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Seit kurzem neige ich dazu, die Liebe wie eine gemeinsame Freizeitaktivität zu sehen. Man wählt ja auch seine Freunde fürs Flanieren, Radeln oder Schwimmen mit Bedacht. Heikles Thema, ich weiß. "Das große Herzbeben", empört sich Freundin N., "diese Welterfahrung möchte ich nicht mit dem lächerlichen Glück eines Badetages vergleichen!"– N. ist eine von jenen Langzeitsingles, die mit Mitte vierzig immer noch von der Erlösung durch die Beziehung träumen: Überbein, Augenzucken, Horroreltern, fehlende Karrierevision? All diese Probleme, glaubt N., werden sich in Luft auflösen, sobald der Richtige auf der Bildfläche erscheint. Sobald er mit ihr die Wohnung, das Netflix-Abo und die Begeisterung für Yoga in Mallorca teilt.

Stellvertreterwünsche

Mein Freund, der wilde Künstler, und ich sind vom Weg der tausend Hoffnungen abgekommen. "Das sind alles Stellvertreterwünsche", doziert er. "Kann man alles bei C. G. Jung nachlesen." – Wer sich so auf den ultimativen Partner fixiere, wolle innere Defizite ausgleichen. In Wirklichkeit gehe es gar nicht um das Gegenüber, sondern um Selbstliebe, Mut und Akzeptanz.

Da sind wir uns ausnahmsweise schon im Ansatz einig: Carl Gustav Jung, Schweizer Psychiater mit Nähe zu Spiritualität, Astrologie und zum NS-Regime, muss man äußerst kritisch gegenüberstehen. Trotzdem machen einige seiner Begriffe bis heute Sinn: Persona, Schatten, kollektives Unbewusstes und vor allem seine Archetypen – das liefert nicht nur Blaupausen für Theaterdramaturgen, sondern auch fürs eigene Gefühlsleben.

Quiz der Archetypen

Wer bin ich? Wer sind die anderen? Zur Auswahl stehen: Rebell, Zauberer, Held, Liebender, Entdecker, Schöpfer, Betreuer, Herrscher, Narr. Eines dieser Handlungsmuster nimmt man laut Jung immer ein, sobald man sich unter Mitmenschen bewegt, auf die eine oder andere Art. Ja, solchen Theorien könnte man sich jetzt widmen, am Ende dieses Sommers, mit frischem Elan.

Willst du mit mir gehen?

Man kann es aber auch billiger haben. "Willst du mit mir gehen?"– auf diese Ansage muss nicht immer die Gründung einer neuen Milchstraße folgen. Wer keine Kinder mehr großziehen will, darf sich aus dem Karussell der Kleinfamilie rausnehmen.

Bei Begegnungen die einfache Frage stellen: Könnte ich mir vorstellen, mit diesem Menschen einen schönen Wander- oder Badetag zu verbringen? Sollte die Antwort "ja" sein: hingehen, fragen, Rucksack oder Tasche packen. (Ela Angerer, RONDO, 13.9.2022)