Herbert Kickl stehen entscheidende Wochen und Monate bevor.

Foto: Imago / SEPA.Media / Isabelle Ouvrard

Das Montagabend im ORF ausgestrahlte Sommergespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl war ein gefundenes Fressen – für seine treuen Anhänger genauso wie für seine schärfsten Kritiker. Kickls Rezept bestand aus exakt drei Zutaten: harte Attacken gegen politische Mitbewerber, wenig zimperlicher Umgang mit seinen Interviewern und inhaltliche Positionierungen ganz weit am Rand.

Während er bei seinen Anhängern lauten Applaus erntete, war seinen Gegnern ob dieses Stils eher zum Zähneknirschen zumute. Die einen lieben Kickls Frontalangriff und radikalen Oppositionskurs, die anderen wünschen sich hingegen mehr Kompromissbereitschaft und Verbindlichkeit. Mehr als diese 55 Minuten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht es auch nicht, um jene Bruchlinie in der FPÖ aufzuzeigen, die die Partei spätestens seit der Übernahme der Obmannschaft durch Herbert Kickl im Juni 2021 entzweit.

Nachdem die FPÖ nach Publikwerden des Ibiza-Videos im Mai 2019 eine Wahlschlappe nach der anderen einstecken musste, ist es unter der Obmannschaft Kickls gelungen, das Tal der Tränen zu verlassen. In den Umfragen ging es seither konstant bergauf, man befindet sich wieder ungefähr dort, wo die Partei vor dem Ibiza-Video in Umfragen zu liegen kam.

Steigende Umfragewerte sehen alle in der Partei mit Wohlwollen. Doch die Mittel, mit denen dieser Aufwärtstrend gelungen ist, schmeckt wahrlich nicht jedem – Kickl bedient sich eines rechten Krawallkurses, der die Zusammenarbeit und damit das Regieren mit anderen de facto unmöglich macht.

Dass dieser sich mit seinem Stil in die Oppositionsrolle de facto einzementiert, führt wiederum zu Konflikten mit jenen, die die FPÖ eines Tages auch auf Bundesebene wieder an den Schalthebeln der Macht sehen wollen. Allen voran Oberösterreichs Landesparteichef Manfred Haimbuchner, der auf Landesebene mit der ÖVP koaliert.

Parallelen mit Knittelfeld

Ein wenig erinnert diese große blaue Bruchlinie an den Putsch von Knittelfeld, der sich am 7. September zum 20. Mal jährt. Auch damals war die Partei, die zu diesem Zeitpunkt in einer aufrechten Koalition mit der ÖVP war, in zwei Lager gespalten – jenes, das diese Regierungsarbeit konstruktiv fortsetzen wollte, und jenes, bestehend aus Parteirebellen, die es satthatten, mit der Volkspartei zu koalieren.

Auf einer Parteiversammlung im steirischen Knittelfeld überschlugen sich schließlich die Ereignisse. Die Geschehnisse dort, angezettelt von Rebellen, zu denen Jörg Haider, Heinz-Christian Strache und Ewald Stadler gehörten, führten letztendlich zu einem Machtwechsel innerhalb der FPÖ, zum Rücktritt mehrerer blauer Minister und zum Zerplatzen der ersten FPÖ-ÖVP-Regierung.

Oberösterreichs Landesparteichef Manfred Haimbuchner koaliert auf Landesebene mit der ÖVP.
Foto: APA / Georg HOchmuth

Dass sich heute wie einst aufgrund der so heiklen Ausrichtungs- und Positionierungsfrage innerhalb der Partei einige Rebellen formieren, um einen Machtwechsel an der Spitze herbeizuführen, darauf deutet aktuell nichts hin. Nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen demonstrierte die FPÖ Geschlossenheit, eine ganze Reihe blauer Landeschefs stellte sich demonstrativ hinter den Parteichef, und der eigentliche Feind war mit "den Medien" auch rasch ausgemacht.

Anonyme Anzeige

Was war geschehen? Hans-Jörg Jenewein, Ex-Nationalratsabgeordneter und rechte Hand Kickls, soll bekanntlich eine anonyme Anzeige gegen Parteikollegen in der Wiener FPÖ verfasst haben, in der diesen der Missbrauch von Fördermitteln und persönliche Bereicherung vorgeworfen wird.

Nicht zuletzt die Wiener FPÖ, die von Landeschef Dominik Nepp angeführt wird, hegte rasch den Verdacht, dass Kickl der eigentliche Drahtzieher hinter der Aktion ist, was dieser freilich bestreitet. Kickl und Nepp waren schon zuvor alles andere als gut Freund – auch Nepp kann gelinde gesagt in vielen Fragen nur wenig mit Kickls Kurs und Stil anfangen.

Und dennoch: Nicht einmal Kickls schärfste Kritiker haben aktuell ein Interesse daran, eine Obmanndebatte vom Zaun zu brechen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mehrere Wahlen vor der Tür stehen. Neben günstigen Umfragewerten, die vor der Causa Jenewein freilich noch besser waren, spielt den Blauen auch die Themenlage mit hohen Asylzahlen, drohender Energiekrise und nicht enden wollender Teuerung in die Hände. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb der durch die Causa Jenewein neu aufgebrochene Konflikt zuletzt auch nicht weiter an Fahrt aufgenommen. Davon, dass im blauen Universum mittlerweile wieder alles eitel Wonne ist, kann allerdings keine Rede sein.

Mikado-Spiel

Herbert Kickl polarisiert, neben seinen zahlreichen Anhängern gibt es auch erbitterte Gegenspieler, die derzeit aber keine Anstalten machen, eine Revolte anzuzetteln. Wer dieser Tage in die Partei hineinhört, bekommt den Eindruck, als werde dort Mikado gespielt, ganz nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

"Momentan befindet sich jeder in Deckung, es bewegt sich keiner", sagt auch ein Parteiinsider. Es habe aktuell niemand ein Interesse, dass die Situation eskaliert, heißt es.

Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht einmal Kickls schärfste Kritiker haben aktuell ein Interesse daran, eine Obmanndebatte vom Zaun zu brechen.
Foto: Getty Images / FangXiaNuo

Dass nun vor allem Kickls Kritiker in einer Art Warteposition verharren, ist aus deren Sicht auch verständlich – sollten nämlich die Wahlen nicht verlaufen, wie geplant, will man dort auf keinen Fall, dass Kickl dafür irgendwelchen Unruhestiftern in der Partei die Schuld in die Schuhe schieben kann.

Kickls erster Gradmesser

Wie sehr die Delegierten der FPÖ tatsächlich hinter ihrem Obmann und dessen Kurs stehen, wird sich übrigens zehn Tage nach dem Knittelfeld-Jubiläum zeigen. Denn am 17. September tritt Kickl bei einem Bundesparteitag in St. Pölten zur Wiederwahl an. Dieser Tag wird ein erster Gradmesser dafür, über wie viel Rückhalt er nach den Turbulenzen der jüngsten Zeit tatsächlich noch in den eigenen Reihen verfügt. Im Juni fuhr Kickl mit 88 Prozent zwar kein sensationelles, aber ein einigermaßen respektables Ergebnis ein.

Doch die entscheidenden Weichen betreffend Kickls Zukunft an der blauen Spitze werden in den Wochen und Monaten nach dem Parteitag gestellt. Akzeptanz und Rückhalt genießt ein Parteichef – das ist auch in der FPÖ nicht anders – ausschließlich dann, wenn dieser in der Lage ist, Wahlen zu gewinnen. Wenn der über das Ibiza-Video gestolperte Ex-Chef Heinz-Christian Strache eines konnte, dann das.

Startnachteil

Wohin diesbezüglich die Reise geht, wird sich bereits eine Woche nach dem Parteitag zeigen. Am 25. September wird in Tirol gewählt. Zwei Wochen später folgt am 9. Oktober die Bundespräsidentschaftswahl. Hier schicken die Freiheitlichen als einzige im Parlament vertretene Partei einen Kandidaten ins Rennen um die Hofburg. Volksanwalt Walter Rosenkranz hat allerdings außerordentlich viel Konkurrenz aus dem rechten Eck.

Erst diese Woche haben Anwalt und Ex-Krone-Kolumnist Tassilo Wallentin, der frühere FPÖ- und BZÖ-Politiker und Blogger Gerald Grosz und MFG-Vorsitzender Michael Brunner kundgetan, genügend Unterstützungserklärungen gesammelt zu haben, um für die Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Dass es derart viel rechte Konkurrenz gibt, kreiden Kickls Kritiker dem Parteichef an, der etwa mit Wallentin Gespräche über eine FPÖ-Kandidatur geführt hat.

DER STANDARD/APA

Erst diese Gespräche hätten dazu geführt, dass Wallentin Blut geleckt habe und nun als unabhängiger Kandidat antritt. Damit verschlechtert sich die Ausgangslage für Rosenkranz, der auch im Zuge der Causa Jenewein in Umfragen Federn lassen musste. Kickl habe Rosenkranz einen Startnachteil verschafft, ätzen Kritiker.

Spannend ist: Ab September geht die FPÖ in die Intensivphase ihres Wahlkampfes zur Bundespräsidentenwahl. Der große Auftakt wird am 3. September über die Bühne gehen – und zwar just im oberösterreichischen Wels. Dort sitzt mit Andreas Rabl ein Blauer im Bürgermeistersessel – er zählt klar zu Haimbuchners Vertrauenskreis und gilt als Kickl-Kritiker. Den Auftakt lassen sich auch Kickl und Haimbuchner nicht entgehen. Es wird ein Wiedersehen unter Parteifreunden. (Sandra Schieder, 27.8.2022)