Die halluzinogene Wirkung von psychedelischen Pilzen soll helfen, Alkoholsucht zu bekämpfen – das sagt zumindest eine neue Studie.

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Alkohol ist eines der verbreitetsten Suchtgifte überhaupt. Ist man davon abhängig, hat das nicht nur gesundheitlich schwerwiegende Folgen. Auch psychische und soziale Probleme entstehen dadurch, die Betroffenen und mit ihnen das soziale Umfeld leiden massiv. Das Problem: Es fällt es extrem schwer, vom Alkohol wieder loszukommen. Deshalb ist die Suche nach dabei unterstützenden Methoden so wichtig.

So einen Ansatz hat eine kleine Studie untersucht, die soeben im Journal Jama Psychiatry erschienen ist. Sie analysierte die therapeutische Wirkung von Psychedelika in Kombination mit Psychotherapie zur Behandlung von Alkoholkonsumstörungen. Im konkreten Fall geht es um den Wirkstoff Psilocybin, der in sogenannten Magic Mushrooms enthalten ist. Er bewirkt einen psychedelischen Rausch mit visuellen Halluzinationen. Der Zustand ähnelt einem LSD-Rausch, ist in der Regel jedoch kürzer.

Die Studie ergab, dass eine Kombination aus zwei Dosen des Psilocybin-Zauberpilzes mit Psychotherapie zu einem 83-prozentigen Rückgang des starken Alkoholkonsums der Teilnehmenden führte. Diejenigen, denen ein Placebo verabreicht wurde, reduzierten ihren Alkoholkonsum im Gegensatz dazu um 51 Prozent. Am Ende der achtmonatigen Studie hatte fast die Hälfte derjenigen, die Psilocybin erhielten, vollständig aufgehört zu trinken, verglichen mit etwa einem Viertel derjenigen, die das Placebo erhielten, wie die Forschenden mitteilten.

Neue Erkenntnisse für alte These

Die Studie ist die neueste in einer Reihe neuer Forschungsergebnisse, die die Vorteile von bewusstseinsverändernden Stoffen zur Behandlung verschiedener psychischer Gesundheitsprobleme untersuchen. Unter anderem wurden sie in Bezug auf Depressionen, Angstzustände, posttraumatische Belastungsstörungen oder Existenzangst von unheilbar Kranken erforscht. Und bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren gab es Studien zur Wirkung von LSD bei Alkoholsucht.

"Die Ergebnisse sind aufregend und geben den fast 15 Millionen Amerikanern, die mit übermäßigem Alkoholkonsum zu kämpfen haben, Hoffnung. Das sind immerhin rund fünf Prozent aller Erwachsenen", sagt Michael Bogenschutz, Direktor am NYU Langone Center for Psychedelic Medicine in New York City und leitender Prüfarzt der Studie. "Denn die Erfolge der derzeit verfügbaren Behandlungen und Medikamente sind in der Regel gering." Die meisten zielen darauf ab, das Verlangen zu reduzieren, den Entzug erträglich zu machen oder die durch Drogen angeregten Belohnungsrezeptoren im Gehirn zu beruhigen. In den USA sterben jährlich schätzungsweise 140.000 Menschen an übermäßigem Alkoholkonsum.

An der doppelblinden, randomisierten Studie nahmen über 32 Wochen 93 Personen teil, die alle mit übermäßigem Alkoholkonsum zu kämpfen hatten. Sie wurden in zwei Gruppen geteilt: Alle Teilnehmenden nahmen zwölf Therapiesitzungen wahr. Eine Gruppe erhielt dazu insgesamt zwei Dosen Psilocybin, die andere Gruppe bekam jeweils ein Placebo in Form von Antihistamin-Pillen. Die Therapiesitzungen begannen mehrere Woche vor der ersten Dosis und wurden einen Monat nach der letzten Dosis fortgesetzt.

Um den Effekt der Droge zu ermitteln, gaben die Teilnehmenden in den 32 Wochen Auskunft, an wie vielen Tagen sie viel getrunken hatten. Zu Studienbeginn tranken die Teilnehmenden aus beiden Gruppen an rund jeden zweitem Tag. Die Teilnehmenden der Vergleichsgruppe tranken in den folgenden Wochen im Schnitt an knapp 24 Prozent der Tage viel (fünf Drinks bei Männern, vier Drinks bei Frauen oder mehr). Die Teilnehmenden aus der Psilocybin-Gruppe taten das nur an knapp zehn Prozent der Tage.

"Göttliche Wesen, die auf mich herabblickten"

Von schweren Nebenwirkungen berichteten jene Personen, die Psilocybin einnahmen, nicht, ab zu kam es zu Kopfschmerzen, Übelkeit oder auch Ängsten, die aber mit einem Medikament beruhigt werden konnten. Sie wussten zuvor nicht, dass sie die psychoaktive Substanz erhalten hatten. Doch fast alle konnten schon nach der ersten Einnahme aufgrund der halluzinogenen Wirkung erraten, in welcher Gruppe sie sich befanden. Das bleibe eine Herausforderung für die klinische Forschung zu Psychedelika, schreiben die Studienautoren, da voreingenommene Erwartungen die Ergebnisse beeinflussen könnten.

Die Teilnehmenden selbst berichteten positiv über die Auswirkungen. So erzählte Mary Beth Orr, eine Probandin, die Psilocybin erhalten hatte, der New York Times, dass sich ihre zerstörerische Beziehung zu Alkohol verändert habe. Sie habe zwar nie Alkohol-bedingte Aussetzer gehabt und bezeichnete sich selbst als "stilvolle" Trinkerin, trotzdem sei ihr Leben durch das abendliche Trinken beeinflusst worden, sie fühlte sie sich am Morgen schlecht. Die 69-jährige erzählt: "Ich dachte täglich darüber nach, dass ich am Abend nichts trinken werde. Ich wollte aufhören, aber ich habe es nicht geschafft."

Die Psilocybin-Sessions seien manchmal entnervend gewesen, aber insgesamt sehr erhellend. Orr erzählt, dass sie mystische, traumhafte Reisen erlebt habe, mit grellen Farbtupfern und fantastischen Kreaturen. Sie hatte auch eine emotionale Begegnung mit ihrem verstorbenen Vater. "Es war wie eine wunderschöne Show, mit Juwelen und dem Gefühl, durch einen Tunnel zu eilen, in dem göttliche Wesen aus Nischen in den Wänden auf mich herabblicken", erzählt die Pensionistin. Zwei Therapeuten standen ihr als Begleiter zur Seite, während sie auf einem Sofa lag, die Augen bedeckt und beruhigende Musik in den Kopfhörern.

Keine Angst mehr

Die zweite Sitzung sei weniger farbenfroh und aufregend gewesen, doch es sei zu einem entscheidenden Gespräch unter Wasser gekommen, mit einem Familienmitglied, dass ihr im Laufe der Jahre große emotionale Schmerzen zugefügt habe. In der Sitzung, erzählt Orr, wünschte sie dem Verwandten alles Gute und verabschiedete sich mit einem Kuss: "Ich habe für mich die Botschaft von Vergebung, Verständnis und Liebe mitgenommen, für andere aber auch für mich selbst. Ich habe keine Angst mehr vor Gefühlen und lebe ein sinnvolleres Leben."

Seit dieser Sitzung sind drei Jahre vergangen, Mary Beth Orr berichtet, dass sie seither selten trinke, sich aber gelegentlich ein Glas Wein gönne und es genieße: "Ich überwache meinen Alkoholkonsum nicht. Aber ich denke auch nicht darüber nach und das finde ich wirklich großartig."

Wie Psilocybin und andere Psychedelika auf den Geist wirken, verstehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht vollständig, aber sie nehmen an, dass diese die Neuroplastizität oder eine Neuverdrahtung des Gehirns fördern. Das könnte Menschen mit psychiatrischen Problemen helfen, neue Wege zu finden, um ihre Krankheit und ihr selbstzerstörerisches Verhalten zu ändern.

Psilocybin und andere psychedelische Verbindungen scheinen die psychologischen Grundlagen der Sucht zu beeinflussen, sagt Studienautor Bogenschutz. Er plant nun eine weitere Studie mit mehr als 200 Teilnehmenden, in der er die Wirkung einer Einzeldosis Psilocybin testen will. Denn das Ergebnis rechtfertige, den Einsatz der Substanz gegen Alkoholsucht weiter zu erforschen, schreibt das Studienteam in Jama Psychiatry. Noch seien viele Fragen offen, etwa wie lang der Effekt anhalte. Ob irgendwann daraus eine anerkannte Therapie mit Magic Mushrooms entstehen werde, lasse sich noch nicht vorhersagen. (kru, 26.8.2022)