Moskau erlebt dieser Tage wohl den brisantesten politischen Kriminalfall seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Am Samstagabend wurde die 29-jährige russische Journalistin Darja Dugina Opfer einer Autobombe, als sie sich gerade auf den Heimweg von einem konservativen Kulturfestival im Moskauer Umland machen wollte.

Unmittelbar nach dem Anschlag begannen auch die Spekulationen über dessen Drahtzieher. Anschläge auf öffentliche Personen sind in Russland zwar nichts Neues. 2006 wurde die prominente Oppositionsjournalistin Anna Politkowskaja in ihrem Wohnhaus erschossen, 2015 kam der Putin-kritische Politiker Boris Nemzow auf der Großen Moskwa-Brücke direkt gegenüber vom Kreml auf die gleiche Weise zu Tode.

Am Samstagabend wurde die 29-jährige Darja Dugina Opfer einer Autobombe.
Foto: Tsargrad.tv/Handout via REUTERS

Dass es mit Dugina diesmal aber eine Journalistin auf Regierungskurs, die im Fernsehen als radikale Befürworterin des Angriffskriegs auftrat, traf, hat Sensationspotenzial. Zumal ihr um ein Vielfaches prominenterer Vater, der Philosoph Alexander Dugin, schon seit Jahrzehnten die Wiederherstellung eines russischen Großreichs fordert und nach der Annexion der Krim 2014 zum Töten von Ukrainern aufrief.

Streit um die Drahtzieher

Als offizielle Erklärung halten wenig überraschend angebliche ukrainische Nationalisten her. Am Wochenende war in russischen Medien zu lesen, Alexander Dugin habe schon länger Morddrohungen von dieser Seite erhalten. Da er ebenfalls bei der Veranstaltung zugegen war, wurde spekuliert, die Tat habe ihm gegolten. Am Montag gab der russische Inlandsgeheimdienst FSB bekannt, man habe eine mittlerweile nach Estland geflohene Täterin identifiziert. Die Ukraine sei direkt für den Anschlag verantwortlich.

Alexander Dugin, hier bei der Veranstaltung "Kampf für den Donbass", gehört zu den radikalsten Verfechtern eines russischen Großreichs. Sein politischer Einfluss ist aber zweifelhaft.
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Eine andere Erklärung lieferte der frühere Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow am Sonntag via Youtube. In einem Interview mit einem Online-Sender berichtete der im Kiewer Exil lebende Oppositionelle, dass bereits vor einigen Monaten eine russische Partisanengruppe mit ihm in Kontakt getreten sei, die sich nun auch zu dem Anschlag auf Dugina bekenne.

Manifest in Telegram-Kanal geteilt

Laut eigener Aussage sei er selbst bei der Organisation dieser Partisanengruppe, die sich "Nationale Republikanische Armee" (NRA) nennt, behilflich gewesen. "Es gibt ausgezeichnete Russen", sagte Ponomarjow in der Sendung mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Am Tag des Attentats habe die NRA dann wieder Kontakt aufgenommen. "Sie haben uns zunächst gesagt, das Ziel seien zwei Menschen: Darja Dugina und Alexander Dugin."

Ponomarjow verbreitete über den Telegram-Kanal "Rospartisan" außerdem ein Manifest, das er von der Miliz erhalten haben will. "Wir erklären Wladimir Putin zu einem Usurpator und Kriegsverbrecher, der die Verfassung geändert, einen Bruderkrieg zwischen slawischen Völkern entfesselt und russische Soldaten in den sicheren Tod geschickt hat", heißt es in dem Text. Außerdem kündigt die vermeintliche Gruppe darin an, "Begünstiger des Usurpators" – darunter etwa Kreml-nahe Geschäftsleute, Beamte oder Mitarbeiter der Sicherheitsorgane – im Umfeld des russischen Präsidenten ins Visier zu nehmen. Die Echtheit des Dokuments lässt sich genauso wie Ponomarjows Aussagen nicht unabhängig prüfen.

Figur von zweifelhafter Relevanz

Sollte die Organisation tatsächlich existieren, so zeigt ihr vermeintlich erster Anschlag vor allem eines: Ihre Reichweite in die Zentren der russischen Macht hinein ist überschaubar. Alexander Dugin wird zwar in europäischen Medien oft als ideologischer Einflüsterer Putins dargestellt. Belastbare Belege für einen direkten Draht zwischen dem rechtsextremen Denker und dem russischen Präsidenten gibt es aber nicht.

Tatsächlich dürfte die Zeit, in der Dugin Einfluss auf hochrangige Politiker nehmen konnte, lange zurückliegen. Anfang der 2000er-Jahre war er Berater des damaligen Sprechers der Staatsduma, eine ähnliche Funktion hatte er später noch einmal inne. Heute nehmen aber eher rechtsextreme Esoteriker direkten Bezug auf seine Schriften, außerdem wurde er über Jahre von der europäischen Neuen Rechten hofiert. Bei Darja Dugina handelte es sich wiederum um eine zwar bekannte Journalistin, eine zentrale Figur der russischen Medienlandschaft war aber auch sie nicht.

Schlag mit ideeller Bedeutung

Entsprechend leicht zu verüben war das Attentat. Die Dugins waren nicht mit Personenschützern unterwegs, und der Parkplatz, auf dem Darja Duginas Wagen stand, war nicht videoüberwacht. Wie russische Medien schreiben, konnte sich jeder, der wollte, Zugang zu dem Fahrzeug verschaffen.

Selbst der Tod beider Dugins hätte auf die russische Staatspropaganda also keine unmittelbare Auswirkung gehabt. Die Bedeutung des mutmaßlichen Schlags gegen die "Begünstiger" des Kreml wäre vorrangig ideeller Natur. Denn sofern sich Ponomarjows Behauptungen als richtig herausstellen, wäre die Existenz einer innerrussischen, bewaffneten Miliz vor allem eines: ein Indikator für eine mögliche innenpolitische Destabilisierung des Landes, die für den Kreml zum Problem werden könnte. (Thomas Fritz Maier, 22.8.2022)