Startklar: Seit vergangenem Dienstag steht das Trägersystem Space Launch System für den ersten Teil der Mondmission Artemis 1 auf der Startrampe des Kennedy Space Center in Cape Canaveral, Florida, bereit.
Foto: REUTERS/Joe Skipper

Wenn alles nach Plan läuft, könnte nächste Woche ein entscheidender Schritt für die Rückkehr zum Mond gelingen: Der 29. August ist der Starttermin für den ersten Teil von Artemis, dem Mond-Programm der US-Weltraumagentur Nasa. Bei diesem ersten Start des neuen Trägersystems Space Launch System soll das Raumschiff in einen hohen Mondorbit eintreten und wieder zur Erde zurückkehren.

Bei seinem letzten Besuch in Wien gab James Free, mitverantwortlich für das Mondprogramm der US-Weltraumagentur Nasa, in einem Vortrag an der Akademie der Wissenschaften Einblicke zur Rückkehr zum Erdtrabanten und Ausblicke auf künftige Marsmissionen.

Artemis 1 ist der erste Teil der Nasa-Mondmission. Wenn alles nach Plan läuft, will die US-Raumfahrtbehörde in drei Jahren wieder Astronautinnen und Astronauten zum Mond bringen. Video: Nasa
NASA

STANDARD: Was können wir Jahrzehnte nach der ersten Mondlandung immer noch daraus lernen, auf dem Erdtrabanten zu landen? Warum zieht es plötzlich alle zum Mond?

Free: Die Nasa wird diesmal eine andere Umgebung auf dem Mond ansteuern als das letzte Mal, als wir dort waren. Zudem werden wir diesmal viel mehr Möglichkeiten haben als damals. Wir haben vor, den Südpol des Mondes zu besuchen, wo wir viele Ressourcen erwarten, die wir nützen können.

STANDARD: Welche Schätze könnten auf dem Mond gehoben werden?

Free: Zunächst geht es dabei um Eiswasser, das uns helfen könnte, langfristige Missionen auf dem Mond durchzuführen – einerseits, um die Crew mit Wasser zu versorgen, andererseits, um damit Energie zu erzeugen. Es gibt aber auch noch andere Ressourcen wie schwere Metalle, die wir als Baumaterial auf dem Mond nutzen könnten.

James Free ist Associate Administrator for the Exploration Systems Development Mission Directorate bei der US-Weltraumagentur Nasa.
Foto: ÖAW/Schedl

STANDARD: Was ist der aktuelle Zeitplan der Nasa für das Mondprogramm Artemis?

Free: Wir hoffen, dass wir am 29. August mit dem ersten robotischen Testflug starten können. Wenn das funktioniert, wollen wir 2024 einen weiteren Flug starten, in dem Teile der Hardware des ersten Flugs wiederverwendet werden. Ungefähr ein Jahr später, also bis Ende 2025, soll dann die erste astronautische Landung auf dem Mond stattfinden.

STANDARD: Was sind die größten Herausforderungen, bis es so weit ist?

Free: Wie lange haben wir Zeit für dieses Gespräch? Im Ernst: Eine große Herausforderung ist, diese neue Hardware zu entwickeln – es handelt sich um das größte Raketensystem, das je gebaut worden ist. Wir müssen genau verstehen, wie es funktioniert, denn es hat seine eigenen Charakteristika. Weiters geht es darum, einen Lander zu bauen, mit dem wir die Crew tatsächlich bis zur Mondoberfläche transportieren können. Der Südpol ist ein schwieriger Landeplatz – das ist also ebenfalls eine große Herausforderung.

STANDARD: Wie geht es weiter, wenn es gelungen ist, erneut Menschen zum Mond zu bringen?

Free: Wenn wir in Zukunft für längere Zeitspannen auf dem Mond bleiben wollen, müssen wir bestimmte Systeme entwickeln, um das für die Crew zu ermöglichen. Es braucht einen speziellen Rover, um auf der Mondoberfläche herumzufahren und jenen Bereich zu vergrößern, den wir erforschen können. Eine große Herausforderung ist auch die Wiederholbarkeit: Die Landung muss nicht nur einmal gelingen, sondern viele Male, sodass wir schließlich ein System bauen können, mit dem wir eines Tages zum Mars gelangen.

Von der geplanten Raumstation im Mondorbit Lunar Gateway könnten sämtliche Punkte auf der Mondoberfläche erreicht werden.
Illustration: Nasa

STANDARD: Der Nasa geht es bei der aktuellen Mondmission nicht nur darum, erneut auf dem Mond zu landen, sondern auch darum, eine Raumstation in der Mondumlaufbahn zu errichten. Welche Möglichkeiten könnte dieser Lunar Gateway künftig bieten?

Free: Der Lunar Gateway befindet sich in einer ganz speziellen Mondumlaufbahn. Wir können von dort fast alle Punkte auf der Mondoberfläche erreichen – sowohl am Südpol wie auch am Äquator. Weiters ermöglicht uns die Mondstation, dass wir direkt dort Wissenschaft betreiben. Wir können nicht hunderte Kilogramm an Gesteinsproben zur Erde zurücktransportieren, aber wir können sie vom Mond zum Lunar Gateway bringen und dort untersuchen.

STANDARD: Die Mondmission ist auch als Vorbereitung für künftige Marsmissionen gedacht. Was lässt sich vom Besuch auf dem Erdtrabanten für die Reise zum Roten Planeten lernen?

Free: Wir können Technologien, die wir für die Marsmission einsetzen wollen, zuvor auf dem Mond und auf der Mondstation testen. Als wir begonnen haben, Technologie nicht mehr nur auf der Erde zu testen, sondern auch auf der Internationalen Raumstation in der Mikrogravitation, haben wir sehr viele Dinge gelernt. Teilweise haben wir Apparate fünf Jahre auf der Erde getestet, und sobald sie auf der Raumstation waren, haben sie nicht mehr funktioniert. Wir haben also längst nicht so viel über Mikrogravitation gewusst, wie wir dachten. Mit der partiellen Gravitation auf dem Mond könnte es sich ähnlich verhalten.

STANDARD: Was macht das Testgelände Mond und Mondstation für künftige Marsmissionen so besonders?

Free: Auf dem Mond wirkt ein Sechstel der Gravitation wie jene auf der Erde, das ist ein gutes Testgelände für den Mars, der ein Fünftel der Erdgravitation hat. Wir brauchen also zuerst etwas Zeit auf der Oberfläche des Mondes, um zu verstehen, wie unsere Technologie in dieser Umgebung funktioniert, bevor wir zum Mars aufbrechen und unsere Systeme dort hinschicken. Mit unseren derzeitigen technischen Möglichkeiten würde eine Reise zum Mars mindestens 210 Tage dauern. Wir wollen diese Technik zuvor zum Lunar Gateway bringen und sie für ein Jahr dort testen, bevor wir damit zum Mars reisen. Die nun geplanten Mondmissionen ermöglichen uns, einmalige Wissenschaft zu betreiben. Zugleich helfen sie uns auch, uns für den Mars vorzubereiten. (Tanja Traxler, 22.8.2022)