Im ersten Halbjahr 2022 kamen deutlich weniger Babys zur Welt. Grund dafür dürfte das Ende des Lockdowns im Mai 2021 gewesen sein – die potenziellen Mütter und Väter haben ihr Sozialleben wiederaufgenommen.

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Die Diskussionen rund um die Covid-19-Schutzimpfung nehmen kein Ende. Wieder einmal steht die weibliche Fruchtbarkeit im Fokus. Der diesmalige Anlass der Debatte, die von der Impfkritikerpartei MFG (Menschen Freiheit Grundrechte) angezettelt wurde: der Rückgang der Geburtenrate im ersten Halbjahr 2022. Die Impfung soll schuld daran sein. Was steckt dahinter?

Tatsächlich ist ein bemerkenswert starker Rückgang der Geburten im ersten Halbjahr 2022 zu verzeichnen. Über die ersten sechs Monate des Jahres betrachtet ist die Zahl der Neugeborenen um 5,1 Prozent geringer als 2021, im März 2022 war sie sogar um 9,9 Prozent niedriger als im Vorjahres-März. Ähnliche Daten werden auch aus anderen Ländern mit hohem Einkommen berichtet, Deutschland etwa oder Schweden. Als Grund dafür stellt die MFG die Impfung in den Raum. Sie solle einerseits die Fruchtbarkeit der Frauen beeinträchtigen, andererseits die Spermienqualität der Männer.

Der Rückgang der Geburtenrate von Januar bis April 2022 sei tatsächlich relativ groß, sagt auch Tomas Sobotka, Demograf an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Allerdings sei die Impfung ziemlich sicher nicht der Grund, betont er: "Wäre die Corona-Impfung dafür verantwortlich, dann wäre der markante Rückgang etwas später gekommen. Frauen um die 30, die die größte Gruppe der Gebärenden sind, hatten großteils erst zwischen Mai und Juli Zugang zur Impfung." Tatsächlich zeichne sich aber schon ab Juni 2022 wieder eine Normalisierung der Geburtenrate ab.

Rückkehr zum normalen Leben

Viel wahrscheinlicher ist für Sobotka, dass die Menschen wieder ihr normales Leben aufgenommen haben: "Im Frühling und Frühsommer 2021 sind die Menschen ins Büro zurückgekehrt, haben wieder angefangen, Menschen zu treffen und waren sozial aktiver. Sie waren zu 'beschäftigt', um ans Kinder-Bekommen zu denken." Vor diesem Hintergrund sei es auch unseriös, die Geburtenraten von 2021 und 2022 zu vergleichen. Seriöser ist es, als Vergleichsjahr 2020 heranzuziehen. Zwar kam es auch in diesem Vergleichszeitraum zu einem Rückgang, allerdings fiel er deutlich geringer aus. 2022 waren es pro Monat zwischen 1,4 und 5,8 Prozent weniger Kinder als 2020. Und im Juni 2022 gab es bereits einen Anstieg der Geburten um 0,4 Prozent im Vergleich zu 2020.

Sobotka nennt auch zwei weitere Gründe, die für den Geburtenrückgang verantwortlich sein könnten: "Es ist anzunehmen, dass die Menschen rund um die Zeit der Impfung vorsichtiger waren in Bezug auf eine Schwangerschaft."

Und es könne tatsächlich sein, dass die Impfung eine vorübergehende Auswirkung auf die Fruchtbarkeit gehabt habe: "Es wurde viel über Zyklusunregelmäßigkeiten bei Frauen in Folge der Impfung berichtet. Das ist aber eine vorübergehende Auswirkung. Und wir sehen derzeit auch keinen dauerhaften Geburtenrückgang, im Gegenteil."

Auch die Spermienqualität könnte von der Impfung betroffen sein, wie eine Studie aus Israel, die im Journal "Andrology" erschienen ist, andeutet. Die Qualität der Spermien und ihre Beweglichkeit könne durch die Impfung vorübergehend sinken. Diese Tatsache ist aber vor allem auch als Folge einer Corona-Infektion bekannt, wie eine Studie, ebenfalls in "Andrology" erschienen, zeigt. Beide Studien gehen davon aus, dass der Qualitätsverlust vorübergehend ist. Nach zwei Spermienentwicklungszyklen, also maximal sechs Monaten, dürfte diese Auswirkung wieder vorbei sein.

Krisen führen zu weniger Kindern

Dass es keine dauerhaften medizinischen Gründe gibt für den Geburtenrückgang im ersten Halbjahr 2022, bestätigt auch Fritz Nagele, Gynäkologe und ärztlicher Direktor an der Privatklinik Goldenes Kreuz : "Aus medizinischer Sicht gibt es keine Erklärung dafür, dass weniger Babys auf die Welt gekommen sind, ich kenne auch keine Studien, die das nahelegen." Aus eigener Erfahrung in der Klinik kann er bestätigen, dass es Anfang des Jahres weniger Betriebsamkeit gab auf den Geburtenstationen, allerdings "war zuletzt bereits wieder viel mehr los". Dass die Impfung Einfluss auf die Zyklusstabilität haben kann, bestätigt auch Nagele, "doch das kann bei jeder Impfung passieren".

Insgesamt sei der Geburtenrückgang natürlich auffällig, aber solche Schwankungen seien durchaus normal, sagt Demograf Sobotka. Es sei auch nicht die erste Abweichung im Lauf der Corona-Pandemie: "Es gab zuletzt einige Schwankungen, in mehreren Ländern. Zumindest die Staaten mit hohen Einkommen folgen da ähnlichen Mustern." Aus Staaten mit mittleren oder niedrigen Einkommen sei die Datenlage zu schlecht, um für diese gültige Aussagen zu treffen.

So gab es bereits im Dezember 2020 und Jänner 2021 einen deutlichen Knick in der Geburtenrate, als Folge des Pandemieausbruchs und der ersten Lockdowns. "Man wusste nicht, wie sich die Lage entwickeln werde, hatte Ängste und auch ökonomische Sorgen." Ab März 2021 gab es dann wieder einen Anstieg an Neugeborenen, die Menschen blickten mit Ende des ersten Lockdowns wieder optimistischer in die Zukunft. "In dieser Zeit gab es in einigen Ländern und auch in Österreich sogar eine etwas höhere Geburtenzahl, als man unter normalen Umständen erwarten würde."

Insgesamt gebe es eine enge Verbindung zwischen Krisen und der Reproduktionsrate, bestätigt Sobotka. In diesem Zusammenhang mache ihm die jetzige Lage eher Sorgen als die Pandemie – weil man nicht wisse, wie lange sie dauern werde: "In unsicheren Zeiten haben die Menschen mehr Zukunftsängste, Paare entscheiden sich eher dafür, ihren Kinderwunsch zu verschieben. Das ist ein Faktor, den wir generell beobachten." Das sei vor allem in Hinblick auf die aktuelle Inflationsrate, den Krieg in der Ukraine und die unsichere wirtschaftliche Entwicklung ein Problem. Denn: "Generell werden Eltern älter. Und mit jedem Jahr, in dem sie ihre Familienplanung verschieben, wird das Risiko von Fertilitätsproblemen höher." (Pia Kruckenhauser, 29.8.2022)