Der Buchhandel sieht sich weiter mit starkem Gegenwind konfrontiert. Nicht nur weniger Leserinnen und Leser sind ein Problem.

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Vor vier Jahren schockte die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels veröffentlichte Studie "Buchkäufer – quo vadis?" die Branche. Sie attestierte ein Minus von 6,4 Millionen Buchleserinnen über den Zeitraum der vergangenen fünf Jahre.

Diesen Juli stellte der Börsenverein eine neue Studie vor. Pandemie, Papierkrise, Konsumflaute lautet ihr vielsagender Titel. Ihr trauriges Fazit: Gegenüber vor der Pandemie habe man in Deutschland noch einmal fast zwei Millionen Käufer eingebüßt. Nur noch 41 Prozent der Deutschen zählen mittlerweile als Buchkäufer.

Darüber hinaus geben weitere Zahlen in dem Bericht nicht gerade Anlass zu Optimismus. So gingen die Ausgaben der Kunden zwischen 40 und 60 Jahren um bis zu zehn Prozent zurück. Und immer weniger Titel erwirtschaften einen immer größeren Teil vom Kuchen: 40 Prozent mehr des Belletristikumsatzes als noch 2019 wurden in Deutschland 2021 mit den Top Ten der verkauften Bücher gemacht. Wiewohl auch kleine Händler beim Onlineabsatz zugelegt haben, profitiert davon wohl auch nach 2021 vor allem Amazon stark.

Ein Plus, aber nicht anhaltend

Beruhigend könnte immerhin wirken, dass laut der Studie der Buchumsatz 2021 gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Prozent gestiegen ist. Diese Entwicklung ist aber nicht nachhaltig. Zwar weist der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels (HVB) für das erste Halbjahr 2022 mit plus 1,5 Prozent erneut eine positive Bilanz aus. Doch profitiert diese vom Jahresanfang. Seit Beginn des Ukraine-Krieges gab es kaum einen Monat, der mit einem Plus zu Ende gegangen wäre. Die finanzielle Unsicherheit ließ die Nachfrage einbrechen.

All das ergibt in Zusammenschau mit weiteren Markttrends eine für kleinere und heimische Verlage schwierige Strukturverschiebung. Denn die Zahlen des Handels spiegeln immer weniger die Situation der heimischen Produktion wider. Schuld an der Zuspitzung des Marktes auf wenige gehypte Titel sind neben Amazon mit seinem Algorithmus immer stärker soziale Netzwerke.

Tiktok-Buchklub

Tiktok etwa betreibt seit Juli einen eigenen Book Club, für den es monatlich ein Buch auswählt, das alle Mitglieder lesen und über das sie sich austauschen sollen. Besonders die starke Zuwächse verzeichnenden Bücher für junge Erwachsene werden über solche Kanäle promotet, das Erfolgskonzept Buchreihe dabei natürlich bedient.

Mit Ugly Love und It Ends with Us stand im Juli etwa die auf #Booktok sehr populäre US-Autorin Colleen Hoover mit gleich zwei Titeln auf den österreichischen Bestsellerlisten weit oben: auf den Plätzen sechs und sieben der Hardcover-Belletristik. Und das nicht mit deutschsprachigen Übersetzungen!

Es zeigt sich, dass im deutschsprachigen Raum immer mehr Bücher in englischer Originalsprache verkauft und gelesen werden. Globale Social-Media-Hypes haben Mitschuld daran. Verlagen brechen so zunehmend Verkäufe von Übersetzungen weg.

Profiteure sind die Konzernverlage

Es profitieren von all diesen Entwicklungen letztlich Konzernverlage und internationale Verlage. Nischentitel und kleinere Verlage, die auf die Mundpropaganda der Buchhändler angewiesen sind, leiden indes. Man kann es nicht direkt verrechnen, aber es passt zum Bild, dass laut Börsenverein vergangenes Jahr um 3,1 Prozent weniger neue Belletristiktitel erschienen sind (insgesamt 63.992) als noch 2019.

Auf ein weiteres Problem machte Herbert Ohrlinger vom Wiener Verlag Zsolnay aufmerksam. Und zwar ist die Zahl von Remittenden in schwindelerregende Höhen geklettert. Remittenden sind Bücher, die Buchhändler von Verlagen bestellt haben, aber nicht verkaufen konnten und ihnen deshalb zurückschicken. Traditionellerweise bewegt sich ihr Anteil bei zehn bis 15 Prozent einer Auflage. Verlage kalkulieren das in ihre Bilanz ein. Um das Risiko gering zu halten, stimmen Verlage sich mit den Händlern eng ab.

Ware durch die Hintertür

Infolge der aktuellen Kaufflaute sind die Remissionen, also die Rücksendungen von Remittenden, aber generell gestiegen. Jene von Amazon sogar extrem, denn der Onlineriese bestellte Bücher trotz Absatzeinbruchs weiter auf hohem Niveau.

Zsolnay wurde angesichts dessen skeptisch. Es gibt bei Amazon aber keine Anlaufstelle, um über Bestellmengen zu diskutieren. Auf eigene Faust weniger Exemplare zu liefern funktionierte nicht: Nicht passende Lieferungen nimmt Amazon nicht an. Stattdessen deckte der Konzern sich durch die Hintertüre über Zwischenhändler mit Ware ein – die er nun nicht loswird und retourniert. So erreichen Remissionen derzeit Werte von 30, in manchen Verlagen sogar 50 Prozent des Jahresumsatzes, sagt Ohrlinger zum STANDARD. "Das ist existenzgefährdend."

Da helfen auch die (weit unter den Herstellungskosten) um 1,7 Prozent gestiegenen Buchpreise nicht.

Die Bestellungen bei Zsolnay seien aktuell nicht schlecht. Wichtig für Folgebestellungen wäre aber, dass im Herbst Veranstaltungen stattfinden können, sagt Ohrlinger. Dass sich die Marktsituation angesichts der Weltlage so bald ändert, steht wohl nicht zu erwarten. (Michael Wurmitzer, 29.8.2022)