen diese Wahl auszureden? Mit einem eindeutigen Ja oder Nein ließen sich diese Fragen nicht beantworten, sagt Expertin Titelbach. Zu vielfältig seien die Motive hinter der Teilzeit, um alles über einen Kamm zu scheren, zu verschieden die Lebenssituationen der Frauen.

Unfreiwillig in Teilzeit

In der Typologie der Teilzeitbeschäftigten, die in der Wiener IHS-Studie nachzulesen ist, findet sich eine Gruppe, die es sich nicht aussuchen kann. Diese Menschen würden gerne mehr arbeiten, können aber nicht, weil sie sich etwa um Kinder oder pflegebedürftige Eltern kümmern müssen oder keine Vollzeitstelle finden.

In Branchen wie im Einzelhandel oder im Pflege- und Gesundheitsbereich würden für bestimmte Positionen fast ausschließlich Teilzeitjobs angeboten, sagt Titelbach. Arbeitgeber erhofften sich davon mehr Flexibilität bei der Einteilung der Dienstpläne oder der Abdeckung von Auftragsspitzen.

Unter jenen, die unfreiwillig in Teilzeitjobs arbeiten, finden sich relativ viele Niedrigverdiener. Bewusstseinskampagnen über die in der Pension zu erwartenden Einbußen gehen an deren Realität ebenso vorbei wie die Klage des Neos-Abgeordneten Gerald Loacker über den angeblich grassierenden Hedonismus als Motiv für Teilzeit.

Schwierige Abgrenzung

Insgesamt ist diese Gruppe, die in Teilzeitjobs gezwungen wird, laut IHS-Studie aber nur eine Minderheit von 15 Prozent. Das deckt sich mit anderen Einschätzungen. Die Zahlen divergieren, mehr als 30 Prozent Unfreiwillige unter den Teilzeitkräften tauchen in diversen Erhebungen zur heimischen Lage, soweit überblickbar, jedenfalls nicht auf.

Doch die Abgrenzung ist nicht so einfach. Wenn eine Frau aus einer Kleinstadt etwa angibt, dass sie wegen der Kinder Teilzeit arbeiten wolle – ist das per se freiwillig? Schließlich könnte hinter dem Wunsch auch der Umstand stecken, dass die Betroffene mangels verfügbarer Kinderbetreuung von vornherein nicht an Alternativen denkt.

Einen großen Unterschied macht auch, wie großzügig oder eng die Teilzeit bemessen ist. Viele Frauen mit Betreuungspflichten arbeiten zwischen zwölf und 25 Stunden Teilzeit, während der Mann voll im Berufsleben steht. Bei einem solchen Pensum steigt die Gefahr, später in Richtung Mindestpension abzurutschen.

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Die Berechnung der Pension fällt für viele Frauen heute unvorteilhafter aus als früher: Nun zählen nicht mehr bloß die besten Verdienstjahre.
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Geringer ist das Risiko für jene, die nur um einige wenige Stunden unter die Vollzeitgrenze gehen. In dieser Gruppe sind auch Gutverdienerinnen, die ein paar finanzielle Einbußen in Kauf nehmen können – weil sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen, ein paar Stunden für sich haben oder ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen. In diesen Fällen muss sich die Politik weniger Sorgen machen.

Wieder anders gelagert ist die Situation jener, die sich mit meist sehr kurz bemessener Teilzeit etwas zur Ausbildung oder der Pension dazuverdienen. In dieser Gruppe ist der Männeranteil am höchsten.

Ins Gewissen reden reicht nicht

Informationskampagnen über die finanziellen Auswirkungen der Teilzeit seien wichtig, schließt Titelbach aus dieser Gemengelage, doch gleichzeitig müssten den Betroffenen "konkrete Handlungsalternativen" geboten werden. Dafür brauche es nicht nur taugliche Betreuungseinrichtungen für die Kinder und die Möglichkeit zum Stundenaufstocken im Job: "Es müssen auch die Geschlechterrollen in der Gesellschaft aufgebrochen werden."

An diesem Punkt hakt Katharina Mader, Expertin in Sachen geschlechtsspezifische Einkommensverteilung, ein. Dass die Frauenbeschäftigung fast ausschließlich über Teilzeitjobs gestiegen ist, hängt für die Ökonomin an der Wiener Wirtschaftsuniversität untrennbar mit der Zuständigkeit für unbezahlte Arbeit zusammen.

Letztere ist im Gesamtausmaß höher als die bezahlte Erwerbsarbeit, und sie ist deutlich ungleicher verteilt. Laut der letztverfügbaren Untersuchung arbeiten Österreicherinnen und Österreicher pro Jahr 9,5 Milliarden Stunden bezahlt und neun Milliarden Stunden unbezahlt – ohne ehrenamtliche Tätigkeiten. Zwei Drittel der unbezahlten Arbeiten übernehmen Frauen.

Die Zahlen stammen aus der sogenannten Zeitverwendungserhebung von 2008/09. Neue Daten dazu wird es erst Anfang 2023 geben. Der Grund: Österreich hat die Empfehlung der europäischen Statistikbehörde Eurostat, eine solche Erhebung alle zehn Jahre durchzuführen, noch nicht umgesetzt. Man könnte das als Indiz sehen, dass das Thema nicht recht ernst genommen wird. Gerade hierzulande ist die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern besonders solide einzementiert.

Revolution in der Arbeitswelt

Was also tun? Es müsste ans Eingemachte gehen, sagt Mader und verweist auf die recht strikte und hartnäckige Einteilung in Teilzeit und Vollzeit, die sich zwischen dem kollektivvertraglich festgelegten Pensum – meist die 38,5-Stunden-Woche – und der gesetzlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden bewegt. Stattdessen wäre es "viel zielführender, etwa eine 30-Stunden-Woche als kurze oder gesunde Vollzeit zu definieren". Und zwar für alle.

Die Folge wäre, hofft Mader, dass sich Männer häufiger für eine geringere Stundenanzahl entscheiden, Frauen aber mehr Zeit ihrer beruflichen Tätigkeit widmen könnten. Ohnehin arbeiten vollzeitbeschäftigte Männer in Österreich mit 41,5 Stunden deutlich mehr als der EU27-Schnitt. Der Spielraum, um unbezahlte Arbeit umzuverteilen, wüchse so.

Viel gäbe es noch auszudiskutieren, etwa das Gehaltsniveau einer 30-Stunden-Vollzeit-Woche. Gelingt ein solcher Umbruch aber, würde dieser langfristig auf das gesamte Erwerbsleben wirken, ergänzt Wifo-Forscher Rainer Eppel. Gesundheitsschädliche Arbeitszeiten bei Vollzeitjobs würden reduziert, die Menschen würden produktiver. Aber fielen die Pensionen, in dem Fall der Männer, nicht erst recht wieder geringer aus? Eppel geht davon aus, dass die Menschen dann auch gesünder bis in ein höheres Alter arbeiten könnten – und das sogar gerne. (Regina Bruckner, Gerald John, 20.8.2022)