Bisher das unangefochtene "Stonehenge Spaniens", könnte eine neue Entdeckung dem Dolmen von Guadalperal diesen Titel abspenstig machen.
Foto: REUTERS/Susana Vera

Mächtig ragt der rötlich-graue Menhir gen Himmel, unverrückbar scheint die Felssäule unter der brütenden iberischen Sonne zu stehen. Doch nicht die Natur hat ihn hier in der Nähe des Flusses Guadiana aufgerichtet – sondern Menschenhand. Bei dem Stein handelt es sich um einen der 526 Menhire, den Archäologinnen und Archäologen im Süden Spaniens, an der portugiesischen Grenze, gefunden haben.

Imposante Steinkreise, einsame Monolithen, tischartige Dolmen: Der Westen und Süden Europas ist übersät von solchen Megalith-Strukturen. Unsere Vorfahren begannen in der Jungsteinzeit, etwa vor siebentausend Jahren, Bauwerke aus gewaltigen Felsblöcken zu errichten.

Grabanlagen, Opfersteine, Datumsmarker oder aber Observatorien – die rätselhaften Steindenkmäler könnten verschiedenen Zwecken gedient haben. Fest steht, dass Megalith-Monumente faszinieren: Der Steinkreis Stonehenge im englischen Salisbury etwa zog vor der Corona-Pandemie jährlich über eine Million Touristen an.

Einer der über fünfhundert Menhire, die in dem Gebiet La Torre-La Janera im Süden Spaniens nahe dem Fluss Guadiana entdeckt wurden.
Foto: Linares-Catela et al./Trabajos de Prehistoria

Überraschende Entdeckungen

Doch auch die Iberische Halbinsel hat einige megalithische Denkmäler zu bieten. Wie Fachleute der Universität Huelva nun in der Zeitschrift "Trabajos de Prehistoria" berichten, muss die Liste spanischer Megalith-Komplexe um eine bedeutende Anlage erweitert werden.

Eigentlich war auf dem rund 600 Hektar großen Gelände eine Avocado-Plantage vorgesehen. Doch bevor die lokalen Behörden die Bewilligung zur Umwidmung gaben, sollte eine archäologische Untersuchung klären, ob das Gebiet wissenschaftlich relevant ist. Und tatsächlich: Die Archäologen wurden fündig, die Avocados müssen wohl anderswo wachsen.

In den flachen Hügeln um den Guadiana stießen die Fachleute auf eine überraschende Vielfalt von Steindenkmälern: Die einzeln oder zu Gruppen angeordneten, meterhohen Menhire sind von unterschiedlicher Bauart. Viele der stolzen Steinsäulen stehen noch, gehalten von Stützstrukturen, von denen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter mehr als 400 fanden.

Vielfältige Megalith-Monumente

"Das ist die größte und diverseste Sammlung von stehenden Steinen auf der Iberischen Halbinsel", sagt José Antonio Linares-Catela von der Universität Huelva, der die Untersuchungen mitgeleitet hat, gegenüber dem "Guardian". Doch nicht nur die Menhire sind beeindruckend: Darüber hinaus finden sich auf dem La Torre-La Janera"getauften Gelände zahlreiche Dolmen, die in der Regel aus zwei stehenden Steinen mit einem Querstein gebaut wurden, sowie geradlinig angeordnete Felsblöcke.

Eine der Steinkammern, die in La Torre-La Janera entdeckt wurden. Sie könnten als Grabmale verwendet worden sein.
Foto: Linares-Catela et al./Trabajos de Prehistoria

In den umliegenden natürlichen Felsformationen entdeckten die Fachleute außerdem über vierzig kistenartige Steingräber: Die zweieinhalb Meter langen Vertiefungen wurden direkt in den Felsen gehauen, auch manche ihrer seitlichen Begrenzungsplatten sind noch erhalten, wie das Forschungsteam schreibt.

"Es ist sehr überraschend, so viele verschiedene megalithische Elemente zusammen an einem Ort gruppiert zu finden – und dass sie so gut erhalten sind", sagt die am Projekt beteiligte Archäologin Primitiva Bueno Ramírez. Diese Formenvielfalt deutet darauf hin, dass die Anlage über einen längeren Zeitraum benutzt wurde.

Datierungen sowie die Bauform der Menhire weisen darauf hin, dass die ältesten Steinmonumente von La Torre-La Janera in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrtausends oder im fünften Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung erbaut wurden.

Obwohl heute keine der tischartigen Konstruktionen erhalten sind, gilt der Steinkreis in Guadalperal als Dolmen.
Foto: REUTERS/Susana Vera

Unklarer Zweck

Über den Zweck des Megalith-Komplexes lässt sich nur spekulieren: Einerseits ist eine Verwendung als Kultstätte oder Grabanlage naheliegend, andererseits sind einige der Strukturen auch so ausgerichtet, dass eine astronomische Bedeutung denkbar ist, etwa um Jahreszeiten anzuzeigen: Viele der Menhire wurden auf Hügeln entdeckt, die einen freien Blick nach Osten und damit auf den Sonnenaufgang erlauben – ideal um Sommer- und Wintersonnenwende zu beobachten.

Auch eine Beziehung zum Meer ist möglich: Wie die Fachleute erklären, lag der Meeresspiegel noch deutlich höher, als die Megalith-Anlage entstand. Ist also heute der Atlantik von La Torre-La Janera aus allerhöchstens zu erahnen, könnte das Gebiet damals direkt an der Mündung des Guadiana gelegen haben.

Viele der Steine der Anlage müssen erst ausgegraben werden. Diese Arbeiten sollen bis 2026 abgeschlossen werden, doch bereits heuer werden Teile des Geländes zur Besichtigung freigegeben. Damit könnten die Menhire von La Torre-La Janera einem anderen Megalith-Komplex die Show stehlen: dem Dolmen von Guadalperal, bekannt als das "Stonehenge Spaniens".

Der Dolmen von Guadalperal am Ufer des Valdecañas-Stausees, unter dessen Wasser er sonst begraben ist.
Foto: REUTERS/Susana Vera

Seltene Möglichkeit

Dabei kommt es nicht oft vor, dass dieser faszinierende Steinkreis überhaupt zu sehen ist: Im Jahr 1926 vom deutschen Archäologen Hugo Obermaier entdeckt, verschwand das kupferzeitliche Monument 1963 unter den Fluten des Tajo, als man den Fluss zum Valdecañas-See aufstaute. Doch infolge der schweren Dürre dieses Jahres ist der Stausee zu weniger als einem Drittel gefüllt – und gibt das Steinbauwerk aus dem dritten bis zweiten Jahrtausend vor unserer Zeit preis.

Es ist erst das vierte Mal, dass der Dolmen wiederauftaucht, doch ist zu erwarten, dass die sich durch den Klimawandel häufenden Dürren das Megalith-Monument nun öfter enthüllen werden. Festzuhalten bleibt, dass auf Archäologinnen und Archäologen spannende Forschungsjahre in Spanien zukommen. (Dorian Schiffer, 23.8.2022)