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Eine Pflanze einzusetzen, sich um sie zu kümmern und ihr beim Wachsen zuzusehen kann sehr heilsam sein.

Foto: Getty Images/LukaTDB

Mobbing, Intrigen, Schichtarbeit – diese Mischung hielt Oliver Hrazdira irgendwann nicht mehr aus. Gepaart mit Alkohol und privaten Problemen erlebte er mit 32 Jahren einen psychischen Zusammenbruch. "Damals ging es mir richtig dreckig, ich entwickelte starke Depressionen und musste stationär aufgenommen werden", erzählt der heute 41-Jährige. Er war arbeitsunfähig und sah kaum noch Sinn in seinem Leben. Ein Sozialarbeiter gab ihm irgendwann die Nummer der Emmaus Cityfarm in St. Pölten, ein Projekt zur beruflichen Integration für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das Besondere daran: Hier wird gegärtnert.

"In die Cityfarm kommen Menschen, die den Weg zurück in die Arbeitswelt finden möchten oder auf Dauer eine Beschäftigung suchen, bei der auf ihre Erkrankung eingegangen wird", erklärt Gabriele Kellner, Leiterin der Tagesstätte Cityfarm. Wie oft die Klientinnen und Klienten in das Zentrum kommen, richtet sich dabei ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen. Wenn es ihr gesundheitlicher Zustand zulässt, können das bis zu 32 Wochenstunden sein.

Die Cityfarm wird somit zu ihrer täglichen Arbeit. "Zuerst hatte ich ein mulmiges Gefühl, als ich erfuhr, dass es dort um Gartenarbeit geht", erzählt Hrazdira. In diesem Aufgabengebiet kannte sich der gelernte Maler bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht aus. Mittlerweile möchte er jedoch genau diese Arbeit nicht mehr missen. "Ich hätte nie geglaubt, dass mir das Arbeiten in der Natur so guttut. Wenn ich beobachte, wie aus einem Samenkorn eine große Pflanze wächst, die man dann vielleicht sogar essen kann, macht mich das glücklich."

Therapieort Garten

Das Besondere an der Gartentherapie, die an der Donau-Universität Krems in Kooperation mit der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik gelehrt wird, ist, dass "alle Sinne angeregt werden", sagt Lehrgangsleiterin Birgit Steininger. "Ein Spaziergang im Wald tut auch gut, aber da erlebe ich die Selbstwirksamkeit nicht. Wenn ich jedoch ein Samenkorn in die Erde gebe, muss ich darauf achten, wie tief ich es hineinlege, ich muss ihm genug Wasser geben und es von Unkraut befreien." Und trotzdem kann es passieren, dass aus diesem Samenkorn nichts wird. "Auch das ist ein wichtiger Lernprozess. Ich lerne anzunehmen, dass nicht immer alles klappt", sagt die Expertin.

Aber nicht nur bei psychischen Erkrankungen kommt die Gartentherapie zum Einsatz, sie hilft auch alten und schwerkranken Personen. Steininger weiß: "Auch das Arbeiten mit Materialien aus dem Garten kann sehr heilsam sein." Denn: Nicht alle Menschen sind körperlich in der Lage, auf dem Boden kniend Erde umzugraben oder Rasen zu mähen. Dann werden etwa Blumengestecke oder Kräutersträuße gebunden. Steininger erinnert sich: "Einmal habe ich mit einer schwerkranken Patientin ein kleines Blumengesteck gebastelt. Sie war so glücklich darüber, denn so hatte sie etwas Selbstgemachtes, das sie ihrem Mann zum Hochzeitstag schenken konnte."

Eigenverantwortung

Bei der Cityfarm geht es aber um mehr als nur die Verbundenheit mit der Natur. Hier werden auch das Miteinander und die Gemeinschaft gefördert. Hrazdira erzählt: "In der Früh um acht geht es los, es gibt ein gemeinsames Frühstück. Das ist ein ganz langsames, gemeinsames Reinkommen in den Arbeitstag, nicht so stressig wie in einer normalen Firma." Auch das Mittagessen wird in der Gruppe gekocht, häufig mit Zutaten aus dem eigenen Garten. "Bei dem gemeinsamen Essen gehen wir auf die Bedürfnisse aller ein. Es ist eine familiäre Atmosphäre, in der ich mich richtig geborgen fühle", schildert er. Sein schönstes Erlebnis hatte er bereits recht bald in der Cityfarm. Die ersten Pflanzen, die er eigenständig einpflanzte und versorgte, waren Zwiebeln. "Nach ein paar Wochen habe ich mir eine Zwiebelsuppe aus den Knollen gekocht. Das war ein Gefühl, das ich gar nicht beschreiben kann."

Für Hrazdira sind Pflanzen und die Cityfarm zu einem wichtigen Teil seines Lebens geworden. Vor allem der Lebenszyklus der Pflanzen begeistert ihn: "Auch wenn die Sonne mal nicht scheint oder nicht die optimalen Bedingungen herrschen, wächst die Pflanze immer weiter. Das hat mir viel Mut gegeben."

Bei der Gartentherapie, die in verschiedenen Formen in ganz Österreich angeboten wird, geht es neben dem eigenen Erleben auch um Analogien, weiß Tagesstättenleiterin Kellner: "Der Glaube an das eigene Wachstum, weil Pflanzen das auch schaffen können oder das Unkraut an der Wurzel zu packen, auszureißen und so Platz für etwas Neues zu schaffen, all das lässt sich gut auch auf das eigene Leben übertragen." (Jasmin Altrock, 29.08.2022)