Die Elben des "Herr der Ringe" Universum sprechen Sindarin oder Quenya.

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Sprachwissenschafterin Monika Kirner-Ludwig von der Uni Innsbruck

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Pünktlich zum Start von "House of the Dragon" bietet die Sprachlern-App Duolingo die von David J. Peterson erdachte Sprache Hochvalyrisch an, die vor allem von der Familie Targaryen gesprochen wird. Das bekannteste Wort ist wohl "Dracarys", mit dem die Targaryens ihren Drachen befehlen, Feuer zu speien. Hochvalyrisch erinnert an eine Mischung aus Latein und Spanisch. Vier Jahre hatte ich in der Schule Latein, das sollte ich doch hinkriegen, denke ich mir an Tag eins meiner Fremdsprachen-Expedition mit der Lern-App. Es funktioniert dann besser als gedacht, "vala" heißt Mann und "riña" Mädchen. Als ich am Wochenende meinen "Streak" nicht verlieren möchte und beim Treffen mit Freunden von meinen neuen Kenntnissen berichte, ernte ich vor allem verständnislose Blicke und gutgemeintes Gelächter. Aber ist das so etwas Ungewöhnliches?

Die Sprachwissenschafterin Monika Kirner-Ludwig von der Uni Innsbruck beschäftigt sich seit Jahren mit J. R. R. Tolkien und den von ihm konstruierten Sprachen. Eine Sprache erfindet man nämlich nicht, betont sie gleich am Anfang des Gesprächs mit dem STANDARD. Jede Fantasy-Sprache, egal ob von Tolkien oder Peterson, basiert auf realen Sprachen. Dass Menschen neue Sprachen konstruieren, sei übrigens kein neues Phänomen. Schon Hildegard von Bingen schuf im 12. Jahrhundert die "Lingua ignota". Diese besaß allerdings keine eigene Grammatik, Hildegard streute einzelne ihrer erdachten Wörter in lateinische Texte ein.

Anleitung zum Sprachen-Bau

Aber wie baut man eine neue Sprache? Schritt eins: Den Zweck der Sprache definieren. Sollen nur einige wenige Wörter in einer Serie oder einem Film für unser Ohr fremd klingen, ist es vermutlich nicht unbedingt nötig, dafür eine eigene Sprache zu entwickeln. Soll sie hingegen über längere Zeit verwendet werden, braucht es ein System dahinter. Schritt zwei: Wie soll die Sprache klingen? Kirner-Ludwig erklärt, dass sich unser Verständnis von ästhetischen Sprachen an Stereotypen orientiert. Italienisch oder Französisch klingen melodisch, Deutsch oder Russisch hingegen härter. Dothraki sollte beispielsweise hart und beinahe brutal klingen, so ließ Peterson Khal Drogo in "Game of Thrones" auch sprechen. Tolkien hingegen beschrieb die Elben seines Universums als übernatürlich schöne Wesen, auch ihre Sprache sollte das widerspiegeln.

Die Elben-Sprachen Sindarin und Quenya sind für Kirner-Ludwig die schönsten unter den Fantasysprachen, an ihnen arbeitete Tolkien auch am längsten. Dabei lässt sich klar sagen, wo der britische Autor und Sprachwissenschafter seine Inspiration fand. Quenya erinnert im Klang an das Finnische und zeigt Einflüsse des Lateinischen und Altgriechischen. Die "Alltagssprache" Sindarin ist hingegen stark vom Walisischen inspiriert. Hat man den Zweck und den gewünschten Klang einer Sprache gefunden, kann man sich der Grammatik widmen.

Der innerste Kreis spricht Sindarin

Tolkien wäre begeistert, wenn er wüsste, dass heute noch Menschen seine Sprachen lernen und sprechen, ist Kirner-Ludwig überzeugt. Er habe sich in seinen jungen Jahren selbst oft mit Freunden getroffen, um Altenglisch und Altnordisch zu sprechen. Einfach nur weil sie es lustig fanden. Die Faszination Teil einer so exklusiven Gruppe zu sein, ist heute wohl noch der Grund, warum Fans elbische Sprachen lernen, glaubt Kirner-Ludwig. Bei Veranstaltungen wie den "Tolkien Tagen" seien nur diejenigen Teil des innersten Kreises, die auch Sindarin sprechen könnten. Der Austausch unter den Fans, das Schreiben von Chroniken – das sei es, was eine Sprache lebendig halte und echt werden lasse. Die Sprecher formen und verändern die Sprache, neues Alltagvokabular wird geschaffen. Wie Kirner-Ludwig betont, ist das Grundprinzip einer jeden Sprache die Möglichkeit der Verständigung miteinander. Das können reale Sprachen genauso wie Fantasy-Sprachen ermöglichen.

Tolkien wurde zu Lebzeiten weder von Linguisten noch von Literaturwissenschafterinnen geschätzt, er stand oft zwischen den Stühlen seiner Disziplinen. Heute könne die Wissenschaft davon profitieren, an popkulturellen Phänomenen wie "Herr der Ringe" oder "Game of Thrones" anzudocken, glaubt Kirner-Ludwig. Sie selbst nimmt seit Jahren an den "Tolkien Tagen" in Oberlech teil. Dort versammeln sich sowohl Akademikerinnen als auch an dem Fantasy-Stoff Interessierte und LARPer. (Live Action Role Player; eine Form von Rollenspielen, bei denen Teilnehmerinnen ihren ausgewählten Charakter selbst darstellen, meist aus dem Fantasy-Genre) Für die Wissenschaft würden solche Veranstaltungen eine riesige Chance sein, gerade Kirner-Ludwig ist sich als Mittelalter-Anglistin des außergewöhnlichen Interesses für ihr Forschungsgebiet bewusst.

Wer Valyrisch versteht, ist bei Sindarin ahnungslos

Nach einer Woche Hochvalyrisch kenne ich inzwischen Duolingo zufolge die Basics, mittlerweile lerne ich sogar erste Phrasen. Mein größtes Erfolgserlebnis war es bisher, bei einer Folge von "House of the Dragon" einige Wortfetzen aus einem Dialog zwischen Rhaenyra und Daemon Targaryen verstanden zu haben. Wie beim Lernen realer Sprachen, versteht man als Anfängerin vor allem einzelne Wörter aber ein Muster lässt sich erkennen. Das ist für Sprachwissenschafterin Kirner-Ludwig auch der größte Sinn von Fantasysprachen. Im Alltag könne man sie nicht anwenden. Es bringt auch nichts eine von ihnen zu können, um eine andere zu verstehen. Valyrisch ist nicht mit Sindarin oder Klingonisch zu vergleichen. Wer aber die Grundbausteine einer Sprache erkennen kann, tut sich auch beim Lernen anderer, realer Fremdsprachen leichter. Kirine iksan! (Astrid Wenz, 2.9.2022)