Probleme im österreichischen Internet – und schuld daran ist eine überzogene Netzsperre.

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Netzsperren sind von jeher eine ziemlich umstrittene Maßnahme. Immerhin sollen sie dafür sorgen, dass einzelne Webseiten aus dem heimischen Internet gar nicht mehr zu erreichen sind. Eine Praxis, die allerdings alles andere als unumstritten ist – stellt sie doch einen massiven Eingriff in die Netzinfrastruktur dar, der auch unerwünschte Nebeneffekte haben könnte, wie Kritiker seit Jahren warnen. Nun ist genau dieser Fall eingetreten.

Ablauf

Eine von einer bekannten Verwertungsgesellschaft beantragte Netzsperre führt seit Sonntag bei mehreren österreichischen Providern zu Verbindungsproblemen. Die "LSG – Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH" hatte eine Reihe von IP-Adressen von Cloudflare auf die Blockliste setzen lassen – und diese wurde offenbar von vielen Providern einfach unüberprüft übernommen.

Das Ergebnis: Viele legitime Seiten, die die Dienste von Cloudflare nutzen, gingen plötzlich nicht mehr oder machten zumindest Probleme. Zu den Providern, die die Sperren einfach so übernommen haben, gehören etwa Magenta sowie A1 und all seine Tochterunternehmen. Auch Hot soll betroffen sein. DER STANDARD konnte die Probleme im Netz von Magenta noch Montagfrüh selbst nachvollziehen.

Verwunderung

Aufgefallen war das Ganze zunächst Nutzern von LTEForum.at, wo sich ein Poster wunderte, warum der Onlineshop preis-zone.com nicht mehr erreichbar ist. Eine weitere Nachforschung förderte dann die Ursache zutage: Auf der von Liwest öffentlich gemachten Liste mit Einträgen für Netzsperren finden sich seit Sonntag tatsächlich einige IP-Adressen von Cloudflare.

All diese Adressen sind mit dem 29. August neu auf die Liste von Netzsperren gekommen – darunter zum ersten Mal auch IP-Adressen, und das macht nun Probleme.
Screenshot: Redaktion

Eigentliches Ziel dieser Maßnahme scheint eine Musikstreamingplattform namens Canna Power zu sein. Jedenfalls findet sich deren Adresse vor den problematischen IPs in der Sperrliste. Das kommt nicht ganz überraschend, sind doch bisher fast ausschließlich Webseiten, die gegen Urheberrechte verstoßen oder zumindest dabei behilflich sind, Ziel von Netzsperren. Die prominentesten Beispiele hierfür sind etwa der Bittorrent-Tracker Piratebay oder die Streamingseite kinox.to.

Ziel

Was bei der neuen Sperre ebenfalls auffällt: Zum ersten Mal kommen dabei gezielte Sperren gegen einzelne IP-Adressen – also jene Zahlenkombination, die – sehr vereinfacht gesagt – jedem Rechner im Internet zugeordnet ist, zum Einsatz.

Das Problem: Gerade bei Cloud-Diensten teilen sich oftmals viele Rechner eine IP-Adresse, zudem bleibt diese nicht immer gleich. Bei einem "Content Delivery Network" wie jenem von Cloudflare, das Webseiten bei der Auslieferung ihrer Inhalte behilflich ist, trifft das im Besonderen zu.

Scharfe Kritik übt denn auch Thomas Lohninger von der Grundrechts-NGO Epicenter Works auf Twitter. Man habe schon vor dem Inkrafttreten des neuen Telekommunikationsgesetzes vor einem solch unvermeidlichen "Overblocking" durch Netzsperren gegen IP-Adressen gewarnt.

Klassischer Weg

Bisher beschränkten sich solche Netzsperren auf sogenannte DNS-Sperren, bei denen nur der Domainname – also die lesbare Adresse wie kinox.to – blockiert wird. Das ist aber auch sehr einfach auszutricksen. Die Nutzer müssen einfach nur einen anderen DNS-Anbieter verwenden, die DNS-Angebote von Cloudflare, Google und anderen sind nämlich alle von Netzsperren auf dieser Ebene nicht betroffen.

Im aktuellen Fall ist die Sperre aber kaum schwerer zu umgehen, es reicht, einen VPN-Service zu verwenden. Wer aktuell Probleme hat, gewisse Webseiten zu erreichen, kann entsprechend auch auf diesen Ausweg zurückgreifen. Für technisch halbwegs versierte Nutzer wird es also weiterhin kein Problem sein, die von einer Netzsperre betroffenen Webseiten zu erreichen, während über all das gar nichts wissenden Usern durch das aktuelle Overblocking nun der Zugriff auf ganz reguläre Seiten erschwert wird.

Reaktion von Cloudflare

Cloudflare informiert unterdessen betroffene Kunden via E-Mail über den Vorfall – und bestätigt dabei die bisher bekannten Informationen. Das Problem sei, dass ein österreichisches Gericht einem Antrag der Verwertungsgesellschaft LSG recht gegeben habe, womit die Provider die Sperre nun umsetzen müssten.

Man arbeite derzeit daran, eine technische Lösung für betroffene Webseiten zu finden. Gleichzeitig fordert man österreichische Internetnutzer dazu auf, Druck auf die Politik auszuüben. Vielleicht setze sich dann dort das Wissen durch, dass die Blockade von IP-Adressen immer unerwünschte Nebeneffekte habe.

Laut Informationen des STANDARD dürfte sich Cloudflare übrigens in Hinblick auf das Vorliegen eines Gerichtsbeschlusses täuschen. Ein Gericht kommt nämlich erst dann ins Spiel, wenn sich die Provider weigern solche eine Sperraufforderung umzusetzen, soweit dürfte es in dem Fall aber noch gar nicht gewesen sein.

Stellungnahme von Magenta

Bei Magenta bestätigt man gegenüber dem STANDARD den Vorfall, betont aber, dass dem Unternehmen in diesem Fall die Hände gebunden seien. In einer Stellungnahme heißt es: "Internetprovider haben erstmals seit mehreren Jahren wieder Abmahnungen erhalten mit der Aufforderung, bestimmte Webseiten zu sperren. Als Grund wird von Rechteinhabern oder Verwertungsgesellschaften eine strukturelle Verletzung des Urheberrechts angegeben."

Gleichzeitig übt Magenta auch Kritik an der aktuellen Rechtslage: "In der Vergangenheit gab es bei der RTR die Möglichkeit eines Feststellungsverfahrens. Darin konnten Internetprovider vorab rechtssicher überprüfen lassen, ob eine Sperre zulässig ist oder nicht. Dieses Verfahren gibt es allerdings aufgrund eines Höchstgerichtsurteils nicht mehr."

Und weiter: "Im aktuellen Fall können wir daher leider nur darauf warten, dass die RTR die Zulässigkeit im Nachgang einer Sperre prüft. Bei Unzulässigkeit schalten wir die betreffende Seite natürlich unverzüglich wieder frei. Wir bedauern, dass es bei Kundinnen und Kunden durch die Sperren zu Unannehmlichkeiten kommt."

Kehrtwende

Unterdessen war gegen Montagmittag aus wohlinformierten Kreisen zu hören, dass eine Kehrtwende in der Causa kurz bevorstehen dürfte. Demnach will einer der Anwälte, die die Sperre veranlasst haben, angesichts der Aufregung durch die Medienberichte den Großteil davon zurückziehen. Damit könnten dann auch die Provider die Blockade wieder aufheben.

Das bestätigt indirekt auch eine kurz danach eingetroffene Stellungnahme von A1: Auch dort verweist man darauf, dass man durch die aktuelle Rechtsprechung zu einer Sperre verpflichtet sei. Aber: "Mittlerweile wurde uns gegenüber klargestellt, dass in diesen konkreten Fällen eine IP-Sperre nicht notwendig ist, sondern eine DNS-Sperre als ausreichend angesehen wird. Somit werden die IP-Sperren wieder aufgehoben." Auf Nachfrage des STANDARD versicherte das Unternehmen, dass dieser Schritt noch im Laufe des Nachmittags folgen soll. Am Abend war es dann soweit, laut A1 sind die kritisierten Sperre nun komplett aufgehoben.

Magenta hebt auf

Bei Magenta kam kurz vor 13:00 dann tatsächlich die Entwarnung: Bis auf eine Ausnahme, die nicht zu Cloudflare gehört, seien mittlerweile alle Netzsperren gegen die umstrittenen IP-Adressen aufgehoben worden. Bei Liwest betont man wiederum, dass die IP-Sperren zwar auf der zuvor schon erwähnten Liste standen, aber im eigenen Netz noch gar nicht aktiviert waren, da der Montag erst der Stichtag für die Aktivierung war. Montagmittag habe man aber die geforderten DNS-Sperren – also der gelieferten Domainnamen – umgesetzt.

A1: Politik muss handeln

Bei A1 nutzt man den Vorfall, um der Politik einen Ratschlag auf den Weg mitzugeben: "Diese Situation zeigt einmal mehr, dass der Gesetzgeber hier eine klare Regelung schaffen sollte", heißt es in einem Statement gegenüber dem STANDARD.

Internetprovider gegen Sperren

Deutlicher wird noch die Interessenvertretung der österreichischen Internetwirtschaft (ISPA). Dort spricht man sich generell gegen Netzsperren aus. Leider habe ein Urteil des OGH den Weg für IP-Sperren freigemacht – ohne auf die technischen Folgen einzugehen.

Jetzt sei genau das passiert, wovor man immer gewarnt habe: "Dass wegen einzelner illegaler Inhalte auch völlig legale Inhalte blockiert werden." Dies sei "nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und die Rechte der Inhaber ebendieser legalen Inhalte", wird ISPA-Generalsekretär Stefan Ebenberger deutlich.

Unabhängige Behörde gefordert

In der aktuellen Situation wäre den Providern aber nichts anderes übriggeblieben, als die angeordneten Sperren durchzusetzen, sonst hätte man sich Klagen der Urheberrechtsinhaber ausgesetzt. Es brauche hier eine unabhängige – und kompetente – Behörde, die solche Netzsperren vorab prüft, in dieser Hinsicht sei die Politik gefordert.

Genau das habe man übrigens bereits im Vorfeld der letzten Novelle des Telekommunikationsgesetzes gefordert, sei aber von der Politik ignoriert worden – nicht zuletzt auf Druck von Verwertungsgesellschaften wie der LSG.

RTR gegen Overblocking

Auch bei der Regulierungsbehörde RTR sieht man auf Nachfrage des STANDARD das Blockieren von IP-Adressen als generell problematisch an, weil dabei eben die Gefahr des "Overblockings" bestünde, wie der aktuelle Fall gut zeige.

Bisher müssten die Provider selbstständig beurteilen, welche Sperranordnung richtig ist, und würden bei einer falschen Entscheidung das Risiko einer Klage eingehen – und zwar in beide Richtungen. Immerhin könnte eine falsche Sperrung auch als Verstoß gegen die Netzneutralität angesehen werden.

Für die RTR wiederum bestehe zwar sehr wohl die Möglichkeit, regulierend einzugreifen, allerdings erst, nachdem die Sperre bereits erfolgt ist – also im Rahmen einer nachträglichen Prüfung. Insofern spricht man sich auch hier für eine gesetzliche Regelung aus, die klare Verantwortlichkeiten für solche Sperren festlegt.

LSG spricht

Am Montagabend meldete sich dann auch noch jene Organisation zu Wort, die dir ganze Malaise ausgelöst hat – oder wenn es nach deren Darstellung geht: auch nicht. Denn bei der LSG ist man sich keiner Schuld bewusst.

In einem namentlich nicht gekennzeichneten Schreiben an den STANDARD, hält man fest, dass man gar nicht die Möglichkeit habe, die Sperre von IP-Adressen zu verlangen. Das Mittel der Wahl müssten nämlich die Provider selbst wählen, bei geteilten IP-Adressen wäre das wohl eine DNS-Sperre gegen den Domainnamen.

All das habe man heute gegenüber den Providern noch einmal klar gestellt. Diese hatten das zuvor gegenüber dem STANDARD anders dargestellt. Gleich von mehreren Providern hieß es, dass der Antragsteller die Blockade der IP-Adressen zurückgezogen habe. Bei der LSG bleibt man aber bei der eigenen Darstellung, und ergänzt in Anspielung auf die Liste von Liwest: "Hinweistexte in denen behauptet wird, wir hätten die Sperre einer bestimmten IP-Adresse gefordert, sind falsch und irreführend."

Klärungsbedarf

Eine Antwort auf die Nachfrage, wie dann diese Liste an IP-Adressen eigentlich zustande gekommen ist, und wer sie gleichzeitig an sämtliche österreichischen Provider geschickt hat, steht derzeit noch aus. Dass man so spät auf die Anfrage antworte, erklärt die anonyme auftretende Person von der LSG übrigens damit, dass der STANDARD nie ein Mail an die Organisation geschickt habe. Das ist falsch. Die Organisation hat bereits am Montagvormittag ein Mail mit mehreren Fragen erhalten. (Andreas Proschofsky, 29.8.2022)