Die Route der ersten Weltumseglung auf einer frühen Karte. Magellan kam beim Kampf gegen Eigeborene auf der philippinischen Insel Cebu ums Leben. Vollendet haben die Erdumrundung nur 18 von 242 Männern auf einem von fünf Schiffen unterm Kommando von Juan Sebastián Elcano.

Foto: Imago images / Photo12

Am Morgen des 6. September 1522 legte im Hafen von Sanlúcar de Barrameda das Gespenst eines Schiffes an. 18 Gespenster von Seemännern schleppten sich, ausgemergelt und skorbutgeplagt, von Bord. Sie fielen auf die Knie und dankten dem Herrn, der Jungfrau und allen Heiligen, die ihnen in den Sinn kamen. Es dauerte, bis klar wurde, wer diese Gespenster waren: Der traurige Rest jener 242 Männer, die beinahe auf den Tag genau drei Jahre zuvor von hier ausgefahren waren auf ihren fünf Schiffen, um dem Nachbarn Portugal die Welt streitig zu machen.

Von Sanlúcar, der Stadt an der Mündung des Guadalquivir, war am 20. September 1519 die stolze Flotte des Generalkapitäns Fernando de Magallanes aufgebrochen in noch weitgehend unbekannte, nur vage vorstellbare Welten. Es galt, einen nach Westen führenden Weg in das Schlaraffenland der Gewürzinseln zu finden. Portugiesische Seefahrer hatten da längst schon den um Afrika ostwärts führenden Seeweg nach Indien etabliert. Dessen letzte Etappe hatte Vasco da Gama 1498 eröffnet.

"Indien" und "Westindien"

In Portugal galt Magellan als Hochverräter. Er war ja Portugiese. Fernão de Magalhães fand aber daheim keinen Förderer für seine Westorientierung. Also heuerte er – wohl wohlversorgt mit streng geheimem Kartenwerk – in Spanien an. Der König, der erst seit drei Jahren regierende Carlos I., erteilte den nötigen Sanktus. So ein Deal hatte sich ja schon zu Beginn der 1490er-Jahren bezahlt gemacht. Magellan stellte in Aussicht, Christoph Columbus‘ Werk zu vollenden: den wirklichen Weg nach "Westindien" zu finden. Denn das war mittlerweile, 1519, klar. Columbus war 1492 in einer "Neuen Welt" gelandet, die man sich schon angewöhnt hatte, Amerika zu nennen. Der Benennung des deutschen Kartographen Martin Waldseemüller folgend nach dem italienischen Entdeckungsfahrer Amerigo Vespucci.

Stefan Zweig, der Vater vieler schöner Bücher, hat über Magellans Weltreise mitsamt ihren beschämend schändlichen Begleitumständen – den Meutereien, Eifersüchteleien, Blutgerichten, imperialen Brutalitäten und schließlich den gewaltsamen Tod des Magellan 1521 auf den Philippinen – sein vielleicht schönsten, jedenfalls sehr ans Herz zu legende Buch geschrieben. Es ist ein Denkmal für Magellans entschlossene Tatkraft: ein Mann jenes Jahrhunderts zwischen 1450 und 1550, in dem Europa aufbrach, sich die ganze Welt untertan zu machen.

*

Das letzte Schiff der stolzen Magellan'schen Expedition – ein Dreimaster mit dem Namen Victoria – blieb nur kurz in Sanlúcar. Die längst wundgefahrene Weltumseglerin wurde stromaufwärts geschleppt bis Sevilla, wo sie am 8. September vertäut und die Ladung gelöscht wurde. 26 Tonnen beinahe reinsten Goldes: Gewürznelken, Muskatnüsse, Zimtstangen. Obwohl nur eins von fünf Schiffen heimkam, war die Fahrt kein Verlust, rechnet man die 224 Toten nicht mit ein.

Der Kapitän, der die Victoria nach dem Tod Magellans am 27. April 1521 auf der philippinischen Insel Cebu um die halbe Welt bis nach Hause in den Guadalquivir geführt hatte, war der Baske Juan Sebastián Elcano. Carlos I. – als römischer Kaiser Karl V. – befahl ihn zur Berichterstattung zu sich. Schon am 24. September empfing der erst 22-jährige König, der gezeichnet war mit einer besonders markanten Habsburgerlippe, den Weltumsegler.

Logbuchführer

Elcano hatte auch seinen Schiffschreiber mitgebracht, den Italiener Antonio Pigafetta, penibler Protokollführer der Flotte, der später den einzig authentischen Bericht über die weltbewegende Fahrt verfasste, in dem er es aber zusammengebracht hat, den Juan Sebastián Elcano mit keinem Wort zu erwähnen.

Dafür hatte Pigafetta, ohne es vorerst zu wissen, eine der spannendsten Entdeckungen mitgebracht. Den empirischen Nachweis, dass – so schreibt es Stefan Zweig, "die Erdkugel nicht starr im Weltraum ruht, sondern in regelmäßigem Rhythmus um die eigene Achse schwingt". Diese Nachricht "erregt die Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts etwa so wie unsere heutige Welt die Relativitätstheorie".

*

Der aus Vicenza stammende Antonio Pigafetta war Teil einer kirchlichen Gesandtschaft am Hof des spanischen Königs, als Magellan aufbrach. Carlos hatte ihm die Teilnahme an der Expedition gestattet. Tag für Tag führte Pigafetta Buch. Um allerdings am Ende feststellen zu müssen, dass ihm im Logbuch – seiner Haftelmacherei geradezu hohnsprechend – ein ganzer Tag fehle.

Es war schon auf der Rückfahrt. Die Victoria ankerte vor den – portugiesischen – Kapverdischen Inseln, um das lange vermisste Wasser und frische Nahrung aufzunehmen. Es gelang nur zum Teil, bevor die Portugiesen das Schiff identifizierten und die Besatzung des einkaufenden Beibootes festnahmen. Der kurze Kontakt mit den Händlern hatte allerdings genügt festzustellen, dass, während am Schiff Mittwoch war – und zwar der 12. Juli 1522 –, die Inseln sich bereits im Donnerstag befanden.

Rätselhafte Zeitverrückung

Nein, versicherte Pigafetta dem kaiserlich-königlichen Gelehrtenrat, keineswegs habe er einen Tageseintrag vergessen. Und ja, das Schaltjahr 1520 habe er selbstverständlich berücksichtigt. Die Seefahrer selbst waren – gelinde gesagt – etwas irritiert. Die rätselhafte Zeitverrückung hatte sie um die exakte Einhaltung der so streng übers Jahr verteilten, vorgeschriebenen Fasttage gebracht.

Nur einer der Gelehrten hielt Pigafettas Beteuerung nicht für eine Ausrede. Sondern für einen Beweis. Gasparo Contarini, ein späterer Kardinal, venezianischer Botschafter am kaiserlich-königlichen Hof. Das Schiff, erläuterte er, sei ja mit der Sonne gesegelt, Tag für Tag ging sie also ein wenig später unter, bis das Schiff am Ende einen Sonnenuntergang weniger erlebt habe. Wäre es ostwärts gesegelt – so griff er den schon im 13. Jahrhundert gefassten Gedanken des kurdischen Geografen Ismail Abu'l-Feda auf, hätte sich ein ganzer Tag gewinnen lassen.

Jules Verne

Ein Kuriosität, aus der Jules Verne noch im 19. Jahrhundert die Pointe seines Romans In 80 Tagen um die Welt bastelte. So erstaunlich schien auch den schon mit der Eisenbahn sausenden Menschen das Phänomen. Erst mit den Flugzeugen wurde dies als Jetlag zu einer Allerweltserfahrung. So wie die Jahreswechsel-Feuerwerke, die Silvester für Silvester von der Datumsgrenze im Pazifik westwärts vorrücken. Diese Demarkationslinie der Zeit wurde aber auch erst 1884 international verankert. Als Gegenstück zum Nullmeridian von Greenwich.

Nikolaus Kopernikus

Der Gedanke, dass nicht die Sonne lief, sondern die Erde diese umlief, war dem Gasparo Contarini nicht fremd. Denn schon um 1509 kursierte die Schrift des Nikolaus Kopernikus De hypothesibus motuum coelestium.

Diese "Hypothesen über die Himmelbewegungen" war eine in Kirchenkreisen wohlwollend diskutierte Vorwegnahme oder ein Abtesten seines Hauptwerkes De revolutionibus orbium coelestium, "Über die Umschwünge der Himmelswelten", das dann erst 1543 gedruckt wurde. Kopernikus malte aber schon zuvor in kühnen Strichen das heliozentrische Weltbild. Die Erdkugel war auf einmal nicht mehr der Mittelpunkt des Alls, um den sich alles drehte.

*

Gott und seine Kirche fühlten sich durch diese menschliche Erkenntnisfreude keineswegs beleidigt. Noch. Der Papst saß ruhig am Thron Petri. Der Kaiser – gerade Karl V. – war ihm der Schwertführer. Als Portugal und Spanien sich wegen der Entdeckungen bis hin zum Krieg in die Haare gerieten, unterwarfen sie sich einem Schiedsspruch von Papst Alexander VI. Rund 500 Kilometer westlich der Kapverden solle die Grenze der Einflusssphären verlaufen von Pol zu Pol. Westlich davon mögen die entdeckten Länder spanisch, östlich davon portugiesisch sein.

Im Vertrag von Tordesillas 1494 einigten sich die Kontrahenten auf Betreiben Portugals schließlich auf eine Demarkationslinie 1.000 Kilometer weiter westlich. Aus diesem Grund spricht man in Brasilien – von dem portugiesische Seefahrer damals, 1494, wohl schon wussten – portugiesisch. Der Rest von Lateinamerika gehörte zur spanischen Welt. So wie im übrigen auch die Philippinen, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts amerikanisch wurde.

Mittelalterliche Selbstgewissheit

Unter all den weltbildzerrüttenden Wundern jener Jahrzehnte ist es nicht das geringste, dass Papst und Kirche so gelassen ruhten in ihrer noch mittelalterlichen Selbstgewissheit. Mehr noch: die Kirche stellte sich da und dort geradezu an die Spitze der modernen Zeit, deren Bilder sie ja auch von Michelangelo oder Leonardo oder Raffael sich hat ausmalen lassen.

Der Scheiterhaufen für Giordano Bruno wurde erst ein Jahrhundert später angezündet. Galileo Galilei wurde dafür zum Schweigen gebracht, wofür Kopernikus beim Papst und seinen Gelehrten noch interessiert offene Ohren gefunden hat. Nicht ganz hundert Jahre später konnte Galilei nur noch murmeln: "Und sie bewegt sich doch." Das Stockdunkle am Mittelalter begann erst mit der nun, nach Magellan und dem Mitbringsel von Pigafetta rasant Fahrt aufnehmende Neuzeit.

*

Als Juan Sebastián Elcano mit seinem Schiffsschreiber bei Carlos I. zur Audienz waren, war der in seiner Funktion als Karl V. gerade vom anderen welthistorischen Ereignis zurückgekehrt. Anfang des Vorjahres hatte der eben erst gekrönte Kaiser zu seinem ersten Reichstag nach Worms gerufen. Martin Luther – diese Geschichte ist Geschichte – stand dort vorm Kaiser und "kann nicht anders". Der Kaiser wohl auch nicht. Kurz zuvor, am 3. Jänner 1521 wurde Luther von Papst Leo X. mit dem Kirchenbann belegt. Karl zog mit einer Reichsacht nach.

Und damit begann der Religionshader, der das Heilige römische Reich bis ins nächste Jahrhundert buchstäblich verheeren sollte. Finanziert nicht zuletzt durch die herbeigekarrten Reichtümer der Neuen Welten.

Schisma

Als das abendländische Europa sich aufgemacht hat, den Globus mit der Globalisierung zu überziehen, zersplitterte so der kleine, agile, unternehmungsfreudige Kontinent in seine religiösen und daraus erwachsenden nationalen Einzelteile. Die Kirchenspaltung war so tief wie das west-östliche Schisma von 1056.

Auf den Wegen der spanischen und portugiesischen Entdecker zogen bald auch andere. Die Niederländer und die Engländer, die Franzosen, später gar Belgier und Deutsche kümmerten sich wenig um die päpstliche Aufteilung der Welt. Aber sie alle forcierten endgültig deren Europäisierung – die sich nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, allmählich oder gar nicht mehr so allmählich zu Ende neigt.

*

Juan Sebastián Elcano wurde von Carlos in den Adelsstand erhoben. Sein Wappen zeigt zwei gekreuzte Zimtstäbe, Muskatnüsse, Gewürznelken und, eine Weltkugel umfassend, den Spruch "Primus Circumdedisti Me"; als Erster hast du mich umrundet.

Dieser erste Weltumfahrer ging im Jahr 1525 wieder auf Westfahrt Richtung Molukken, den Indias Orientales, den Gewürzinseln. Im August 1526 starb er. Mitten auf dem Stillen Ozean. Wegen Unterernährung, wie überliefert wird. Er ist verhungert in der weiten Wasserwüste.

Magellans Weg durch die nach ihm benannte Straße erwies sich vorderhand als zu weit und riskant.1529 verkaufte Spanien die Gewürzinseln, deretwegen Magellan ausgefahren war, um 350.000 Dukaten an Portugal.

Der Kaiser brauchte, wie immer, Geld für seine europäischen Kriege. (Wolfgang Weisgram, 28.8.2022)