Fünfeinhalb Meter purer Komfort mit einem ausreichenden Antrieb, fotografiert übrigens am Lido di Venezia. Wir sind alle über das Wasser gekommen, mit dem Mercedes.

Foto: Michael Völker

Ganz objektiv gesagt, mir selbst ist das ja kein Anliegen: Das ist das beste Auto der Welt – unter gewissen Kriterien gesehen. Rein subjektiv könnte man jetzt natürlich noch Bentley oder Rolls-Royce ins Spiel springen, die haben auch etwas für sich, klar. Aber die kosten in dieser Ausstattung sind dann doch wieder ein Eckerl mehr.

Wer jetzt aber gerade so einmal 170.000 Euro für ein Auto parat hat und besonderen Wert auf Komfort und Bequemlichkeit legt, der wird um dieses Geld kein besseres Auto bekommen als die S-Klasse von Mercedes in der extralangen Version.

Und nur darauf kommt es an, es braucht die extrageile Ausstattung, also die Extraliste einmal rauf und runter. Das macht gegenüber dem Grundpreis von 146.000 Euro noch einmal 26.000 Plus nur für das Zubehör aus. Ich weiß, da kaufen andere Menschen ganze Autos drum. Die sind dann aber auch nicht so gemütlich.

Mit allen vieren in die Kurve

Rückreise über Friaul, hier gibt es auch nette Ecken. Der Wagen ist spektakulär, übt sich aussehensmäßig aber in Bescheidenheit.
Foto: Michael Völker

Für die Fahrerin oder den Fahrer selbst ist das Auto gar nicht so spektakulär. Ja, fährt sich gut, und zwar überall, ausgenommen abseits der Straßen natürlich. Wir haben alles ausprobiert: die enge Bergstraße mit Pässen und die ewige lange Gerade der Autobahn.

Im Prinzip braucht man nicht viel tun, ein bisschen lenken vielleicht. Das meiste erledigt das Auto selbst. Erkennt die Verkehrsschilder, beschleunigt, reduziert die Geschwindigkeit, lässt rollen oder bremst. Das Auto ist so intelligent, dass man selbst ein bisschen unter Zugzwang gerät, um nicht als einfältiger Tölpel dazustehen.

Und selbst beim Lenken hilft der Wagen, nicht nur beim Spurhalten: Alle vier Räder lenken mit. Das hilft in den Kurven und beim Einparken. Auf der kurvigen Bergstraße cruisen wir so entspannt um die Ecke, dass von hinten keinerlei Beschwerden kommen. Und das heißt etwas.

510 PS gut verteilt

Die S-Klasse bietet neben dem Komfort ungefähr alle Assistenzsysteme, die man sich vorstellen kann, und einige sind immer noch überraschend.
Foto: Michael Völker

Insgesamt sind uns hier 510 PS vergönnt, die verteilen sich schlau auf alle vier Räder. Den größten Teil der Kraft steuert der Sechszylinder-Benziner bei, immerhin fast 370 PS, der Rest kommt vom Elektromotor, auch ganz tüchtig.

Die elektrische Reichweite beträgt immerhin 116 Kilometer, da kommt man ein Stück herum. Selbst wenn es keine Gelegenheit gibt, die Batterie an der Steckdose aufzufrischen, was in Italien gut vorkommen kann, ist es erstaunlich, wie viel elektrische Energie der Wagen aus dem eigenen Betrieb zu schöpfen und wieder einzusetzen vermag.

Die pure Kraft legt es natürlich nahe, die S-Klasse ginge auch wie der Teufel, aber darum geht es nicht. Dieser Mercedes verleitet nicht zur Raserei, im Gegenteil. Wir gleiten, wir fliegen, wir segeln. Immerhin sind zweieinhalb Tonnen zu bewegen – und das, noch bevor ich selbst Platz genommen habe. Das Gesamtgewicht stemmt der Mercedes aber mit einer grazilen Leichtigkeit, das merkt man kaum.

Wenn das Fahren also nicht spektakulär ist, obwohl es schon ziemlich toll ist, was ist es dann, was diesen Mercedes als Superlativ qualifiziert? Das Sitzen, eindeutig. Man schmiegt sich in weiches Leder, richtet sich im Fonds den Bildschirm, korrigiert ein wenig die Klimaanlage und lässt es sich gut gehen. Wer müde ist, fährt den Sitz zu einer Fast-Liegeposition aus, da kann man gut schlafen. Platz ist sowieso gut vorhanden.

Mika studiert im Fonds schon einmal die Aktienkurse, da muss sich doch etwas machen lassen.
Foto: Michael Völker

Wenn wir schon vom intelligenten Auto reden: Mein Kind ist auch intelligent, vielleicht ungewollt: Über die Bedienelemente des hinteren Bildschirms ist es ihm gelungen, auf mein (mit dem Wagen natürlich verbundenes) Smartphone zuzugreifen und ohne mein Zutun den Opa anzurufen. Da waren wir alle überrascht.

Gehässigkeit von hinten

Hinten ist es also spektakulär komfortabel, da lassen sich lange Strecken aushalten. Wir fassten kurz Neapel ins Auge, entschieden uns dann aber für Venedig. Der vermeintliche Abkürzer über Punta Sabbioni erwies sich als Rohrkrepierer, die Autofähre verkehrt nämlich nur zweimal die Woche, tatsächlich – und ganz sicher nicht an dem Tag, an dem ich oder Sie dort vorfahren.

Grafik: DER STANDARD

Um die Gehässigkeit, die aus dem Fonds des Wagens in einer solchen Situation nach vorn dringt, ein wenig abzumildern, ist ein Besuch im Locanda Zanella hilfreich, Piazza Santissima Trinita in Cavallino-Treporti, danach ist alles wieder gut.

Mit allen Umwegen landeten wir dann doch in Venedig, und da wir das Auto unbedingt mitnehmen wollten und das in Venedig selbst schwer geht, nahmen wir Quartier am Lido, dorthin brachte uns die Autofähre. Um einen vierjährigen Buben zu bespaßen, ist das schon die halbe Miete. Die Schildkröte im Teich der Villa Ines und das Vaporetto rüber nach Venedig erledigten dann den Rest.

Nach so viel Boot und Wasser war es dann herrlich, endlich wieder in den Mercedes zurückzukehren, das Leder zu bewohnen und die Heimreise anzutreten. Erholsam wie der Wellnessbereich in der Villa, die man nicht hat. Eine sehr gute Aufwärmübung im Was-wäre-wenn. (Michael Völker, 22.8.2022)