Der US-Verschwörungstheoretiker Alex Jones ist eine der größten Fake-News-Schleudern und wurde kürzlich auch dafür verurteilt. Forschende untersuchten nun, wie sich die Menschen besser gegen solche Falschinformationen immunisieren lassen können.
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Corona als eine Erfindung chinesischer Waffenforschung, die Ukraine unter der Herrschaft einer faschistischen Elite, die mit der Familie des jetzigen US-Präsidenten Geschäfte macht, der Klimawandel wie die Pandemie eine bloße Erfindung der Herrscherkaste. Was wie schlechte Erfindungen eines dystopischen Romans klingt, ist für eine erhebliche Zahl von Menschen akzeptierte Wahrheit. Konstruiert wird dieses Weltbild durch Fake News – manipulative Lügen, die als Nachrichten getarnt sind.

Konsumieren Menschen hauptsächlich Medien, die solche Falschmeldungen scheinbar seriös kommunizieren, spinnen sie sich zusehends in einer Art Paralleluniversum ein, in dem der "Mainstream" Teil einer Weltverschwörung und wissenschaftliche Tatsachen bloße Ansichtssache sind. Fake News erodieren damit unseren gemeinsamen Boden der Tatsachen – ein Umstand, den etwa Russland strategisch ausnützt, um der EU und den USA zu schaden. Ähnliche Absichten stecken hinter der Strategie "Flood the zone with shit" des rechten Trump-Beraters Steve Bannon.

Faktenchecks sind wenig nachhaltig

Doch wie ist dieser Flut an Desinformation beizukommen? Viele Medien setzen auf sogenannte Fact-Checks oder Debunking: Expertinnen und Experten widerlegen Fake News mit Daten und Fakten aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Doch wie zuletzt eine Studie zeigte, ist diese Methode nicht unbedingt nachhaltig: Zwar erkennen Personen, nachdem sie einen Faktencheck gelesen haben, Falschinformationen auf diesem Gebiet. In anderen Bereichen hinterfragen sie ihre Positionen aber nicht. Zudem hält dieser Effekt nur wenige Wochen lang an.

Der russische Kanal RT, ehemals Russia Today, verbreitet Fake News, bis vor kurzem auch unbehelligt in der EU.
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Das ist auch nicht überraschend, wie die Psychologin Nicole Krämer (Universität Duisburg-Essen) erklärt: "Ist eine Information einmal in die bisherigen Wissensstrukturen eingebaut, kann sie durch Korrektur nicht einfach überschrieben werden. Selbst wenn die betroffenen Personen die neue, korrigierte Information glauben, bleibt die ursprüngliche Information bei späteren Abfragen präsenter, da sie in die Wissensstrukturen plausibel eingebaut wurde."

Immunisierung mit Clips

Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Universitäten Cambridge und Bristol (beide UK) haben nun aber einen anderen Ansatz gewählt. Sie wollen Menschen gegen Fake News auf Youtube mit eigenen Clips "impfen". Wie das gehen soll, illustriert folgendes Beispiel:

Diese "Video-Impfung" soll vor Youtube-Clips anstelle der Werbeanzeige platziert werden und wie in dem Fall vor dem Einsatz emotionaler Sprache warnen.
Inoculation Science

Wer das Video nicht gesehen hat: Ein Fake-News-Video beginnt mit einem kleinen, traurigen Mädchen, dass seinen Kopf schützend in einem großen Teddybären vergräbt. Dazu warnt eine Stimme aus dem Off davor, diese Werbeanzeige zu schließen, denn was man jetzt gleich sehen werde, würde einem zu Tränen rühren. Doch bevor es dazu kommen kann, ein harter Schnitt: Was folgt, ist ein bunt animiertes Erklärvideo, das klarmacht, wie emotionale Sprache verwendet wird, um Posts und Nachrichten einzufärben.

Dieser kurze Clip ist einer von fünf Videos, die von den Forscherinnen und Forschern gemeinsam mit dem Thinktank Jigsaw der Google-Mutter Alphabet erstellt wurde. Die auf die Ästhetik der sozialen Medien getrimmten Videos erklären gängige Mechanismen, die hinter Fake News stecken: Neben emotionaler Sprache wird der Einsatz von Sündenböcken, falschen Dichotomien, inkohärenten Positionen und Ad-hominem-Argumenten behandelt. Letzteres bezeichnet Scheinargumente, die eine Aussage nicht etwa inhaltlich kritisieren, sondern denjenigen angreifen, der sie tätigt. So werden die Positionen des anderen diskreditiert, ohne dass man wirklich auf seine Argumente eingegangen ist.

Wie die Fachleute nun im Fachblatt "Science Advances" berichten, können solche Filme, werden sie statt Werbeanzeigen auf der Videoplattform Youtube abgespielt, dazu beitragen, dass Menschen langfristig gegen Desinformation immunisiert werden – ganz wie bei einer Schutzimpfung. Doch wie gut wirkt diese Immunisierung tatsächlich? Und wie lange hält die Wirkung an?

Dreiteilige "Impfkampagne"

Um das zu überprüfen, entwarfen die Autorinnen und Autoren ein dreiteiliges Studiendesign: Zunächst wurde Versuchspersonen eines der Videos gezeigt, danach sollten sie bei einem fiktiven Social-Media-Posting erkennen, welche der Manipulationsstrategien angewandt wurde. Zusätzlich erhoben die Fachleute, wie gut die Versuchsteilnehmer vertrauenswürdige von dubiosen Beiträgen unterscheiden können und welche Postings sie anschließend in den sozialen Medien teilten. Dabei schnitten Probanden, die mit den Videos "geimpft" wurden, im Schnitt besser ab. Im zweiten Schritt prüfte das Forschungsteam, ob dieser Effekt nach einem Jahr noch zu beobachten war und ob Faktoren wie Alter, Geschlecht und Persönlichkeit die Ergebnisse verzerren.

Nachdem die Ergebnisse reproduziert werden konnten, schritten die Forscherinnen und Forscher zum Praxistest: Eine Million US-amerikanischer Nutzerinnen und Nutzer wurden statt einer Anzeige die Videos gezeigt, wenn sie sich einen Clip auf Youtube ansahen. Davon waren einen Tag später 20.000 Personen bereit, Fragen zu einer fiktiven Artikelüberschrift zu beantworten. Auch hier konnten die Menschen, die zuvor ein Aufklärungsvideo gesehen hatten, besser die Taktiken hinter Fake News erkennen.

Auch auf US-amerikanischen Plattformen wie Twitter wird eifrig Desinformation verbreitet.
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Dabei ist festzuhalten, dass die Videos keine Tatsachenbehauptungen machen, wie Jon Roozenbeck, Hauptautor der Untersuchung, erklärt: "Unsere Interventionen treffen keine Aussagen darüber, was wahr oder falsch ist. Sie sind aber effektiv für jeden, der nicht gerne manipuliert wird: Der Effekt der 'Impfung' trat bei Liberalen sowie Konservativen auf, bei Menschen mit verschiedenen Bildungsgraden und Persönlichkeiten. Damit ist das die Basis einer breiten Impfkampagne gegen Falschinformationen."

"Pre-Bunking" statt Debunking

Tatsächlich kostet eine Werbeanzeige auf Youtube nur wenige Cent. Die vergleichbar geringen Kosten zusammen mit der enormen Reichweite der Plattform sind ideale Bedingungen für eine großangelegte "Pre-Bunking"-Aktion, zeigt sich Studien-Co-Autor Sander van der Linden überzeugt: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass psychologische Inokulation auf Hunderte Millionen Nutzer weltweit hochskaliert werden kann."

Inokulation ist eigentlich ein Synonym für Impfung. In der Psychologie steht dieser Begriff für eine Methode, bei der Menschen kleine Dosen der Falschinformation erhalten, diese widerlegen und so einen Schutz gegen den "Falschinformationsangriff" entwickeln, weil die zugrunde liegenden Tatsachen gut durchdacht und nicht nur oberflächlich verarbeitet wurden, erklärt Nicole Krämer.

Die Psychologin ist allerdings skeptisch, ob die Probanden wirklich mithilfe der Videos "geimpft" wurden – oder ob es sich nur um "Priming" handelt. Darunter verstehen Fachleute das Phänomen, dass Menschen aufgrund einer vorangegangenen Erfahrung anders auf ähnliche Reize reagieren.

Vor seinem Rauswurf bei Twitter im Jänner 2021 nutzte Donald Trump diese Plattform, um Falschinformationen zu verbreiten – etwa jene, dass die Demokraten die Präsidentschaftswahl 2020 "gestohlen" hätten.
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Die Probanden könnten etwa aufgrund der Aufklärungsvideos mit versteckten Manipulationstaktiken rechnen und daher in den Tests besser abschneiden. Priming ist jedoch ein eher kurzfristiger Effekt. "Für die Anwendung bedeutet das, dass gegebenenfalls immer wieder solche Videos gezeigt werden müssen, um die Wirkung zu erzielen. Das bringt natürlich andere praktische Probleme mit sich, wie etwa jenes, dass solche Videos beim wiederholten Sehen vermieden oder ignoriert werden könnten, wodurch sie keine Wirkung entfalten können", sagt Krämer.

Verantwortung der Konzerne

Trotz dieser Kritik räumt die Psychologin ein, dass ein Trainingsansatz hilfreich ist, um Falschinformationen zu erkennen und nicht weiterzuleiten. Dennoch müsse die genaue Ursache sowie die Dauer der Schutzwirkung durch die Videos besser erforscht werden. In die gleiche Kerbe schlägt Joachim Allgaier, Professor für Digitalisierung und Kommunikation der Hochschule Fulda: "Es gibt noch Forschungsbedarf darüber, welche Social-Media-User empfänglich für diese Art von 'Schutzimpfungen' sind, wie lange die Wirkung anhält und wie man diese am besten verabreicht."

Da Fake News vor allem auf den großen Social-Media-Plattformen verbreitet werden, tragen diese auch die Verantwortung, auf ihren Webseiten und Apps gegen Desinformation vorzugehen, betont Allgaier. Diesen Ruf scheint man bei Google gehört zu haben: Ende August soll Jigsaw eine Pre-Bunking-Kampagne nach Vorbild der neuen Studie auf verschiedenen Plattformen in Polen, Tschechien und in der Slowakei ausrollen. Die Aktion richtet sich gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News rund um geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer. Gemeinsam mit lokalen Initiativen will Google so der wild wuchernden Desinformation Herr werden.

Der Nachrichtendienst Telegram wurde zu einem Tummelplatz für Verschwörungstheorien und Fake News.
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Fake News einen Schritt voraus sein

Mit digitalen Impfungen steht nun erstmals ein vorbeugendes Mittel gegen Fake News zur Verfügung. Faktenchecks und dergleichen hingegen befinden sich in der ewigen Defensive: "Es wird gewartet, bis Wissenschaftsleugner eine neue Falschinformation streuen oder die Öffentlichkeit etwas unabsichtlich falsch versteht, bevor man reagiert", sagt Philipp Schmid, Kommunikationswissenschafter an der Universität Erfurt. Daher sei man mit diesen Ansätzen der Falschinformation nie einen Schritt voraus. "Die vorliegende Studie zeigt, dass es möglich und effektiv ist, Hilfe zur Selbsthilfe in Aufklärungskampagnen zu leisten", zeigt sich Schmid überzeugt.

Doch Videos können umgangen werden, viele Nutzerinnen und Nutzer verwenden zudem Adblocker. Daher müssen die Plattformen andere Impfkonzepte entwickeln. Schmid: "Videoeinspieler können nur ein Baustein sein, um das Problem viraler Falschinformationen zu bekämpfen." Dennoch ist die Studie wegweisend, wie unsere Gesellschaften aktiv gegen Desinformation vorgehen können – anstatt den Fake News hinterherzuhinken. (Dorian Schiffer, 26.8.2022)