Das Sakko habe er nur fürs Foto angezogen. Er trage keines mehr, seit er nicht mehr bei der Bank arbeite, sagt Hannes Majdič und eilt über sein Firmenareal. Alles rundum komme weg, erzählt er und deutet über drei Gebäude. "Wir wurden vom Bauchladen zum großen Händler und haben immer den Anzug getragen, der uns passt." Nun sei es Zeit für Investitionen in einen neuen Standort in Klagenfurt.

Hannes Majdič: "Geld bringt Unabhängigkeit. Man denkt viel darüber nach. Glücklicher macht es nicht."
Foto: Ferdinand Neumüller

STANDARD: Stehen Sie freitags und samstags noch selbst im Verkauf und fachsimpeln über Hi-Fi-Anlagen?

Majdič: Wenn ich mich belohnen oder entspannen will, stelle ich mich ins Geschäft. Auch wenn es die Kunden wundert, dass sie einen Unternehmer, der über 100 Millionen Euro Umsatz macht, hier noch sehen.

STANDARD: Sie haben einst aus dem Wohnzimmer heraus Unterhaltungselektronik verkauft ...

Majdič: Meine Eltern waren schockiert, als ich den Job als Bankangestellter mit 16 Gehältern und Zusatzkrankenversicherung aufgab und auf 30 Quadratmetern ein Geschäft eröffnete. Aber ich habe ein Hobby zum Beruf gemacht. Und wir schafften es, dass ein Mediamarkt in Klagenfurt in bester Lage zusperrte.

STANDARD: Sie waren einer der Pioniere des Onlinehandels. Ihren Prognosen zufolge müsste der stationäre Handel seit Jahren tot sein.

Majdič: Zu Internetpreisen stationär zu verkaufen ist betriebswirtschaftlich bedenklich. Bieten kleine Händler jedoch Außergewöhnliches und messen sich nicht mit den Amazons dieser Welt, haben sie Riesenchancen.

STANDARD: Sie verkaufen auch stationär. Wie lange noch?

Majdič: Wir sperren unsere Abholshops in den nächsten fünf Jahren zu. Sie werden sich nicht rechnen, die Preisdifferenz zwischen on- und offline verschwindet. Wir errichten stattdessen in Klagenfurt auf über 10.000 Quadratmetern ein Logistikzentrum und werden in Wien ein großes Lager unterhalten mit einem kleinen Showroom. Der Kunde will seine Waschmaschine nicht in drei, vier oder fünf Tagen zugestellt bekommen, sondern sofort.

STANDARD: Die Zeiten der Elektrogeräte zum Angreifen sind vorbei?

Majdič: Ich liebe stationäre Geschäfte. Sie waren immer mein Traum. Aber ich kann nicht zugleich ein Onliner sein. Ich kann nicht alle Sterne in einem Haus bieten. Wir müssen uns vom klassischen Einzelhandel verabschieden.

STANDARD: Sie versenden heuer mit Electronic4You bis zu 300.000 Pakete. Wie viele kommen retour?

Majdič: Weniger als fünf Prozent. Im Textilhandel sind es oft mehr als 50 Prozent. Viele Kunden machen sich leider einen Sport daraus, fünfmal zu bestellen und zu schauen, wer am schnellsten liefert – oder Fernseher und Kühlschränke zwei Monate zu benutzen und dann zurückzuschicken. Der Gesetzgeber gibt ihnen das Recht dazu Gratisversand animiert, Amazon zeigt es vor. Und der Händler ist der Dumme. Die Gewährleistung ist selbstverständlich, Retouren von kaputten Geräten sind es ebenso. Aber was mittlerweile alles retourgeschickt und weggeworfen wird, ist widerlich. Onlineversand wird etwas kosten müssen.

Hannes Majdič verabschiedet sich vom klassischen Einzelhandel:" Ich liebe stationäre Geschäfte. Sie waren immer mein Traum. Aber ich kann nicht zugleich Onliner sein."
Foto: Ferdinand Neumüller

STANDARD: Die Corona-Krise brachte Ihrer Branche Umsatzrekorde. Wieso brauchten Sie staatliche Förderungen?

Majdič: Wir mussten unsere stationären Geschäfte schließen, für diese haben wir Hilfe bekommen. Wir haben aber auch alle Mitarbeiter behalten. Schockierend war, dass ein Mitbewerber mit 52 Geschäften 52 Förderungen erhielt, ein anderer für seine 160 Geschäfte ohne selbstständige Rechtsform nur eine.

STANDARD: Wurde der Einzelhandel vielerorts überfördert?

Majdič: Im Nachhinein hätte man manches anders machen müssen. Wir mussten aber ohnmächtig zusehen, wie Supermärkte unsere Produkte, die wir aufbauten, während der Lockdowns vertrieben. Kunden haben ihre Fernseher zwischen Extrawurst und Mineralwasser gekauft.

STANDARD: Starke Teuerung zwingt Konsumenten zu sparen. Geht der Boom vieler Onlinehändler zu Ende?

Majdič: Nur kurz, denn es wird weiter alles auf online getrimmt. Ich selbst hätte mir vor der Corona-Krise nie vorstellen können, Essen online zu bestellen. Die Letzten, die bis dahin nicht online kauften, erlebten, wie einfach und bequem es ist. Konsumenten bekommen heute in zehn Minuten online einen Kreditrahmen von 5.000 Euro. Die Industrie führt Kunden zu Onlineshops. Sie haben keine andere Wahl.

STANDARD: Logistikketten bleiben fragil. Wie lange warten Sie auf Lieferungen aus Asien?

Majdič: Früher war es undenkbar, dass Kunden auf einzelne Produkte ein halbes Jahr warten müssen. Oder dass es einzelne Geräte gar nicht mehr gibt. Wir umgehen diese Engpässe, indem wir andere Marken anbieten. Wer als Händler nicht flexibel und kreativ ist, hat ein Problem.

STANDARD: Wie stark verteuern sich Elektrogeräte?

Majdič: Ich denke nicht, dass ihre Preise steigen. TV-Geräte etwa sind so billig wie nie. Wir waren die Gewinner der Corona-Krise. Jetzt schlägt das Pendel retour. Konsumenten haben sich im Homeoffice mit Elektrogeräten eingedeckt. Wir können nicht weiterhin so verkaufen, als wäre jeden Tag Weihnachten.

STANDARD: Die Lebensdauer vieler Geräte ist gering. Ersatzteile sind rar, Reparatur ist oft unmöglich oder zu teuer. Was tut Ihre Branche gegen diese enorme Ressourcenvergeudung?

Majdič: Wir selbst überlegen uns bei jedem Einkauf viel. Mein Plattenspieler etwa ist 40 Jahre alt. Eine Familie hat uns aber gerade eine kaputte Stereoanlage gebracht. Es tat mir weh, sagen zu müssen, was eine Arbeitsstunde kostet, und ihr nahezulegen, die Anlage wegzuwerfen.

STANDARD: Handys, Waschmaschinen, Toaster: Warum geben so viele Geräte so früh den Geist auf? Ist es der Kostendruck, sind es lange Lieferketten, oder ist es bewusst provoziert?

Majdič: Diese Frage wird uns täglich gestellt. Absicht der Industrie schließe ich aus. Aber der Konsument will eine Waschmaschine um 222 Euro. Gleichzeitig soll sie wie bei der Oma 25 Jahre halten. Das geht nicht. Das ist ein Widerspruch. Wie soll man da hochwertige Komponenten einbauen? Zu dieser Maschine kann ein Händler auch keinen Verkäufer stellen. Bedauerlich ist das ganze billige chinesische Klump. Am Ende des Tages sind alle unglücklich damit.

STANDARD: Weltweit wächst der Berg an Elektroschrott. Nur ein Bruchteil wird recycelt. Was läuft falsch?

Majdič: Es ist eine Kombination aus Industrie und mächtigen Händlern, die Verträge aushandeln nach dem Motto: Nimm retour und hau weg.

STANDARD: Was halten Sie vom Reparaturbonus in Österreich?

Majdič: Eine tolle Geschichte. Es hilft Fachhändlern, aufzuzeigen, was sich doch noch reparieren lässt. Im Internet ist leider alles anonym. Da redet keiner mit dem anderen. Das ist die andere Seite dieses Geschäfts.

Kunden machten sich einen Sport daraus, fünfmal zu bestellen und zu schauen, wer am schnellsten liefert, sagt Hannes Majdič. "Was alles retourgeschickt und weggeworfen wird, ist widerlich."
Foto: Ferdinand Neumüller

STANDARD: Sie waren an Redcoon beteiligt, verdienten am Verkauf des Onlineshops an Media-Saturn ein Vermögen. Erlauben Sie die Frage: Was machen Sie mit dem vielen Geld?

Majdič: Ich habe es nie hinausposaunt, aber ich habe Redcoon von der ersten Stunde an mitaufgebaut und finanziert. Ich habe meiner Frau viel zu verdanken, sie hat alles mitgetragen. Wir haben uns dann in der Familie gefragt: Was tun mit dem Geld? Ich wollte etwas, wo ich nicht ständigen Druck wie in der Elektrobranche erlebe: täglich neue Preise, massiver Wettbewerb – auch wenn mich das jung gehalten hat. Ich habe daher in gewerbliche und private Immobilien investiert. Da geht es nicht jede Sekunde um billig, billiger, am billigsten. Kunden kaufen, oder sie kaufen nicht. Da konnte man in den letzten Jahren wenig falsch machen. Ich bin an einem Hotel und an einem Schloss am Wörthersee beteiligt. Wir haben die Halbinsel Pritschitz gekauft, Immobilien in besten Lagen. Ein Goldgriff.

STANDARD: Verändert Geld Menschen?

Majdič: Natürlich. Man denkt viel darüber nach. Geld bringt Unabhängigkeit, gewisse Sicherheit. Glücklicher macht es nicht. Ich bin Dienstleister meiner Unternehmen. Mein größtes geschäftliches Glück war, einmal nichts gehabt zu haben. Ich weiß, was ein Schilling wert war.

STANDARD: Redcoon brachte Media-Saturn hohe Verluste. Der Konzern wollte den Deal rückabwickeln und forderte hunderte Millionen zurück.

Majdič: Ein Riesenschock. Es kamen viele Anschuldigungen. Das hat uns zwei Jahre lang schlaflose Nächte beschert. Es zeigte mir, dass schriftliche Vereinbarungen keine Bedeutung haben, dass man großen Konzernen ausgeliefert ist. Aufgrund eines Stillschweigeabkommens darf ich nicht darüber reden. Nur so viel: Es gab einen perfekten Vergleich.

STANDARD: Sie sahen sich selbst immer als Handelsrebell. Media-Saturn haben Sie die Stirn geboten, großen Produzenten wie Philips, die den Fachhandel nicht mehr belieferten. Gegen wen lohnt es sich noch zu kämpfen?

Majdič: Es kann nicht sein, dass Fachhändler Megamarken gegenüber machtlos sind. Ich kämpfe bis heute für Gerechtigkeit, das ist mein Naturell. Marken wie Bose etwa verkaufen nur noch über Media-Saturn und Amazon. Wir verloren sie von einer Stunde auf die andere, führen daher nun gegen Bose einen offenen Rechtsstreit. Ich kann mir das leisten, kleinere Händler dürfen nicht einmal mucksen. Ich führe im Namen der österreichischen Händlerschaft auch einen Musterprozess gegen Sonos, unterstützt von der Wirtschaftskammer. Wir haben die Produkte dieser Marke jahrelang aufgebaut, dann wurden wir gekündigt. Sonos beliefert jetzt nur noch Amazon und Media-Saturn.

STANDARD: Sie kämpfen vor Gericht auch gegen die ÖBB. Es geht um eine Million Euro und Ihren früheren Samsung-Shop am Wiener Hauptbahnhof.

Majdič: Uns wurde suggeriert und per Prospekt gezeigt, dass sich auf dem Bahnhof täglich 118.000 Konsumenten bewegen. Tatsächlich waren es 10.000 bis 15.000. Für mich ist die ÖBB der Staat. Es darf nicht sein, dass ihre Angaben plötzlich keinerlei Bedeutung mehr haben. Wir bieten einen Vergleich an. Ich gehe aber auch bis zum Obersten Gerichtshof.

STANDARD: Auch wenn einer einem das Blaue vom Himmel verspricht, sind es letztlich doch Geschäfte unter Kaufleuten?

Majdič: Wenn das der Staat Österreich verspricht, dann hört es sich auf. Dann hat nichts mehr Bedeutung.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt: Wer den Elektrohandel überlebt, der kann fast alles. Was würden Sie denn gern noch können?

Majdič: Ich möchte das Unternehmen meinen beiden Kindern so übergeben, dass sie stolz darauf sein können. Die Ernte einfahren heißt, dass ein Unternehmen weitergeführt wird, am besten von der eigenen Familie.

STANDARD: Wie schwer fällt es Ihnen, die Fäden aus der Hand zu geben?

Majdič: Auch wenn es sich viele nicht vorstellen können: Ich würde den Schlüssel gern mit der Eröffnung der neuen Firmenzentrale übergeben. Letztlich kann es auch vor der Industrie nur einen Chef geben. Mein Sohn macht das bereits hervorragend.

Hannes Majdič geht gerichtlich gegen große Marken wie Bose und Sonos vor: "Ich kämpfe für Gerechtigkeit, das ist mein Naturell."
Foto: Ferdinand Neumüller

STANDARD: Spielen Sie eigentlich noch viel Tischtennis?

Majdič: Meine neue Leidenschaft ist Tennis. Die Sportunion Klagenfurt, der größte Sportverein Kärntens, hat mich gebeten, ein Jahr den Präsidenten zu machen. Für jeden, der Kärnten gut kennt, war das überraschend. Für mich ist es eine Ehre.

STANDARD: Wieso überraschend?

Majdič: Ich bin gebürtiger Eisenkappler, komme aus dem letzten Winkel Kärntens. Ich bin sehr froh darüber, dass die Zeiten vorbei sind, in denen mein Name Majdič mit Hakerl (Hatschek, Anm.) eine Rolle spielte. Ich hatte damit vor vielen Jahren große Schwierigkeiten, auch mein Sohn. "Beim Jugo kauf ich nicht ein", hieß es. Das passiert schon lange nicht mehr. Meine Familie ist heute stolz auf ihren Namen.

STANDARD: Sie sind Kärntner Slowene?

Majdič: Ja, das sind meine Wurzeln, und ich sage es heute gerne. Meine Mutter sprach Slowenisch mit mir, mein Vater Deutsch. Im Kindergarten sprach keiner Slowenisch. In der Schule wurden Schüler wie ich, die es lernen wollten, in die letzte Reihe gesetzt. Entsprechend wurden wir von Lehrern auch behandelt. Damit ich ins Stiftsgymnasium durfte und eine höhere Bildung bekam, musste der Pfarrer beglaubigen, dass ich ministrieren war. Meine Mutter wurde angepöbelt, wenn sie Slowenisch sprach. Mir war es später wichtig, raus in die Welt zu gehen und Menschen kennenzulernen. Heute gibt es in Kärnten eine Kultur des Miteinander-Redens. Man darf aber nicht vergessen, dass es einmal anders war. (Verena Kainrath, 27.8.2022)