In Österreich besteht heute ein breiter Konsens, sich jedem menschenverachtenden oder antisemitischen Gedankengut vehement entgegenzustellen. Wir müssen uns aber auch der Vergangenheit unseres Landes weiterhin stellen und dürfen das unermessliche Leid, das verursacht wurde, niemals vergessen. Mit dem Haus der Geschichte oder der Shoa-Namensmauer-Gedenkstätte erhalten wir das Erinnern aufrecht – als Zeichen gelebter Solidarität mit jenen, die gelitten haben, die verfolgt und ermordet wurden, ebenso aber auch als Zeichen für die Zukunft. Dafür, dass solche unfassbaren Verbrechen nie wieder passieren", schreibt Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Vorwort der kürzlich publizierten Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des Jewish Welcome Service.

Susanne Trauneck, Paul Daniel (Hrsg.), "40 Years Jewish Welcome Service Vienna". Dt./Engl. 80 Seiten. Verlag des Jewish Welcome Service, Wien 2022
Foto: Verlag des Jewish Welcome Service

Der Jewish Welcome Service Vienna wurde 1980 von Leon Zelman und der Gemeinde Wien gegründet. Seitdem wurden einige Tausend aus Österreich vertriebene Jüdinnen und Juden nach Österreich eingeladen. Diese Besuche sind mittlerweile nicht nur wichtige Tradition, weit mehr als nur eine Geste der Wertschätzung, rücken sie doch Verantwortung und Geschichte ins Wahrnehmungszentrum.

Als Henry Weil, 1935 in Wien geboren, 1939 mit den Eltern in letzter Sekunde über Frankreich in die USA geflohen, während das Gros seiner Familie in den Konzentrationslagern des verbrecherischen Nazi-Regimes ermordet wurde, Mitte der 70er-Jahre auf Drängen seiner Frau erstmals nach Wien zurückkehrte, begegnete er einer Frau, die sich freute, etwas über "die nette jüdische Familie zu erfahren, die mitten in der Nacht fortmusste". Sie lud ihn in seine einstige Wohnung ein, wo ein ehemaliger Gestapo-Offizier wohnte, "der sich freue, ihn zu sehen". "Ich dachte, das ist alles nicht wahr." Na ja, nicht, dass einem Derartiges heute nicht passieren kann, der Großteil der Gesellschaft hat verstanden, Verantwortung und Respekt, Toleranz und Vorsicht walten zu lassen. Henry Weil, heute in New York und Delaware lebend, 2018 auf Einladung des JWS in Wien, richtet seine Botschaft vor allem an jüngere Menschen: "Ich habe gelernt, nicht zu hassen, sondern zu vergeben. Aber ich kann nicht vergessen."

Heute gibt es gottlob Aktivitäten und Initiativen wider Vergessen und Verdrängen, gegen Aufkeimen und Erstarken des Antisemitismus. Die bedeutendste Aufgabe im Tätigkeitsspektrum des Jewish Welcome Service ist die Organisation und Durchführung eines Besuchsprogramms für Opfer der Shoa sowie deren Nachkommen. Folgten in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Gründung des JWS vielfach noch Holocaust-Überlebende und Vertriebene der Einladung nach Wien, so sind es seit der Jahrtausendwende immer mehr deren Nachkommen der zweiten und dritten Generation. In der jüngeren Vergangenheit besuchten vielfach auch Studiengruppen auf Einladung des JWS Wien, um das jüdische Leben der Stadt kennenzulernen. Allen gemeinsam ist eine Spurensuche, was von der eigenen Vergangenheit geblieben ist, sei es, um die persönlichen Wurzeln aufzuspüren, der Geschichte ihrer Vorfahren allgemein zu begegnen. Vielen dieser Schicksale und Geschichten begegnet man in berührender Weise in der Publikation.

Oft sind Besuche mit Recherchen verbunden, Nachforschungen in Restitutionsfragen. Seit 1980 hat der JWS mehr als 4000 Gäste empfangen, unterstützt. Treffen mit Bundespräsidenten, Bürgermeistern, Persönlichkeiten der Kultur, Vorträge, Besichtigungen sind begleitet von oftmals berührenden Begegnung zwischen Menschen, aber auch mit der Stadt, die nach 1945 lange unter dem Verlust des Gros der Intelligenzija litt. Wiens JWS reicht die Hand im Sinn aktiver Erinnerung, des Respekts, der Versöhnung. (Gregor Auenhammer, 26.8.2022)