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Mütter tun meist mehr als Väter – aber das muss ja nicht für immer so sein.
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Der Papa, der abends nach Hause kommt und sich zum gedeckten Tisch setzt, ist immer mehr die Ausnahme. Denn Papas wollen mehr. Sie wollen nicht mehr nur die sein, deren Arbeit mit dem Einbauen des Kindersitzes ins Auto getan ist.

Aber auch wenn der Wille da ist – so ganz gleichberechtigt läuft es in vielen Familien trotzdem noch nicht ab. In seinem neuen Buch Wir guten schlechten Väter (Dumont-Verlag) ergründet der deutsche Journalist Tobias Moorstedt, was viele Väter eigentlich davon abhält, tatsächlich fifty-fifty zu machen. Ein Interview über blöde Ausreden, vergessene Sonnencreme und die Notwendigkeit, Tacheles zu reden, bevor die Kinder da sind.

STANDARD: Als wir versucht haben, einen Termin für das Interview zu finden, haben Sie gesagt, dass Sie mit Ihrer Tochter gerade die Eingewöhnung in den Kindergarten machen. Wie läuft es bisher?

Moorstedt: Es ist es toll, Einblicke zu bekommen in die Einrichtung, in der das Kind einen großen Teil seiner Zeit verbringen wird. Man ist da, kann beobachten, was alles los ist. Gleichzeitig ist es natürlich auch nicht so einfach, zu sehen, wie das Kind groß wird. Einerseits wartet man da als Eltern so ungeduldig drauf, andererseits wünscht man sich insgeheim, dass sie für immer klein bleiben. Das ist der große Widerspruch des Elternseins, den ich da empfinde. Was auch noch dazukommt: Es ist gar nicht so leicht, die Eingewöhnung, die in Deutschland vier bis sechs Wochen dauert, in den Arbeitsalltag zu integrieren. Wir sind noch nicht so weit, dass ich meine Tochter für ein paar Stunden abgeben und mich an den Schreibtisch setzen kann. Momentan bleibt sie ein bis zwei Stunden, ich sitze im Vorraum – und dann gehen wir gemeinsam nach Hause.

STANDARD: Treffen Sie im Kindergarten auf viele Väter?

Moorstedt: Die Eingewöhnungen werden tatsächlich häufig von den Vätern gemacht, hat man mir gesagt. Lustigerweise geschieht das oft mit dem Argument: Mit den Vätern klappt es besser, weil sie nicht so einen engen Draht zu ihren Kindern haben und weniger emotional sind, wenn sie diese abgeben müssen. So schön es auch ist, wenn Väter diese wichtige Aufgabe übernehmen – wenn der Grund dafür ist, dass sie eine härtere Hornhaut über ihrer Gefühlswelt haben, ist das auch nicht gerade schmeichelhaft! Ist die Eingewöhnung mal geschafft, beobachte ich Väter meistens dabei, wie sie ihre Kinder morgens in den Kindergarten bringen. Nachmittags beim Abholen bin ich oft der einzige Mann.

STANDARD: "Da geht noch mehr" ist der Titel eines Artikels von Ihnen auf Zeit Online, gemeint sind die modernen Väter. Auch in Ihrem Buch ist das eine wichtige Message. Was wäre dieses "Mehr"?

Moorstedt: Ich glaube, es geht darum, dass Männer sich fragen, welche Art von Vater sie sein möchten. Will man nicht vielleicht mehr, als nur den Kindersitz im Netz auszuwählen und Möbel aufzubauen? Ich habe selbst lange gebraucht, um zu realisieren, dass ich etwas ändern muss, dass ich mich anpassen muss, wenn ein Kind da ist.

STANDARD: Machen Männer eher als Frauen nach der Geburt eines Kindes mit ihrem alten Leben weiter?

Moorstedt: Ja, und das zeigen auch die Zahlen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat erhoben, dass Männer nach dem ersten Kind sogar noch mehr arbeiten als zuvor. Frauen hingegen kommen nie wieder auf ihr altes Niveau. Wenn man solche Statistiken vor sich hat, ist das fast schon ein Schock. Denn man schaut sich sein eigenes Leben an und muss sich eingestehen: Das ist bei uns leider ähnlich gelaufen. Auch meine Frau und ich dachten immer, wir würden ein Leben auf Augenhöhe führen. Um dann festzustellen, dass wir doch nur ein kleiner Datenschnipsel sind.

Oft werden traditionelle Rollenaufteilungen auch durch Charaktereigenschaften legitimiert. Der Frau mache es eben mehr Spaß, die Wohnung für die Kindergeburtstage zu dekorieren. Sie sei eben die Ordentlichere und kümmere sich deshalb um den Haushalt. Dass es sich um eine strukturelle Sache handelt, gerät in den Hintergrund.

STANDARD: Wann war der Punkt, wo Sie und Ihre Frau das realisiert haben?

Moorstedt: Das war, als unsere erste Tochter das erste Mal ein Wochenende bei ihrer Großmutter verbracht hat und wir gemeinsam in einem Wellnesshotel waren. Anstatt eine romantische Zeit zu verbringen, haben wir uns erst mal so richtig gezofft. Denn erstmals nach der Geburt hatten wir die Zeit, wichtige Themen zu besprechen. Dabei zeigte sich: Meine Frau war unglücklich mit der Art und Weise, wie ich mich einbringe. Ich wiederum habe mich total unverstanden gefühlt, ganz nach dem Motto: Ich mache doch eh schon mehr als alle anderen! Aber mehr zu machen als andere heißt ja nicht, genug zu machen ...

STANDARD: Was folgte?

Moorstedt: Unsere Diskussion hat mich dazu gebracht, mich mehr mit meiner Vaterrolle auseinanderzusetzen. Zuvor bin ich mit einer gewissen Verblendung durchs Leben gegangen. Ich sagte mir: Ich kann doch Windeln wechseln! Ich kann meine Tochter trösten! Oder mit ihr alleine mit dem Zug zur Oma fahren. Dazu kam, dass ich von meinem Umfeld viel gelobt wurde. Wenn man als Vater ein bisschen macht, kommt sofort Applaus. Das bestätigt einen noch mehr darin, dass man alles richtig macht.

STANDARD: Die Bedingungen für Männer, sich gleichermaßen zu kümmern, waren noch nie so gut wie heutzutage. Sie können in Karenz gehen, in Elternteilzeit. Was hält sie davon ab?

Moorstedt: Viele jüngere Männer denken sich vielleicht: Dieses Geschlechterding, das ist Vergangenheit wie Zeppeline oder Kutschen. Aber so ist es nicht. Diese Rollenbilder bestehen weiter und verändern sich nur sehr sehr langsam. Die meisten Männer sehen sich zwar nicht als Alleinernährer – sie glauben aber, dass sie Gesellschaft das von ihnen erwartet.

STANDARD: "Damit das Familien- oder Paarleben klappt, müssen neben den sichtbaren Aufgaben im Alltagsleben sehr viele unsichtbare Aufgaben mitgedacht (...) und dann erledigt werden", schreibt Patricia Cammarata, Autorin des Buches "Raus aus der Mental-Load-Falle". Woher kommt dieses Selbstverständnis vieler Männer, für die neue Tube Sonnencreme oder den Arztbesuch nicht zuständig zu sein?

Moorstedt: Zunächst kommt es daher, dass Frauen von jeher viel besser vernetzt sind. Schwangere tauschen sich mit ihren Müttern, ihren Schwestern und ihren Freundinnen über Kinderthemen aus. Wenn Männer Papa werden, gehen sie mit ihren Kumpels etwas trinken und reden über das Geschäft, über Fußball oder Politik. Aber nicht darüber, was ihre Ängste sind oder worauf sie sich freuen. Das ist ein wahnsinniges Defizit. Sie benehmen sich, als wüssten sie genau, was zu tun ist, hätten alles unter Kontrolle und das Notwendige delegiert. Ich habe für mein Buch eine repräsentative Studie durchführen lassen und dabei die Frage gestellt: Tauschen Sie sich mit anderen Vätern aus? Nur 30 Prozent bejahten.

Ein zweiter Grund ist sicher, dass Väter vom System nicht direkt angesprochen werden. Die meisten sitzen bei Ultraschallterminen unbeholfen daneben, sind nicht unbeteiligt, aber auch nicht Patient. Ein paar gehen dann auch noch mit zum Geburtsvorbereitungskurs – aber ihre Rolle in dem Ganzen wird zu wenig klar.

STANDARD: Wie kommen wir da als Gesellschaft raus?

Moorstedt: Zunächst bräuchte es mehr Anreize für Väter, in Karenz zu gehen. In Island ist es zum Beispiel so, dass jeder Elternteil sechs Monate hat, und vier Monate kann man aufteilen. Der Männeranteil verfällt, wenn er nicht in Anspruch genommen wird. Die Folge: Fast alle Väter gehen in Elternzeit. Das wäre eine einfache Maßnahme. In Deutschland müsste auch das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Für Paare hat es steuerlich große Vorteile, wenn einer der Hauptverdienende ist.

Auch Vorbilder sind ganz entscheidend. Studien zeigen: Für die Wahrscheinlichkeit, ob Männer länger als zwei Monate in Karenz gehen, spielt weniger die Unternehmenskultur eine Rolle als die Frage, ob ihr direkter Vorgesetzter auch in Karenz geht. Wenn er das selbstverständlich macht, traut man sich das eher.

STANDARD: Was können Paare tun, um der traditionellen Aufteilung zu entkommen?

Moorstedt: Alle Expertinnen, mit denen ich Interviews geführt habe, raten: Reden Sie miteinander! Sehr früh und sehr klar – und hören Sie nie wieder damit auf! Der Austausch sei wichtig, selbst wenn man denkt, man macht alles richtig. Denn die Wahrnehmungen über den Alltag sind oft sehr unterschiedlich, wenn man Kinder hat.

STANDARD: Man sollte also Tacheles reden?

Moorstedt: Ja, und zwar am besten schon bevor die Kinder auf der Welt sind. Paare, die Eltern werden, sprechen viel zu wenig darüber, wie sie sich alles aufteilen wollen. Was willst du? Was will ich? Das war auch bei uns so: Wir hatten das Gefühl, über den Dingen zu stehen, und dass unsere Liebe so besonders ist, dass alles ganz leicht gehen wird. Aber so war es dann natürlich nicht.

STANDARD: Wie füllt man die Vaterrolle selbstbewusster und gleichberechtigter aus?

Moorstedt: Indem man sich von Anfang an beteiligt, indem man sich Dinge zutraut. Väter sind in der Regel schlechter vorbereitet auf dieses neue Wesen – aber vor allem weil sie sich zu wenig informieren. Beratungsangebote werden zu drei Vierteln von Frauen genutzt, nur zu einem Viertel von Männern. Es gilt also: vom ersten Tag an mitmachen, sich Informationen besorgen, von seinen Freunden, anderen Vätern, aus Büchern, von Beratungsstellen.

Es gibt eine spannende Studie aus Israel, bei der die Hirnaktivität von Müttern und Vätern gemessen wurde. Die Forscher schauten sich die emotionsverarbeitenden Bereiche im Gehirn an. Wie sich zeigte, ist die Aktivität bei den Müttern in diesen Bereichen wesentlich höher als bei Vätern. Die Forscher untersuchten auch Väterpaare mit Kindern und sahen dabei: Bei diesen Männern ist das Empathiezentrum ebenso aktiv. Der Schluss daraus: Mütter sind keine besseren Eltern, weil es in ihrem Gencode angelegt ist, sondern weil sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. (Lisa Breit, 21.9.2022)