Recep Tayyip Erdoğan (links) und Bashar al-Assad auf einem Archivfoto aus dem Jahr 2010 – also noch vor Kriegsbeginn. Türkische Medien spekulieren über ein baldiges Treffen der beiden Staatschefs.

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Recep Tayyip Erdoğan (rechts) und sein Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sprechen plötzlich von einer Aussöhnung zwischen Regime und Opposition in Syrien.

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Seit mehr als zehn Jahren gehört der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu den erbittertsten Gegnern des syrischen Diktators Bashar al-Assad. Doch seit einigen Tagen sind in Ankara neue Töne zu hören. Vor gut einer Woche überraschte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf eine Frage zur Syrien-Politik seiner Regierung mit einer so noch nie gehörten Ansage: "Wir müssen die Opposition und das Regime in Syrien irgendwie versöhnen", sagte er. Sonst werde es nie einen "dauerhaften Frieden" geben.

Wenige Tage später bekräftigte Çavuşoğlu diese Haltung, und am Freitag vergangener Woche deutete auch Erdoğan selbst an, dass ein weitreichender Wechsel in der Syrien-Politik der Türkei bevorstehen könnte. In Bezug auf Syrien sagte er auf der Rückreise von seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und UN-Generalsekretär António Guterres, ein politischer Dialog zwischen Staaten dürfe niemals abgebrochen werden. Und dann wiederholte er, was sein Außenminister schon vorher gesagt hatte: "Die Opposition und das Regime in Syrien müssen sich versöhnen."

Proteste vor türkischen Einrichtungen

Schon die Aussagen von Çavuşoğlu hatten innerhalb der syrischen Opposition für große Empörung gesorgt. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien kam es zu Demonstrationen und Protesten vor türkischen Einrichtungen von bisher mit der Türkei verbündeten syrischen Milizen. Sogar türkische Fahnen wurden verbrannt. Ein in Istanbul lebender syrischer Oppositioneller, George Sabra, meinte auf Twitter, wenn Erdoğan sich mit Assad aussöhnen wolle, sei das seine Sache, die Syrer kämpften aber für eine andere Sache, für die sie einen hohen Preis bezahlt haben und weiterhin zahlen werden.

Bislang wurde die sunnitische syrische Opposition von der Türkei weitgehend unterstützt. Erdoğan ließ die Freie Syrische Armee mit Waffen und Geld versorgen und machte auch vor der Unterstützung radikal islamistischer Assad-Gegner nicht halt, wenn es nur dem Regime in Damaskus und den Kurden in Nordsyrien, die Erdoğan für PKK-Verbündete hält, schadete. Nachdem Assads Macht von Russland gesichert worden war, konzentrierte sich Erdoğan darauf, zumindest zu verhindern, dass die Kurden in Nordsyrien eine eigene autonome Zone errichten konnten.

YPG-Milizen zurückdrängen

Genau darum ging es, als Erdoğan im Mai dieses Jahres ankündigte, seine Armee erneut nach Syrien zu schicken, um die kurdischen YPG-Milizen aus einer 30 Kilometer tiefen Zone entlang der Grenze zurückzudrängen. Daraus ist bislang nichts geworden, weil nicht nur die mit den kurdischen Milizen in einer Anti-IS-Allianz verbündeten USA scharf dagegen sind, sondern vor allem Assads wichtigster Verbündeter, Wladimir Putin, einem erneuten türkischen Einmarsch in Syrien nicht zustimmen will. Stattdessen solle sich Erdoğan im "Antiterrorkampf" endlich mit Assad ins Einvernehmen setzen, sagte Putin zu Erdoğan bei dessen Besuch in Sotschi Anfang August noch einmal nachdrücklich.

Seitdem redet die türkische Regierung plötzlich davon, dass sich die Opposition und das Regime in Syrien versöhnen sollten. Dahinter scheint mehr zu stecken als nur ein taktisches Spiel im Vorfeld eines neuen Feldzuges.

Unmut in der Bevölkerung

Erdoğan, der in der Vergangenheit schon häufiger bewiesen hat, dass er politische Positionswechsel auch radikal vollziehen kann, scheint angesichts des Scheiterns seiner Syrien-Politik bereit, weitreichende Konsequenzen zu ziehen. Statt dass der türkische Präsident mithilfe der syrischen Opposition und der Unterstützung der syrischen Flüchtlinge, die er in der Türkei aufgenommen hat, zu einem Mitspieler um die Macht in Damaskus geworden ist, muss er feststellen, dass Assad fest im Sattel sitzt. Erdoğan ist zudem mit dem massiven Unmut seiner Bürger konfrontiert, die angesichts der Wirtschaftskrise die vier Millionen syrischen Flüchtlinge wieder "nach Hause" schicken wollen. Auch die Kontrolle der Kurden in Syrien wäre mit Assad natürlich wesentlich einfacher.

Dazu kommt, dass sich der größte Teil der arabischen Welt längst damit abgefunden hat, dass Assad wohl an der Macht bleibt. Und auch in Europa und den USA hat niemand ein Interesse daran, dass der Bürgerkrieg wieder aufflammt. So wird in den türkischen Medien bereits darüber spekuliert, ob es demnächst zu einem Treffen zwischen Erdoğan und Assad kommt. Die Außenminister der beiden Länder, Mevlüt Çavuşoğlu und Faisal al-Miqdad, haben das bereits im November letzten Jahres getan, wie Çavuşoğlu jüngst beiläufig zugab. Das Terrain für ein Treffen von Erdoğan mit Assad scheint vorbereitet. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 24.8.2022)