Im vergangenen Jahr startete der Nightjet von Wien nach Amsterdam. Freie Plätze in Liege- oder Schlafwagen sind immer wieder rar.

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Abends einschlafen, tausende Kilometer quasi im Schlaf überwinden, am Morgen in einer fremden Stadt aufwachen: Die Idee von Nachtzügen klingt – zumindest in der Theorie – für immer mehr Menschen ansprechend.

Das war nicht immer so. Noch vor einigen Jahren waren Nachtzugverbindungen in Deutschland und Österreich so gut wie tot. Der Grund, so hieß es immer wieder: fehlende Wirtschaftlichkeit. Doch angesichts der Klimakrise sind Nachtzüge in Österreich und Europa wieder auf Schiene. Seit 2016 haben die ÖBB ihre Nachtverbindungen schrittweise aufgebaut. Wer will, kann mit dem Zug von Wien nach Berlin, Venedig oder Amsterdam fahren. 20 Nachtzugverbindungen gibt es inzwischen wieder, ab nächstem Jahr sollen 13 neue Züge hinzukommen. Die Zahl der Passagiere, die mit Nachtzügen unterwegs sind, steigt.

Zehnmal weniger Emissionen

Nachtzüge sollen zur echten Alternative zu Flügen werden und so die Emissionen drücken – so zumindest das Versprechen. Denn je nach Strecke verursacht Bahnfahren rund zehnmal weniger CO2-Emissionen pro Passagier als Fliegen. Mehr als fünfzig Prozent der Menschen in Österreich geben in einer Umfrage an, Nachtzüge anstelle von Flügen als Klimaschutzmaßnahme zu nutzen. Aber können die Züge auch halten, was sie versprechen?

"Im Vergleich zu Tageszügen sind Nachtzüge zwar immer noch ein Nischenprodukt. Sie haben aber auch ein ziemliches Ausbaupotenzial", sagt Philipp Kosok, Experte für öffentlichen Verkehr bei der deutschen Denkfabrik Agora Verkehrswende, im STANDARD-Gespräch. Angetrieben werde der Trend von Playern wie den ÖBB, die zu einem führenden Nachtzuganbieter in Europa geworden sind, und von dem Bewusstsein in der Bevölkerung, dass Billigflieger, welche die Nachtzüge einst verdrängten, klimabedingt nicht weiterwachsen sollten.

Europäisches Nachtzugnetz

Der Vorteil der Nachtzüge: Während Menschen untertags normalerweise nicht länger als vier bis fünf Stunden im Zug sitzen wollen, liege die Bereitschaft bei Nachtzügen bei zehn bis elf Stunden Fahrzeit. Damit ließen sich bis zu tausend Kilometer zurücklegen und somit eben auch Mittelstreckenflüge teilweise ersetzen, sagt Kosok.

Politisch steht das Thema derzeit hoch im Kurs. Bereits im vergangenen Jahr haben die Grünen in Deutschland einen Plan für ein europäisches Nachtzugnetz vorgelegt: Mit vierzig Nachtzugverbindungen könnten theoretisch hunderte Ziele in ganz Europa miteinander verbunden werden, so die Idee. Ab 2030 könnte es mit dem direkten Nachtzug etwa von Warschau nach Amsterdam, von Wien nach Bordeaux, von Innsbruck nach Neapel oder von München nach Barcelona gehen.

So könnte in Zukunft ein europäisches Nachtzugnetz aussehen, glauben die Grünen.
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Verspätungen

Die Vorstellung, abends einfach in den Zug einzusteigen, um am Morgen am Zielort aufzuwachen, sieht in der Realität bisher jedoch noch oft anders aus. Auf manchen Strecken sind Schlaf- und Liegewagen schon Wochen im Voraus ausgebucht, vielerorts fehlen günstige Verbindungen, oder es kommt zu Verspätungen, beklagen Fahrgäste.

Dass Nachtzüge teilweise mehrere Stunden verspätet sind, räumten auch die ÖBB kürzlich ein. Nachtzüge seien grundsätzlich weniger pünktlich als Tageszüge. Grund dafür seien nächtliche Schienenbaustellen, die Konkurrenz mit den Güterzügen, die vor allem nachts unterwegs sind, technische Mängel und fehlende Loks und Lokführer.

Kleinteiliges Bahnnetz

"Viele Nachtzüge sind alt und deshalb auch langsam unterwegs", sagt Kosok. Zudem leiden wichtige Teile des europäischen Bahnnetzes an Überalterung und Überlastung. Größter Bremsklotz für den weiteren Ausbau des europäischen Nachtzugnetzes sei nach wie vor die Kleinteiligkeit des europäischen Netzes.

So habe zwar die EU beispielsweise bei der Sicherungstechnik an Strecken bereits einheitliche Standards gesetzt, die etwa regeln, wie viel Abstand zwischen den Zügen gegeben sein soll. Länder wie Deutschland hinken bei der Umsetzung der Technologie jedoch hinterher. Das bremse den europäischen Zugverkehr aus. Hinzu kommen unterschiedliche Stromnetze und Wartezeiten an Grenzübergängen.

Unfairer Wettbewerb

Gleichzeitig stehen Nachtzüge nach wie vor in einem unfairen Wettbewerb mit Flugreisen, sagt Kosok. Während für Erstere eine Vielzahl von Gebühren für Netzgesellschaften und Steuern fällig werden, sei der Flugverkehr immer noch von vielen Steuern befreit. Attraktive Tickets bei Nachtzügen anzubieten sei deshalb eine ziemliche Herausforderung.

Dass es künftig eine europäische Nachtzuggesellschaft braucht, die langfristig plant und ein flächendeckendes europäisches Nachtzugnetz aus einem Guss betreibt, wie es etwa der deutsche Fahrgastverband Pro Bahn fordert, glaubt Kosok jedoch nicht. "Ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Bahnunternehmen ist durchaus sinnvoll", sagt er. Denn dieser führe letztlich nicht nur zu günstigeren Preisen, sondern auch zu vielfältigeren Verbindungen, die sich an viele Fahrgäste und deren unterschiedlichen Bedürfnissen richten.

Hürden abbauen

Viel wichtiger sei es, die vielen Hürden wie die hohen Netzgebühren, die Subventionen des Flugverkehrs und Schwachstellen im Schienennetz zu beseitigen. Dann sei es denkbar, dass Nachtzüge künftig Flugreisen mit bis zu 1500 Kilometer Wegstrecke zu einem Teil ersetzen.

Fest stehe jedenfalls, dass die Mobilität nicht so weiterwachsen könne wie bisher. Reisen werde wahrscheinlich teurer werden, besonders mit dem Flugzeug, sagt Kosok. Das könnte helfen, eines Tages vielleicht auch den Nachtzug wieder zu einem Massenverkehrsmittel zu machen. (Jakob Pallinger, 30.8.2022)