Die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die Gasversorgung haben eine neue Debatte entfacht.

Foto: IMAGO/Sven Simon

In der ÖVP ist seit einigen Tagen ein interner Streit um die Position der Partei zu den Russland-Sanktionen am lodern – und spaltet mittlerweile die Landesparteien.

Angezündet hat den Konflikt Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, der in Interviews angeregt hatte, die Sanktionen zu hinterfragen. Diese sollten immer auf die Frage hin überprüft werden, ob sie "hauptsächlich der Friedenserreichung oder uns in der Mehrheit schon selber schaden".

Der im Landtagswahlkampf stehende Tiroler ÖVP-Chef Anton Mattle assistierte Stelzer und zeigten sich offen für dessen Vorschlag: "Eine Evaluierung der Sanktionen auf ihre Treffsicherheit hin wird und muss im Rahmen der Staats- und Regierungschefs immer möglich sein." Anton Mattle relativierte allerdings später, er habe in der entsprechenden, von der Austria Presseagentur wiedergegebenen Aussendung auch darauf hingewiesen, dass "die Frage nach Sanktionen immer auf europäischer Ebene, gemeinsam mit unseren Partnern beantwortet werden. Wir dürfen uns innerhalb der Europäischen Union auch in der Krise nicht auseinanderdividieren lassen."

Überhaupt nicht an den Sanktionen rütteln will hingegen Mattles und Stelzers Parteikollege in der Steiermark, Landeshauptmann Christopher Drexler. "Das Land Steiermark steht hinter der Position des österreichischen Außenministeriums", sagte Drexler knapp und deutlich dem STANDARD.

Auseinanderdividieren

Den Versuchen aus Tirol und Oberösterreich, in Österreich eine Debatte über eine "Evaluierung" der Sanktionen anzustoßen, hatte Außenminister Alexander Schallenberg via Ministeriumsaussendung umgehend und diplomatisch einen Riegel vorgeschoben. Die Sanktionen seien zwar "ein flexibles Werkzeug" und würden jederzeit angepasst werden. Entsprechend werde der diesbezügliche EU-Ratsbeschluss zu den Wirtschaftssanktionen in Brüssel auch halbjährlich überprüft. Aber: "Die Sanktionen wirken – jeden Tag ein Stück mehr. Putin rechnet damit, dass wir uns als pluralistische offene Demokratien auseinanderdividieren lassen, dass wir nicht den Willen haben, ihm rote Linien aufzuzeigen. Die größte Stärke der EU ist die Einigkeit, die müssen wir uns bewahren", hieß es warnend aus dem Außenministerium.

Einen schärferen Ton gegen seine Parteifreunde in den Bundesländern schlug der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), an: "Wer jetzt der Lockerung oder dem Ende von Sanktionen das Wort redet, der schwächt die europäische Einigkeit, stärkt Putins Spaltungsstrategie und dessen barbarische Expansionspläne", twitterte Karas.

Bundeskanzler Karl Nehammer kommt dieser innerparteiliche Positionsstreit höchst ungelegen. Nehammer steht angesichts der drohenden ökonomischen Verwerfungen im Herbst und möglicher neuer Pandemiegefahren unter Dauerdruck. Er weiß natürlich um die kritische Stimmung in der Bevölkerung, die immer sanktionsskeptischer wird. Also ging Nehammer in seiner Partei den Mittelweg und versuchte, es beiden Lagern recht zu machen. Er ließ ausrichten, eine komplette Abkehr von Sanktionen stehe definitiv nicht zur Debatte, die Position der Bundesregierung beim Thema Sanktionen sei unverändert.

Bei der Eröffnung des "Europäischen Forum Alpbach" stellte Nehammer am Montag aber klar, dass die Sanktionen aufrecht zu erhalten sind. Dies sei eine wichtige Frage und er gebe eine klare Antwort: "Wir haben das zu tun." Zuvor hatte er aber schon ein großes "Aber" platziert: Es müsse allerdings stets abgewogen werden, "dass der Schritt einem selbst nicht mehr schade als dem eigentlichen Ziel".

Auf den Zug aufspringen

"Thomas Stelzer hat mit seinem Vorstoß Bundeskanzler und ÖVP-Chef Nehammer einen Bärendienst erwiesen", sagt Politikberater Thomas Hofer. Stelzer habe, "offenbar versucht, schon vorab Positionen zu beziehen, von denen er glaubt, dass die Entwicklung dort hingeht".

Momentan sei bereits ein großer Teil Österreichs skeptisch, ob die Sanktionen nicht dem Land mehr schaden, als diese nutzten. "Wenn der ökonomische Druck im Herbst dramatisch stärker wird, wird diese Skepsis zunehmen und dann droht die Stimmung zu kippen. Dann können Stelzer und CO sagen: Wir waren eh schon immer ein bissl dagegen", mutmaßt Hofer.

Das Motiv hinter den Vorstoß Stelzers und Mattles sei zweifelsohne der Versuch, schon früh auf den Zug aufzuspringen, um dann "auf der richtigen Seite" zu stehen. "Stelzer wusste genau, was er da angedeutet hat und welche Folgewirkungen das hat. Für Nehammer sicher unangenehm, weil das seine ohnehin angeschlagene Autorität weiter schwächt", sagt Hofer

Dass Stelzer mit seiner Meldung über die Sanktionen einen Nerv getroffen hat, oder besser die Parteispitze ziemlich nervt, ist an der Stille ablesbar: Weder Kanzler Nehammer noch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wollten sich auf Anfrage näher zum Thema "Russland-Sanktionen" äußern. (Walter Müller, 23.8.2022)