Nach acht Jahren muss der Ex-General nun einen Rückschlag einstecken. Ob er zurückkommt, ist noch ungewiss.

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Für viele kam der Schritt wie aus dem Nichts: Seit Jahren gibt es teilweise hefige Proteste gegen Prayut Chan-ocha, sowohl auf den Straßen als auch von politischen Kontrahenten in der Politik. Doch nichts konnte den Ex-General aus dem Amt des Regierungschefs verjagen. Am Mittwoch aber entschied das Verfassungsgericht des Landes, dass der 68-Jährige seinen Premierministerposten verlassen muss – zumindest einstweilen. Was der Schritt für Thailand und die Region bedeutet, beantwortet DER STANDARD im Folgenden.

Frage: Wie kam es dazu, dass das Höchstgericht überhaupt über Prayuts Legitimität im Amt entscheiden soll?

Antwort: Der Ursprung der Entscheidung liegt in einer Klage, die die thailändische Oppositionspartei Pheu Thai vor dem thailändischen Verfassungsgericht eingebracht hatte. Sie vertritt die Meinung, dass Prayuts achtjährige Amtszeit als Regierungschef mit Mittwoch abgelaufen sei. Denn der Ex-General war 2014 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Dieser Putsch hatte die Oppositionspartei Pheu Thai entmachtet, die davor lange Zeit ihrerseits an der Macht war. 2017 trat eine neue Verfassung in Kraft. Erst 2019 ließ er sich als ziviler Regierungschef durch Wahlen im Amt bestätigen. Internationale Beobachter kritisierten diese Wahlen zwar als manipuliert, doch Prayut saß fest im Sessel.

Seine Palang-Pracharat-Partei vertritt wiederum die Meinung, dass erst 2017, also mit der neuen Verfassung, oder gar erst 2019 die Zählung für seine Amtszeit beginnt. Die Opposition hat das Höchstgericht angerufen, die Sachlage zu entscheiden.

Frage: Und was hat das Gericht entschieden?

Antwort: Einstimmig nahmen die neun Richter und Richterinnen den Antrag der Opposition an, den Fall grundsätzlich zu prüfen. Überraschend kam aber hinzu, dass fünf der Richter dafür stimmten, für den Zeitraum der Überprüfung Prayut zu suspendieren. Wie lange das Gericht für die Untersuchung brauchen wird, ist bisher nicht bekannt.

Einstweilen übernimmt jedenfalls einer seiner bisherigen Vizes, der 77-jährigen Prawit Wongsuwan, den Posten, gab ein Regierungssprecher am Mittwoch bekannt. Prayut soll gleichzeitig Verteidigungsminister bleiben.

Der 77-jährige Prawit Wongsuwan übernimmt interimistisch als Regierungschef.
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Frage: Wie reagierte Prayut darauf?

Antwort: Prayut respektiert laut einem Regierungssprecher die Entscheidung des Gerichts. Der Ex-General habe demnach die Menschen dazu aufgerufen, das auch zu tun und davon abzusehen, die Entscheidung zu kritisieren, damit keine "weitere Spaltung" im Land passieren würde.

Der Mann, dem eine leichte Reizbarkeit nachgesagt wird, war seit seiner Machtübernahme immer wieder mit exzentrischen Aktionen aufgefallen. Mehr als zehn nationalistische Lieder hat er seitdem aufgenommen, die teilweise rund um die Uhr über das Staatsradio im Land übertragen wurden. Einmal drohte er bei einer Pressekonferenz, dass er "wohl einen ganzen Raum voller Reporter exekutieren könnte".

Frage: Kann er wieder Premierminister werden?

Antwort: Falls der Fall zu seinen Gunsten ausgeht, könnte er wieder Premierminister sein und bis 2027 im Amt bleiben – sollte er die kommenden Wahlen gewinnen: Die nächsten sind für Mai 2023 angesetzt. Zuvor waren bereits vier Misstrauensanträge gegen ihn im Parlament gescheitert. Theoretisch könnte er im Fall eines für ihn positiven Gerichtsurteils auch Neuwahlen ausrufen. Man geht aber davon aus, dass das zumindest bis zum Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft im November in Bangkok vermieden werden soll.

Frage: Wie regierten die Demokratieaktivisten im Land?

Antwort: Am Mittwoch haben sich in Bangkok vor dem Bangkok Democracy Monument etwa hundert Menschen versammelt, um für den sofortigen Rauswurf von Chan-ocha zu demonstrieren. "Wir sind nicht zufrieden mit der Suspendierung", sagte eine Demonstrantin zu Reuters. "Wir wollen, dass das Parlament aufgelöst wird, und wir wollen Neuwahlen."

Sie sind wieder auf den Straßen: Demokratieaktivisten demonstrieren gegen Chan-ocha mit dem Drei-Finger-Gruß. Bereits vor der Pandemie war das ein Zeichen der Protestbewegung.
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In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Massenprotesten in dem Land gekommen. Vor allem im Jahr vor der Corona-Pandemie hatten sich Proteste, die sich gegen die strengen Monarchiegesetze in dem Land und den unter Demokratieanhängern verhasste- Prayut richteten, verstärkt. Die Demokratieaktivisten und Demokratieaktivistinnen kritisierten die Wahlen von 2019 als manipuliert. Teilweise gingen zehntausende Menschen auf die Straßen. Unter dem Titel "Milktea Alliance" haben sich die damaligen Protestbewegungen in Hongkong und Myanmar auch untereinander vernetzt und gegenseitig angeheizt. Mit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Demonstrationen in Thailand aber langsam verlaufen. In Hongkong hat Peking den Protesten mit einem harten Gesetz ein Ende bereitet. In Myanmar gab es mittlerweile einen erneuten Militärputsch.

Frage: Was bedeutet der Schritt für Südostasien?

Antwort: In den vergangenen Jahren hat Prayut monatelange Massenproteste, die umstrittenen Wahlen und mehrere Misstrauensvoten überstanden. Der Rückschlag durch das Verfassungsgericht wird daher auch in der Region mit Interesse wahrgenommen. Vor allem der burmesische General Min Aung Hlaing hat nach seinem Putsch im Februar 2021 seinerseits oft mit Interesse Richtung Thailand geschielt, ob das pseudodemokratische System dort vielleicht auch ein Modell für Myanmar sein könnte. (Anna Sawerthal, 25.8.2022)