Am 14. Dezember 1972 bestieg Eugene Cernan die Aufstiegsstufe der Mission Apollo 17 und verließ als bis heute letzter Mensch den Mond. Das Apollo-Programm der USA hatte seine Ziele erreicht: Die Sowjetunion war beim Wettlauf um die erste bemannte Mondlandung 1969 unterlegen, die USA hatten insgesamt zwölf Menschen erfolgreich zum Mond und wieder retour gebracht, mit ihnen hunderte Kilogramm Mondgestein. Weitere Mondflüge wurden aus Kostengründen gestrichen, der Mond war gewissermaßen abgehakt und geriet aus dem Fokus der Raumfahrt. Das hat sich fünf Jahrzehnte später dramatisch geändert: Etliche große und kleine Weltraumnationen interessieren sich heute wieder für den Erdtrabanten.

Im Nasa-Stream werden die Startvorbereitungen und der Raketenstart live übertragen.
NASA

Die umfangreichsten Pläne verfolgt erneut die US-Weltraumbehörde Nasa. Der Startschuss für die Rückkehr von Astronautinnen und Astronauten zum Mond soll am heutigen Montag fallen. Wenn alles nach Plan läuft, hebt um 14.33 Uhr (MESZ) in Florida die neue Schwerlastrakete Space Launch System (SLS) mit dem Raumschiff Orion ab und bricht zu einem sechswöchigen Testflug um den Mond auf. Rund 37 Milliarden Euro haben Entwicklung und Bau des neuen Transportsystems gekostet, nach jahrelangen Verzögerungen steht nun die erste Reise bevor. Menschen werden diesmal allerdings noch nicht an Bord sein, die erste Crew wird nach aktueller Planung frühestens 2025 starten.

Für Kritik sorgen die enormen Kosten des Space Launch System, die sich pro Start auf mehr als vier Milliarden Euro belaufen. Bis zur für 2025 geplanten astronautischen Mondlandung könnte das Projekt samt Entwicklungskosten insgesamt rund 93 Milliarden Euro verschlungen haben. Mit Ausnahme der Orion-Raumkapsel ist das Transportsystem nicht wiederverwendbar, anders als die Komponenten eines Megaprojekts des privaten Unternehmens Space X: Die Starship genannte Großrakete der Firma soll ebenfalls noch in diesem Jahr ihren ersten umfangreichen Praxistest absolvieren und dürfte das SLS in jeder Hinsicht in den Schatten stellen. Es ist nicht nur größer und leistungsstärker als die Nasa-Rakete und soll ebenfalls für astronautische Flüge zum Mond und Mars eingesetzt werden können. Die Space-X-Entwicklung ist auch wiederverwendbar und dadurch um ganze Größenordnungen billiger. Der Bau des SLS war jedoch eine politische Entscheidung – wie oft es angesichts der günstigeren Konkurrenz zum Einsatz kommen wird, ist unklar.

Das Space Launch System mit der Orion-Raumkapsel an der Spitze steht am Kennedy Space Center in Florida zum Start bereit.
Foto: Reuters/JOE SKIPPER

Unsicherheitsfaktor Wetter

Das Startfenster am Montag bleibt zwei Stunden lang offen, sollte es aufgrund ungünstiger Wetterverhältnisse oder anderer Probleme zu Verzögerungen kommen, gibt es also einen kleinen Puffer. Am Wochenende gab es wie so oft Gewitter über dem Kennedy Space Center in Florida, wo die 98 Meter hohe Rakete auf der Startrampe 39B auf den Abflug wartet. Ist ein Lift-off am Montag nicht möglich, gibt es am 2. und 5. September alternative Starttermine.

Orion bleibt diesmal noch ohne Besatzung, beim nächsten Flug sollen dann erstmals Passagiere an Bord sein.
Foto: NASA/Bill Stafford

Anders als bei Apollo in den 1960er- und 70er-Jahren geht es beim aktuellen Artemis-Programm (die Göttin Artemis ist in der griechischen Mythologie die Zwillingsschwester von Apollo) nicht nur darum, zum Mond zu fliegen, sondern um den Aufbau einer dauerhaften lunaren Infrastruktur. Gemeinsam mit der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) sowie den Weltraumagenturen Japans und Kanadas soll in den kommenden Jahren eine Raumstation in einer Mondumlaufbahn errichtet werden.

Harte Konkurrenz für das Space Launch System: Das Starship des US-amerikanischen Unternehmens Space X könnte ebenfalls noch in diesem Jahr zu einem umfangreichen Testflug aufbrechen. Im Bild ein (erfolgreicher) Landeversuch aus 150 Metern Höhe im Jahr 2020.
Foto: Reuters/GENE BLEVINS

Testgelände für den Mars

Dieser sogenannte Lunar Gateway soll als Basiscamp dienen, von dem aus Menschen per Landefähre zur Mondoberfläche gelangen können – und eines Tages auch zu weiter entfernten Zielen ins All. "Der Mond ist ein gutes Testgelände für den Mars", sagte Nasa-Direktor James Free, der das Artemis-Programm mitverantwortet, zum STANDARD. "Wir können Technologien, die wir für Marsmission einsetzen wollen, zuvor auf dem Mond testen."

Zukunftsszenario: Orion (links) beim Andocken an den Lunar Gateway.
Illustration: Nasa

Ehe es eine Zulassung für astronautische Flüge gibt, müssen aber erst einmal alle neuen Systeme ausgiebig getestet und unter realen Bedingungen gecheckt werden. Die SLS-Rakete ist die aktuell leistungsstärkste Rakete der Welt und die größte, die die Nasa seit der Saturn-V gebaut hat, die im Apollo-Programm als Transporter fungierte. Sie soll die wiederverwendbare Raumkapsel Orion, in der bis zu sechs Passagiere Platz haben, sicher ins All befördern. Gut zwei Stunden nach dem Start trennt sich das Raumschiff von der Oberstufe der Rakete und setzt die Reise Richtung Mond allein fort. Die SLS-Teile verglühen indes in der Erdatmosphäre.

Mit Schwung zurück

Der Hinflug wird mehrere Tage dauern, dann soll Orion den Mond in einer elliptischen Umlaufbahn umrunden. Dafür soll das Raumschiff in knapp hundert Kilometern Entfernung am Mond vorbeifliegen, um Schwung zu holen, und 64.000 Kilometer über den Mond hinauszufliegen. Der größte Abstand zur Erde würde dann 450.000 Kilometer betragen, das wäre ein neuer Raumschiffentfernungsrekord. Orion soll auf seiner Testmission auch länger durchgängig, also ohne an einer Station anzudocken, im All fliegen als alle bisherigen Raumschiffe, ehe es sich, abermals mithilfe eines engen Mondvorbeiflugs, auf die heiße Rückreise macht. Etwa 2.800 Grad Celsius muss der Hitzeschild der Kapsel aushalten, wenn sie mit rund 40.000 km/h in die Erdatmosphäre rast.

Auf knapp hundert Kilometer soll sich Orion beim bevorstehenden Testflug der Mondoberfläche annähern.
Illustration: NASA/ESA/ATG Medialab

In etwa siebeneinhalb Kilometern Höhe soll dann das Fallschirmsystem aktiviert werden und die restliche Abbremsung übernehmen. Wenn alles funktioniert, wie es soll, wird Orion am 10. Oktober vor der Küste von San Diego ins Meer platschen – und von einem wartenden Schiff geborgen, um für weitere Flüge recycelt zu werden. Für den europäischen Beitrag an Orion gilt das nicht: Das European Service Module (ESM), das für den Antrieb der Raumkapsel, die Wärmeregulierung und die Versorgung der Crew mit Sauerstoff und Wasser verantwortlich ist, trennt sich kurz vor dem Atmosphäreneintritt vom Raumschiff und verglüht.

Das Raumschiff soll nach der Rückkehr zur Erde aus dem Pazifik geborgen und wiederverwendet werden.
Foto: APA/AFP/US NAVY/MC1 GARY KEEN

Europäisches Modul

Für die Esa ist es kein Nachteil, dass für jede Artemis-Mission ein neues Servicemodul gebaut werden muss. Die Kosten für diese wichtigen Komponenten der Raumkapsel liegen bei rund 250 Millionen Euro pro Stück, derzeit wird bereits am dritten ESM gebaut. Sie sind Teil eines Tauschgeschäfts mit der Nasa, sagt Nico Dettmann, Leiter des Mondexplorationsteams der Esa: "Die Module bleiben in unserem Besitz, aber wir bekommen für diese Beiträge drei Astronautenflüge in den Mondorbit." Bei Reisen in die Umlaufbahn des Erdtrabanten soll es aber nicht bleiben. Bis zum Ende des Jahrzehnts, so hofft man bei der Esa, könnte auch erstmals eine Europäerin oder ein Europäer den Mond betreten.

Dass der Mond aber nicht nur als Zwischenstation zum Mars dienen soll, sondern auch selbst nach wie vor ein wissenschaftlich reizvolles Ziel ist, steht für Nasa und Esa außer Frage. "Die Apollo-Missionen waren eine Geburt des Kalten Krieges, sie hatten weniger einen wissenschaftlichen Hintergrund", sagte Dettmann. "Man hat damals sozusagen die Eingangshalle eines Museums besucht, ist aber nicht hineingegangen."

Polare Mondschätze

Anders als die Apollo-Missionen, die Regionen nahe am Mondäquator ansteuerten, sollen beim Artemis-Programm erstmals Menschen in der Nähe des noch wenig erforschten Südpols landen. Kürzlich veröffentlichte die Nasa 13 potenzielle Landezonen, die nun genauer evaluiert werden sollen. Der Südpol ist auch deshalb interessant, weil es dort tiefe, extrem kalte Krater gibt, die permanent im Schatten liegen. Sie können im Vergleich zu den meisten Regionen des Mondes, die staubtrocken sind, Wassereis beherbergen, Messungen von Raumsonden haben die Existenz von Wasser bestätigt.

Die potenziellen Landeplätze am Südpol des Mondes im Überblick.
NASA Goddard

Die Erkundung dieser Vorkommen wäre nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern auch für die Versorgung von Menschen am und um den Mond oder für Missionen zu ferneren Zielen ein Game-Changer: Aus Wasser lässt sich Sauerstoff und Treibstoff gewinnen – unverzichtbare Ressourcen, die nicht aufwendig von der Erde mitgebracht werden müssten.

Verborgenes Eis

Einfach wäre die Nutzung des Mondeises aber mit Sicherheit nicht, jüngste Untersuchungen deuten darauf hin, dass es wohl kein reines Oberflächeneis in den Kratern gibt. "Es könnte sein, dass jegliches Eis mit dem Mondboden vermischt ist oder sich unter der Oberfläche verbirgt", sagte Valentin Bickel von der ETH Zürich, der vergangene Woche mit Kolleginnen und Kollegen eine Studie zur Südpolregion des Mondes veröffentlicht hat, in der auch einige der potenziellen Artemis-Landeplätze untersucht wurden.

Für Eugene Cernan, den bisher letzten Menschen auf dem Mond, kommt die Renaissance der Mondforschung zu spät, er starb vor fünf Jahren im Alter von 82 Jahren. Als er den Erdtrabanten vor 50 Jahren verließ, zeigte er sich zuversichtlich, dass dort schon bald der nächste Mensch Fußabdrücke hinterlassen würde, doch daraus wurde bisher nichts. Einen genauen Termin für die nächste astronautische Mondlandung gibt es noch immer nicht, bald steht aber immerhin wieder ein Mondtaxi zur Verfügung – und bei einem dürfte es nicht bleiben. (David Rennert, 29.8.2022)