Statt Wärme über Kanaldeckel entweichen zu lassen, könnte man sie mittels eines Wärmetauschers produktiv zum Heizen oder Kühlen nutzen.

Foto: ho

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe vielen die Augen geöffnet. Die Abhängigkeit von russischem Gas, der steile Preisanstieg infolge von Lieferbeschränkungen sowie die Notwendigkeit, an Alternativen zu denken, habe bisher vernachlässigte Energieformen in den Mittelpunkt gerückt, sagt Ulrike Rabmer-Koller, die Chefin von Rabmer Bau und Umwelttechnik in Altenberg bei Linz.

Seit 2010 beschäftigt sich das oberösterreichische Familienunternehmen, das über die Jahre große Expertise in Sachen grabungsfreie Kanalsanierung erworben hat, aus naheliegenden Gründen auch mit Energie aus Abwasser. "Aber erst jetzt, aufgrund der Energiekrise, spüren wir ein gesteigertes Interesse von Kommunen und Städten dafür", sagt Rabmer-Koller im Gespräch mit dem STANDARD.

Skandinavien liegt voran

Dabei könnten laut einer Potenzialerhebung bis zu 14 Prozent des Wärmebedarfs in Österreich durch Nutzung von Energie aus Abwasser gedeckt werden. "In Österreich stehen wir erst ganz am Anfang", sagt Rabmer-Koller. "Die skandinavischen Länder, aber auch Deutschland und die Schweiz sind definitiv weiter."

Dabei sei Energie aus Abwasser keine Raketenwissenschaft. Voraussetzung, um diese bereits einmal hergestellte Energie ein zweites Mal zu nutzen, seien ein vorhandener Kanal, eine genügend große Durchflussmenge und eine Mindesttemperatur. Dabei sei zu unterscheiden zwischen Freispiegelleitungen und Druckleitungen.

Bei einer Freispiegelleitung, sprich einem Kanal, wo das Abwasser ohne Druck allein durch Ausnutzung des Höhenunterschieds Richtung Kläranlage fließt, seien 400er-Rohre erforderlich und eine Abwassermenge bei Trockenwetter von mindestens zehn Litern in der Sekunde. Bei einer Druckleitung wird mit Druck gepumpt, das Rohr ist voll, deshalb kann dieses auch eine kleinere Dimension haben. Die Temperatur des Abwassers sollte in beiden Fällen mehr als acht Grad betragen.

Stadt-Land-Gefälle

400er-Rohre seien in Städten weitverbreitet, auf dem Land aber kaum. Dort sei man auf Abwasserentsorgungskanäle angewiesen, die mehrere Orte über ein Sammelsystem verbinden, sagt Rabmer-Koller.

Die Temperatur des Abwassers sei noch das geringste Problem. In Wien etwa komme man ganzjährig auf eine Durchschnittstemperatur von 16 Grad – rund zwölf Grad im Winter, rund 20 Grad im Sommer. Leitet noch dazu ein Industrie- oder Gewerbebetrieb wie eine Wäscherei Abwasser ein, kann die Temperatur auch auf 30 Grad steigen.

Wie viel warmes Wasser ungenutzt Richtung Kläranlage fließt, hat der Klima- und Energiefonds einmal veranschaulicht: An die 600 Badewannen voll gehen demnach pro Kopf und Jahr den Kanal hinunter. Darin inkludiert ist Duschen, Kochen, Waschen – eben alles, was mit warmem Wasser zu tun hat.

Amortisationszeit unter zehn Jahren

Welche Kosten anfallen, um Energie aus Abwasser mittels Wärmetauscher zu holen, sei von Projekt zu Projekt verschieden, weil die örtlichen Gegebenheiten eine maßgebliche Rolle spielten. Rabmer-Koller: "Was man aber sagen kann, ist, dass wir bei den Amortisationszeiten bei deutlich unter zehn Jahren liegen. Je größer die Anlage, je mehr Abwasser, desto effizienter und wirtschaftlicher ist das Ganze."

Interessenten seien neben Kanalbetreibern zunehmend auch Immobilienentwickler, die sich damit eine neue Wärmequelle erschließen wollten. Auch für Erzeuger von Fernwärme sei die Beimengung von Abwasserenergie eine Option; sie sei aber genauso für den Betrieb von Nahwärme- oder Nahkältenetzen geeignet – und in den meisten Fällen effizienter als Geothermie.

Rabmer-Koller, die auch einmal Präsidentin des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger war, will die Umweltsparte ihres Unternehmens jedenfalls kräftig aus- und zusätzliches Personal aufbauen. (Günther Strobl, 22.8.2022)