Vor einer Weile habe ich zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Papierwarenhandlung meiner Kindheit betreten. Die, in der ich meine Schulsachen bekam. Sie ist klein, eine Schuhschachtel von einem Geschäft, bis zur Decke voll mit Holzregalen mit unzähligen beschrifteten Fächern und noch viel mehr Laden für Papierbögen unterschiedlicher Formate und Farben, ganz oben ein Fach rundherum für die schönen Mappen und Alben. Natürlich ist da eine verschiebbare Leiter an der Wand, die zu all den Schätzen führt, es kann auch gar nicht anders sein.

Ich konnte gar nicht glauben, dass sie noch existiert, in exakt derselben Form, ganz oft hatte sich mein Einzugsgebiet verändert in der Zwischenzeit, und in jedem davon gab es natürlich eine Papierwarenhandlung des Herzens. Die Tür machte beim Öffnen dasselbe Geräusch, und es roch hier absolut genauso wie damals, nach Bleistiften, ungeöffneten Heften, nach Alles neu, nach Schulanfang im Alter von acht Jahren. Ich war hingerissen, genauso wie eine in etwa 80-jährige Dame, die offenbar kurz vorher beim Betreten des Geschäfts exakt dasselbe gesagt hatte – die Papierhandlung gibt es immerhin seit 1912.

Alle Jahre wieder

Ganz egal, wie viele Jahrzehnte ich nicht mehr in die Schule gehe, mit dem August kommt zuerst das große Der-Urlaub-ist-vorbei-Tief. Und doch, derweil die Bräune vom Freibad verblasst, die Herbstsentimentalität sich einschleicht und die Gedanken vom Können-wir-nicht-immer-am-Meer-Leben längst der Vernunft und den Rechnungen gewichen sind, samt dem Salz aus der Kleidung gewaschen, kommt es immer noch, das hoffnungsfrohe September-Gefühl: Ich brauche neue Hefte, neue Stifte, neue Vorsätze. Das Neujahr für Papierwarensüchtige, quasi.

Es gibt sie noch, die schönen Papierhandlungen wie die Papeterie Herzilein von Sonja Völker in der Wollzeile.
Foto: Heribert Corn

Papierhandlungen gibt es in allen Preisklassen, Größenordnungen und Ausprägungen. Es gibt die luxuriösen, mit edlen Briefbeschwerern, unleistbaren Füllfedern und lederbezogenen Gästebüchern für Villen, die man nicht besitzt. Mit richtigen Tintenfässern, Klebebandhaltern um hunderte Euro. Es gibt die Ketten. Es gibt die Spezialisten.

Fast alles kann eine Papierhandlung sein, das wissen wir Süchtigen: ein Supermarkt. Ein Strand-Ramsch-Geschäft im Badeort. Ein Lebensmittelgeschäft auf dem Land. Eine Trafik, die man betritt, weil man erstens ein Faible für ältliche Postkarten hat und zweitens natürlich keinen von den hunderten schon erworbenen Kugelschreibern dabei. Oder eben der Bleistift, den man gach braucht, weil man dieses eine Buch eben doch mit Bleistift lesen will, ganze Passagen anstreichen, weil man sie doch wiederfinden können muss und begeistert anderen zeigen.

Eine große Gefahr ist auch der Kunstbedarf, den man eigentlich nur wegen eines Bilderrahmens von der Stange aufgesucht hat. Und plötzlich besitzt man italienischen Kleber der Marke Coccoina, weil er in einer silberfarbenen Dose wohnt, mit einer kreisrunden Aussparung in der Mitte für den kleinen Pinsel, mit dem man ihn aufträgt. Er kostet nicht viel, und hey, "colla bianca solida per ufficio" steht drauf, und er riecht nach Mandeln, und nie werde ich ihn brauchen, aber plötzlich ist mein einfacher Schreibtisch eben auch ein "ufficio".

Bella Cartolibreria!

Die Königsklasse ist sowieso die italienische Papierhandlung. Als Teenager habe ich hier meine Hefte mitgenommen, im Gegensatz zu denen daheim waren sie nämlich außen bunt, teils sogar innen das Papier! Unglaublich! Distinktionsgewinn zum Preis eines Schulhefts! Hierzulande gab es in meiner Jugend neben den "normalen" nur auf verschlungenen Wegen bestellbare Hefte mit Fotos von knutschenden Kindern in Schwarz-Weiß und Rosen drauf (das Grauen!), während Schülerinnen und Schüler in Italien in den 1980er-Jahren die engelhaft bemalten Fiorucci-Schulhefte kaufen konnten.

Und so kommt es, dass ich erst kürzlich einen Druckbleistift in der Hand hatte, auf dem "Architetto" stand, auch wenn ich gar keine Architektin bin – aber gut, ich habe auch einen Maurerbleistift ohne Maurerin zu sein, einfach weil es ihn gibt. Unterschiedliche Berufswelten, Stift geworden!

Geschlagen werden italienische Papierhandlungen allenfalls von der italienischen Trafik, die ab einer gewissen Größe eine ganze Familie für wenig Geld mit Lustbarkeiten versorgen kann, gar nicht so sehr mit Zigaretten, Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch mit Bud-Spencer-Terence-Hill-Filmstills und dem Priesterkalender, der Aufzieh-Vespa fürs Kind. Eine Packung Buntstifte und ein Block, günstige Rettung in allen Notlagen mit fadisierten Kindern. Nur schöne Grußkarten können die Briten viel besser.

Schöner schreiben

Natürlich braucht man einen Kaweco-Reisefüller – kein Gewicht, die Eleganz, und in der Tasche rinnt er nicht aus! Gut, einer in Knallrot für den Sommer, einer in Dunkelrot für den Winter, das kann man jetzt hinterfragen, aber. Der metallene Caran -d’Ache-Kuli in mehreren Farben, der kleine knallgelbe Miniaturdruckbleistift für die Handtasche, leistbarer Luxus. Wieso soll man etwas mit hässlichen Stiften schreiben, wenn man es auch mit schönen tun kann? Die nervigsten Unterlagen (Steuer!) tun in Ordnern in Lieblingsfarben weniger weh.

"Alles wird besser mit der ersten Seite eines neuen, noch unbeschriebenen Notizbuchs und mit dem Geruch von frisch gespitzten Bleistiften."

Papierhandlungssüchtigen geht das Talent fürs Prokrastinieren nicht aus: Vorm Loslegen einmal alle Stifte spitzen, das hilft selbst dann beim Nachdenken, wenn gar nichts mit der Hand zu schreiben ist. Eigene Accessoires gibt es auch dafür: eine Halterung für kurzgeschriebene und -gespitzte Stifte, damit man sie bis zum Schluss verwenden kann, natürlich habe ich auch so eine. Fürs Kind, angeblich, aber das ist natürlich eine Ausrede.

Genauso wie: Buntstifte in Neonfarben! Gestreifte Bleistifte mit farblich passenden Radiergummis! Gelschreiber, aber nur die, die schnell trocknen! Die richtigen bunten Post-its! Das Glück eines zum ersten Mal benützten Radiergummis, weich und effizient. Der schlanke goldfarbene Kugelschreiber. Die gachbunten Druckbleistifte, wo draufsteht Mittwoch: Einen Roman lesen. Donnerstag: Ein Gedicht schreiben. Montag: Einen Film anschauen.

Der bessere Collegeblock mit dem ganz, ganz glatten Papier und den farblichen Markierungen oben. Glaubensrichtung kariert. Notizbücher nur sehr klein und unliniert.

Das Leben, unbeschrieben

Ich weiß: die Klimakatastrophe. Corona. Der Krieg. Strom, Gas, die Papierpreise, alles wahr. Und doch hab ich auch heuer das Gefühl, die Arbeit wird besser mit der ersten Seite eines neuen Notizbuchs, den schöneren Büroklammern (ich möchte nicht darüber sprechen), dem Geruch von gespitzten Bleistiften (zu finden übrigens in "Mitsouko" von Guerlain, falls es hier auch Parfum-Spinnerinnen und -Spinner gibt).

Noch immer lässt es mich daran glauben, das Leben sei für einen Moment noch unbeschrieben und ungeschrieben. Daran, dass selbst beim aktuellen Zustand der Welt zumindest metaphorisch ein Neuanfang ohne Fetzen im Zeugnis möglich ist. Und es auch morgen noch was zu schreiben gibt. (Julia Pühringer, 30.8.2022)