Der grüne Klimasprecher, Lukas Hammer (links), kritisiert die Aussage seines ÖVP-Kollegen, dass die Regierung derzeit andere Krisen bewältigen müsse.

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Wien – Der heurige Sommer hat einmal mehr gezeigt, dass der Kampf gegen die Klimakrise eine gewisse Dringlichkeit hat, aber in Österreich steigt der CO2-Ausstoß sogar. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler hat ein Klimaschutzgesetz versprochen, aber sie kann seit zwei Jahren keines vorlegen, weil der Koalitionspartner ÖVP ziemlich deutlich macht, dass er kein Interesse an einem Klimaschutzgesetz hat. Große Verhandlungsrunden gab es zuletzt vor einem Jahr, berichtete Ö1.

Der grüne Klimasprecher Lukas Hammer zeigte sich im "Morgenjournal" am Montag verärgert über die ÖVP. "Wenn ich alleine auf der Tanzfläche stehe und Walzer tanzen will, dann funktioniert das nicht." Derzeit gebe es keine Fortschritte, gibt auch ÖVP-Klimasprecher Johannes Schmuckenschlager zu. "Das Klimaschutzgesetz ist ein Grundgeräusch in dem Ganzen, aber nicht das allerwesentlichste."

"Klimaschutzgesetz nicht oberste Priorität"

Im Moment sei eine Einigung nicht sehr wahrscheinlich, deshalb werde eher über konkrete Maßnahmen verhandelt, sagt Schmuckenschlager. "Wir schaffen die Rahmenbedingungen auch mit einer Vielzahl anderer Gesetze, wie zum Beispiel Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, und vor allem ein Hauptthema wird sein, dass wir auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung schneller werden. Da ist jetzt das Klimaschutzgesetz nicht die oberste Priorität."

Schließlich gebe es derzeit viele Krisen zu bewältigen, meint der ÖVP-Klimasprecher. Für sein Gegenüber bei den Grünen ist das eine Ausrede. "In den letzten Jahrzehnten habe ich immer das Gleiche gehört. Es gab immer irgendeine andere Krise, und Klimaschutz war dann nicht Priorität. Ich glaube, wir sehen jetzt alle, dass wir Klimaschutz endlich so ernst nehmen müssen, wie ja auch die Wissenschaft sagt, und dazu gehört eben auch ein Klimaschutzgesetz", kritisiert Hammer.

Streitfrage der Verbindlichkeit

Der große Streitpunkt beim neuen Klimaschutzgesetz bleibt die Verbindlichkeit. Die Grünen wollen die Klimaziele in der Verfassung verankern – mit Strafzahlungen für Bund und Länder bei Verfehlungen. Nicht mit der ÖVP, sagt Schmuckenschlager und folgt damit den Wünschen der Wirtschaft. "Dass wir auf der Seite der Wirtschaft stehen, das war immer so, und das wird auch so bleiben. Und ich sehe das auch wirklich nicht als Fehler. Ich glaube, viel mehr sollte man es aus der Perspektive betrachten, dass man sagt, wie können wir auch mit der Wirtschaft diese Energiewende zusammenbringen, weil sonst ist es nicht machbar."

Ohne Sanktionen und Verbindlichkeit gehe es aber nicht, beharren die Grünen, das habe das alte, mittlerweile abgelaufene Klimaschutzgesetz gezeigt. "Ein Klimaschutzgesetz, das nicht verbindlich ist und keine Konsequenzen hat und nur für den Bund gilt, ist wirkungslos, weil es einfach ignoriert wird. Da habe ich lieber kein Klimaschutzgesetz", so Hammer.

Seit 600 Tagen fällig

Für die Grünen also eine rote Linie. Dennoch wird es ohne weitere Zugeständnisse keine Einigung geben, das ist auch Klimasprecher Hammer klar. "Das ideale Klimaschutzgesetz werden wir vielleicht nicht mehr beschließen – von diesem Gedanken habe ich mich schon verabschieden müssen –, aber wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, das uns weiterbringt."

Vorerst also bleibt das Klimaschutzgesetz, das seit mittlerweile 600 Tagen fällig ist, nicht mehr als eine Ankündigung. Auf die Frage, ob es jemals kommen werde, antwortet Schmuckenschlager im Ö1-Radio: "Ich glaube schon, ja. Nur wann, kann ich auch nicht sagen."

Scharfe Kritik von SPÖ und Neos

SPÖ-Umwelt- und Klimasprecherin Julia Herr reagierte mit scharfer Kritik auf die Untätigkeit der Regierung. "Die österreichische Bundesregierung tut so, als ob es keine Klimakrise gäbe, während das halbe Land im Hochwasser versinkt. Leidtragende unter dieser vollkommenen Selbstaufgabe der Bundesregierung ist dabei die Bevölkerung, die mit Hitze, Dürre, Starkwetterereignissen und horrenden Kosten alleingelassen wird."

Auch die Neos zeigten sich empört. "Dass ÖVP und Grüne es seit 600 Tagen nicht zustande gebracht haben, sich auf ein Klimaschutzgesetz zu einigen, ist schlicht inakzeptabel. Landauf, landab führen uns Extremwetterereignisse derzeit fast täglich vor Augen, wie wichtig es ist, dass wir beim Klimaschutz endlich Meter machen – und zwar ordentlich. Die Klimakrise ist jetzt da, die Regierung muss jetzt aufwachen und endlich echte und nachhaltige Maßnahmen umsetzen", verlangte Neos-Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard.

Boku-Experte ortet "Scheinklimapolitik"

Kritik an der türkis-grünen Regierung in Sachen Klimaschutzgesetz kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch von Experten. Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien, äußerte sich im Ö1-"Mittagsjournal" zum Thema. Wenn man sagt, das Klimaschutzgesetz hab keine oberste Priorität, dann könne man genauso gut sagen, dass Klimaschutz nicht die oberste Priorität habe, sagt Steurer. "Wir haben ja tatsächlich andere Krisen, die sehr drängend sind, nur darüber sieht man, dass diese beiden Krisen zusammenhängen."

Es brauche verbindliche Ziele und Strafen beim Verfehlen dieser Vorgaben, denn ohne Konsequenzen gebe es einfach zu wenig Anreiz, das Notwendige zu tun, so Steurer. Die Regierung würde derzeit eine "Scheinklimapolitik" betreiben. Das beste Beispiel dafür ist, zu erklären, bis 2040 klimaneutral sein zu wollen, aber dann die dafür notwendigen Schritte nicht zu gehen. "Also das, was wir die letzten zwei Jahre gesehen haben, ist zweifelsohne besser wie das, was wir die letzten 30 Jahre gesehen haben, aber Klimaneutralität ist damit nicht zu erreichen", sagt Steurer. (APA, red, 22.8.2022)